Washington. Bei der Vorwahl in Michigan verweigern rund 100.000 demokratische Wähler dem Amtsinhaber ihre Stimme. Sie haben eine klare Forderung.
Kann der Krieg Israels in Gaza Joe Biden im November die Wiederwahl kosten? Die Vorwahlen im umkämpften Bundesstaat Michigan ergeben für den amtierenden US-Präsidenten nach Ansicht von Experten selbst in seiner eigenen Demokratischen Partei einen „beunruhigenden Befund”. Zwar hat der 81-Jährige mit über 80 Prozent der Stimmen einen fulminanten Sieg eingefahren; was auch auf mangelnde Konkurrenz zurückgeht. Allerdings haben über 100.000 oft arabischstämmige Wähler, die 2020 noch fest an seiner Seite standen, nicht für den Amtsinhaber gestimmt.
Sie kreuzten auf den Wahlzetteln bewusst „uncommitted“ an, was so viel wie „unentschlossen” oder „nicht festgelegt” bedeutet. Motiv dieser Protestwähler: Bidens Pro-Israel-Politik im Krieg gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen. Welche Gefahr sich hinter der Zahl 100.000 plus x für den Präsidenten verbirgt, wird im Rückblick klarer. Michigan gilt als „Battleground State”, den weder Demokraten noch Republikaner als feste Bank für sich betrachten können.
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2020 schlug Biden hier Donald Trump mit 154.000 Stimmen Vorsprung. Letzterer hatte 2016 an gleicher Stelle die damalige demokratische Rivalin Hillary Clinton mit nur 11.000 Stimmen mehr in die Schranken gewiesen. Biden, darüber sind sich seine Strategen einig, muss Michigan im November halten. Ohne einen Sieg im industriell geprägten Nordstaat „wird der Weg zur Wiederwahl zum Nadelöhr, wenn nicht gar unmöglich”.
Biden-Lager spielt Jein-Sager-Quote noch herunter
Bidens Gegenbewegung speist sich im US-Bundesstaat mit der zahlenmäßig größten muslimischen Community (über 300.000) aus mehreren Gruppen: Eine davon ist „Listen to Michigan” (etwa „Höre Michigan zu“). Sie wird von Layla Elabed geführt, die palästinensische Wurzeln hat, und von deren Schwester, der demokratischen Kongressabgeordneten Rashida Tlaib, die zu den schärfsten Kritikerinnen des Weißen Hauses zählt. Elabed wirft Biden vor, weiter über
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu
seine schützende Hand zu halten, obwohl in Gaza weiter Zivilisten getötet würden.
Aus dem Biden-Lager werden die aktuellen Zahlen von Michigan relativiert. 2008, zu Zeiten Barack Obamas, erreichte das „Uncomitted”-Lager (damals gegen Hillary Clinton) mit 238.000 Stimmen fast 40 Prozent. Die Jein-Sager-Quote am Dienstag liege mit 13,5 Prozent im Normbereich der Vorjahre. Außerdem würden viele, die am Dienstag ihren Unmut bekundeten und Biden einen Denkzettel verpassen wollten, im November einlenken und den Amtsinhaber trotzdem wählen – wenn mutmaßlich die Alternative Donald Trump droht. Doch das sehen längst nicht alle so.
Ro Khanna, ein einflussreicher demokratischer Kongressabgeordneter aus Kalifornien, der für Biden als Mediator in die arabischstämmige Community hineinwirkt, sieht für November eine klare Niederlage Bidens in Michigan voraus, wenn der Präsident seinen Israel-Kurs nicht ändert. James Carville, einst der Chefstratege von Präsident Bill Clinton, ist sich sicher, dass die Gaza-Frage nicht nur in der muslimischen Gemeinde als Hemmschuh für Biden wirkt, sondern zunehmend auch bei jungen Wählerinnen und Wählern in den Universitätsstädten überall im Land.
Enger Biden-Vertrauter sieht Wahlniederlage voraus
Sollte der Krieg, dem laut Behörden in Gaza bisher rund 30.000 Palästinenser zum Opfer gefallen sind, noch bis zum Sommer weitergehen, erwartet Carville auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten in Chicago eine Katastrophe. Biden, so Carville und viele andere Top-Demokraten, könne schwerlich ignorieren, wenn in Umfragen mehr als die Hälfte der Amerikaner Israels Antwort auf den Terror der Hamas inzwischen als unangemessen betrachtet. Noch schwerer wiegt, dass mehr als 50 Prozent der demokratischen Wähler Bidens Unterstützung für Netanjahus Kurs für nicht mehr vertretbar halten.
Die Auffassung, dass Israel in Gaza so etwas wie einen Völkermord verübt und dabei von Washington unterstützt wird, ist in den USA längst keine Minderheitenmeinung mehr. Das Weiße Haus reagiert auf diese verheerenden Umfragen mit dem Verweis auf die vielen Aufrufe zur Mäßigung, die seit Wochen aus Washington gen Tel Aviv hinausgehen. Biden selber nannte die Militäraktionen Israels in Gaza mehrmals „übertrieben”. Aus seinem Umfeld sickerte durch, dass er schleichend die Geduld mit Netanjahu verliere, über den er einmal gesagt hat: „Bibi, ich bin mit nichts einverstanden, was du sagst, aber ich liebe dich.“
Demokraten: Biden soll die Militärhilfe für Israel stoppen
Dazu betont Bidens Vize-Präsidentin Kamala Harris regelmäßig, dass Israel nicht genug tue, um die Zivilbevölkerung in Gaza von den Vergeltungsschlägen gegen die Hamas auszunehmen. Tatsache aber ist, dass in den vergangenen fünf Monaten rund 14 Milliarden Dollar US-Militärhilfe nach Israel geflossen sind. Und der Kongress will auf Druck der Republikaner weitere Milliardenbeträge freigeben.
Viele Wähler in Michigan sehen nur einen Ausweg aus der Krise. „Biden muss die Militärhilfe für Israel stoppen und die Netanjahu-Regierung zur Ordnung rufen”, sagt etwa Abdullah Hammoud, Bürgermeister von Dearborn, wo 56 Prozent der demokratischen Wähler am Dienstag mit „uncommited” gestimmt hatten. Die Nervosität ist berechtigt. Bei den Republikanern hat Donald Trump in Michigan mit rund 68 Prozent der Stimmen (rund 750.000 Voten) den fünften Vorwahl-Sieg in Folge eingefahren. Seine Konkurrentin Nikki Haley kam mit 295.000 Stimmen auf rund 26,5 Prozent.
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