Berlin. Die deutsche Wirtschaft ist extrem von China abhängig. Die Regierung will das mit einer neuen Strategie ändern. Wie riskant ist das?

Wie umgehen mit der aufstrebenden Macht in Fernost? Die Bundesregierung hat am Donnerstag erstmals eine China-Strategie vorgelegt. Die Kernpunkte des 61-seitigen Papiers und was sie für Wirtschaft, Arbeitsplätze, Sicherheit und Finanzmärkte bedeuten.

Was ist der Hintergrund der China-Strategie?

Seit Jahren ist Chinas Wirtschaft auf der Überholspur. Gleichzeitig werden Menschenrechte verletzt: in der Volksrepublik selbst, in der autonomen Provinz Xinjiang oder in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong. Und Peking rüstet das eigene Militär massiv auf. Nachbarstaaten fühlen sich im Südchinesischen Meer bedroht. Chinas Präsident Xi Jinping hat eine „Wiedervereinigung“ mit Taiwan – „notfalls mit Gewalt“ – angekündigt.

Im Westen grassiert die Angst vor einem Dominoeffekt: Wenn Russland im Ukraine-Krieg gewinnt, könnte China dies als Ermutigung für eine Invasion in Taiwan auffassen. Ein Angriff auf die demokratische Inselrepublik, die auf dem Weltmarkt eine dominierende Stellung bei Halbleitern hat, hätte schwere Konsequenzen für die globale Wirtschaft. Der Westen würde sehr wahrscheinlich Sanktionen verhängen. Das würde zu Erschütterungen in der Weltwirtschaft führen. Auch die deutsche Export-Industrie wäre stark betroffen.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am Donnerstag erstmals eine China-Strategie vorgelegt. Die Grundfragen: Soll man mit der aufstrebenden wirtschaftlichen und politischen Macht kooperieren oder sich abgrenzen? Sollen sich die deutschen Unternehmen vom chinesischen Markt zurückziehen – und zu welchem Preis?

Was steht in der China-Strategie?

Die Ampelkoalition hat sich um einen Balanceakt bemüht. Sie will wirtschaftliche Abhängigkeiten von China verringern – aber keinen Schnitt. „Die Bundesregierung strebt keine Entkoppelung von China an“, heißt es in der China-Strategie. An der wirtschaftlichen Verflechtung mit China solle festgehalten werden. Deutschland wolle aber in den Handelsbeziehungen „kritische Abhängigkeiten künftig vermeiden“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Twitter.

In einzelnen Bereichen hängt Europa regelrecht am Tropf Chinas. So beziehen die EU-Länder 98 Prozent der für Elektrogeräte und Generatoren wichtigen Seltenen Erden aus der Volksrepublik. Auch beim Metall Lithium, das bei Smartphones und Elektroautos eingesetzt wird, hat China eine marktbeherrschende Stellung. „Die Bundesregierung arbeitet auf ein De-Risking der Wirtschaftsbeziehungen zu China hin“, formuliert das Strategie-Papier. Zugleich heißt es, der chinesische Markt bleibe für viele Unternehmen von großer Bedeutung.

Neues Strategie-Papier: Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Eine Abkoppelung von Chinas Wirtschaft wäre für Deutschland mit beträchtlichen Einbußen mit Blick auf Wachstum und Arbeitsmarkt verbunden. Die Volksrepublik ist seit Jahren der wichtigste Handelspartner Deutschlands. 2022 betrug das Gesamtvolumen des wechselseitigen Warenaustauschs 299 Milliarden Euro. Doch das Ungleichgewicht wird immer größer: Deutschland bezieht immer mehr Güter aus China als umgekehrt.

Deutschland verkauft nach China vor allem Autos, Autoteile sowie Maschinen. Umgekehrt liefert China insbesondere elektronische Geräte sowie Maschinen, außerdem auch Rohstoffe. Den Statistikern zufolge kommen „viele Produkte des täglichen Lebens“ längst zu einem Großteil aus China. Dies gilt außerdem für Güter, die bei Zukunftstechnologien wie E-Mobilität wichtig sind.

