Berlin. Rabbiner Shlomo Afanasev wollte zum Gottesdienst, als er sah, dass auf seine Synagoge Molotowcocktails geworfen wurden.
Shlomo Afanasev, 43 Jahre alt, ist Rabbiner in Hannover. Er lebt jedoch seit über 20 Jahren mit seiner Familie in Berlin-Mitte nahe der Gemeinde Kahal Adass Jisroel, zu deren Gründungsmitgliedern er gehört. Am frühen Mittwochmorgen wurde ein Brandanschlag auf den Gemeindekomplex verübt.
Afanasev wollte kurz nach 7 Uhr zum Gottesdienst gehen, zum Zeitpunkt des Gesprächs, gegen 10 Uhr, steht er vor der Polizeiabsperrung. Der Gemeinde in der Brunnenstraße fühlen sich laut Afanasev rund 100 Familien zugehörig. Im Gemeindehaus finden sich neben einer Synagoge eine Kita und eine Schule.
Was haben Sie heute Morgen erlebt?
Heute Morgen bin ich kurz nach 7 Uhr zum Morgengebet gekommen. Da war bereits alles abgesperrt, BKA und LKA waren hier und haben Beweismittel gesammelt. Auf dem Boden lagen die Glassplitter der Flaschen der beiden Molotowcocktails. Die Polizisten haben mir gesagt, es hat einen Brandanschlag gegeben.
Den oder die Täter haben Sie nicht gesehen?
Nein. Als ich nach dem Morgengebet aus dem Fenster blickte, hat ein Mann mit Palästinenserschal auf der Straße geschrien. Ich habe es nicht verstanden, andere sagen, er habe „Allahu akbar“ geschrien. Er wurde sofort festgenommen. Ich denke aber nicht, dass er der Täter war, denn er saß 40 Minuten in Handschellen auf dem Bordstein, dann wurde er freigelassen.
Gibt es Schäden an der Synagoge?
Gott sei Dank gibt es die nicht.
Wie geht es Ihrer Gemeinde heute Morgen?
Alle sind sehr besorgt. Viele Kinder wurden zu Hause gelassen und nicht hier in die Kita geschickt. Die Kita ist aber auf. Auch beim Morgengottesdienst waren weniger Leute.
Wie wird die Synagoge in der Brunnenstraße geschützt?
Hier ist immer der Gebäudeschutz – rund um die Uhr. (Vor der Synagoge steht ein Glashäuschen der Polizei.) Es gibt auch Kameraüberwachung. Angeblich standen die Täter hinter einem Müllcontainer und haben von dort geworfen. Wir haben auch eine private Sicherheitsfirma im Haus, die von der jüdischen Gemeinde finanziert wird.
Sind Sie zufrieden, wie Sie in Deutschland, in Berlin, geschützt werden?
Zurzeit ja. Sobald etwas passiert, Gott behüte, passieren sollte, ist die Polizei da, und sie sind auch immer freundlich.
Wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt?
Am vergangenen Freitag, als es die Aufrufe zu den Attentaten gab, da waren mehrere Berliner Polizisten da und wir haben auch eine Privatfirma angestellt. Auf den Freitag konnte man sich vorbereiten. Vor Spontanaktionen wie dieser, die vielleicht im Zusammenhang mit dem Raketeneinschlag im Krankenhaus in Gaza steht, auf so was kann man sich schlecht vorbereiten.
Wie waren die vergangenen zehn Tage für Sie und die Gemeinde?
Schwierig. Viele haben Angst bekommen. Und Panik. Letzten Freitag wurden wir von Polizisten nach Hause begleitet, nach dem Gottesdienst. Am Freitag tragen viele Männer die großen schwarzen Hüte, man erkennt uns so sofort als Juden. Ich wohne seit 22 Jahren in Berlin-Mitte. Es ist nicht normal für mich, dass ich von Polizisten nach Hause begleitet werden muss. Normalerweise trage ich meine Kippa. Aktuell trage ich ein Cappy über der Kippa, damit man mich nicht als Jude erkennt. Wir hatten bisher nie Angst hier. Würden wir im Wedding leben, wäre das vielleicht anders.
Haben Sie jetzt Angst?
Ich bin besorgt. Wir alle. Wenn man sich nicht offen als Jude zeigt, ist es, denke ich, nicht gefährlich.
Haben Sie Ihrer Gemeinde geraten, sich nicht als Jüdinnen und Juden erkenntlich zu zeigen?
Das müssen wir nicht mal sagen. Das ist für alle selbstverständlich. Hier kommt mein Sohn angefahren mit dem Rad, auch der trägt nun Cappy. Sonst trug der die Kippa. (Der Sohn stellt sich mit seinem Fahrrad neben seinen Vater und hört dem Gespräch zu. Shlomo Afanasev ist Vater von fünf Kindern.)
Wie sprechen Sie mit Ihren Kindern über das, was gerade passiert?
Je nach Alter. Den Kleinen sage ich, es gibt Menschen, die uns nicht lieb haben. Aber es wird alles gut werden. Meine 17-jährige Tochter liest selbst Nachrichten. Mit der spreche ich natürlich anders.
Man hörte in den vergangenen Tagen von Jüdinnen und Juden in Deutschland, dass sie sich in Deutschland noch nie so unsicher gefühlt haben wie jetzt.
Ich kann nur für die letzten 22 Jahre sprechen, seitdem ich hier lebe. Aber ja: So besorgt, so unsicher haben wir uns noch nie gefühlt. Wir wissen nicht, was morgen passiert. Wir hoffen und beten jeden Tag dreimal, dass die Situation bald vorbei ist und alles wieder friedlich wird.
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