So kamen im ersten Quartal 2023 rund 86 Prozent der importierten Notebooks und Tablets und rund 68 Prozent der Smartphones und Telefone aus China. Gleiches galt für etwa 39 Prozent aller Lithium-Ionen-Akkus. Bei den für den Bau von Hightech-Komponenten im Bereich erneuerbarer Energien unverzichtbaren seltenen Erden lag die Importabhängigkeit bei 92 Prozent.

In China sind über 5000 deutsche Firmen mit 1,1 Millionen Beschäftigten tätig. Volkswagen verkauft rund 40 Prozent seiner Neuwagen auf dem chinesischen Markt. Aber auch BASF wie auch unzählige Mittelständler wie der Kettensägen-Hersteller Stihl, der Maschinenbauer Trumpf oder der Gummibärchenproduzent Haribo sind präsent. Sie profitieren von günstigen Arbeitskräften und einem riesigen Binnenmarkt.

Was steckt hinter dem Zauberwort „De-Risking“? Die Bundesregierung setzt nicht nur darauf, dass deutsche Firmen ihre Märkte und Lieferketten breiter aufstellen. Internationale Rohstoffpartnerschaften sollen die Abhängigkeiten von China verringern. Hier werden insbesondere Afrika, Lateinamerika oder Asien und der Indopazifik genannt.

Was macht das mit unseren Jobs?

Wenn der deutsche Exportmotor Richtung China stottert, bekommt der Arbeitsmarkt hierzulande Schlagseite. In Deutschland hängen rund 1,1 Millionen Jobs am Endverbrauch in China. 2,4 Prozent der Gesamtbeschäftigung sind von den Ausfuhren nach China abhängig. Bei der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung beträgt die Rate 2,7 Prozent. Dies belegen Daten des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Auch vor diesem Hintergrund verfolgt die Bundesregierung eine Gratwanderung beim Umgang mit China: keine Abkoppelung bei Exporten und Importen. Die Betriebe sollen ihre Absatz- und Zuliefermärkte diversifizieren, um Einbrüche das Risiko von Entlassungen zu vermindern. Der Haken an der Sache: Die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen ist hoch. Wenn der chinesische Anbietermarkt kleiner wird, dürften die Preise steigen, was Firmen und Beschäftigung belastet.

China-Strategie der Bundesregierung: Welche Folgen hat das für die Sicherheit?

In der China-Strategie wird Peking als „Partner“, „Wettbewerber“ und „systemischer Rivale“ bezeichnet. Diesen Dreiklang verwendet auch die EU. In den vergangenen Jahren habe jedoch die „systemische Rivalität“ zugenommen, heißt es weiter. „China ist repressiver nach innen und offensiver nach außen“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Die Bundesregierung hat nicht nur die Sorge, dass eine Invasion Pekings in Taiwan weltwirtschaftliche Turbulenzen auslösen könnte. Westliche Sanktionen und die Unterbrechung globaler Lieferketten würden die Konjunktur nach unten ziehen und zu Entlassungen führen.

Auch die massive Aufrüstung Chinas alarmiert die westliche Sicherheitspolitik. Peking strebt eine größere Rolle als weltpolitischer Akteur an. Inwieweit dies künftig auch mit militärischen Mitteln unterlegt wird, bleibt abzuwarten.

Wie wirkt sich die neue Strategie auf die Finanzmärkte aus?

Die Regel ist einfach: Läuft der Handel mit China, beflügelt das die Börsen. Knirscht es im Warenaustausch, zieht das die Finanzmärkte nach unten. Mangelnde Nachfrage aus der Volksrepublik sorgt für einen Knick in den Unternehmensbilanzen und belastet die Aktienkurse.