Hamburg/Kiel. Neujahrsempfang Selten war so viel unklar wie dieses Mal: Vor der Landtagswahl am 7. Mai wird kräftig spekuliert

In nicht einmal vier Monaten wird in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt. Einige der möglichen Regierungskoalitionen hätte man beim Neujahrsempfang des Abendblatts durchaus vorbesprechen können. Große Koalition aus SPD und CDU? Die beiden Spitzenkandidaten waren da: Torsten Albig, sozialdemokratischer Ministerpräsident, und Daniel Günther, seit November neuer CDU-Landesvorsitzender. Jamaika-Koalition? Günther hätte mit Wolfgang Kubicki und Monika Heinold, den Spitzenkandidaten von FDP und Grünen, erste Grundlagen schaffen können. Er tat es natürlich nicht: einfach zu viele Menschen im Raum. Dennoch: Seit der letzten Wahlumfrage von Anfang Dezember schießen in Schleswig-Holstein die Spekulationen ins Kraut – ein teilweise doch recht ungenießbares Kraut.

Das vom NDR veröffentlichte Stimmungsbild hielt in der Tat eine Menge Überraschungen bereit – so viel Überraschungen, dass die Fachwelt „eine gewisse Ratlosigkeit“ befiel. So erging es jedenfalls Wilhelm Knelangen, dem renommierten Politikwissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Er findet: „Man sollte diese Zahlen nicht überbewerten.“

Das finden die Politiker vermutlich auch. Aber Umfragen und Interpretationen bieten auch immer die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Solche Chancen gilt es zu nutzen. Besonders schön war das in diesen Tagen bei Wolfgang Kubicki zu beobachten. Die NDR-Umfrage sah seine FDP bei neun Prozent. Beim Dreikönigstreffen der Hamburger Liberalen sagte er am Wochenende voraus, er werde in Schleswig-Holstein zwölf bis 14 Prozent holen. Einfach mal gut 50 Prozent aufs letzte Umfrageergebnis und 70 Prozent aufs letzte Wahlergebnis draufgeschlagen – Respekt.

Die CDU witterte nach den jüngsten Zahlen natürlich Morgenluft: Überraschende 34 Prozent bekamen die Konservativen, acht Prozentpunkte Vorsprung vor der SPD. Für Günther war das wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. „Ein richtig schönes Ergebnis“, sagte er beim Neujahrsempfang – und strahlte. Der junge Frontmann wünscht sich eine Koalition mit der FDP, weiß aber, dass die beiden Parteien allein wohl keine Mehrheit zusammenbekommen werden. Also sollen die Grünen mitmachen: Jamaika-Koalition. Für Schleswig-Holstein wäre das eine doppelte Premiere. Erstens haben diese drei Parteien noch nie koaliert, zweitens sind die Grünen noch nie mit der CDU zusammengegangen. Zwischen beiden Parteien liegen Welten – die Günther gerade verschwinden lassen will. „In der Verbraucherpolitik und bei der frühkindlichen Bildung gibt es Gemeinsamkeiten“, sagte er.

Das mag sein, aber diese beiden Politikfelder haben zuletzt eher am Rande interessiert. In der Verkehrspolitik und beim Thema Energie, im Windkraftland Schleswig-Holstein von überragender Bedeutung, sind die Widersprüche offenkundig. Günther will mehr teuren Offshore-Strom – und ist damit sogar in der eigenen Partei umstritten. Für die Grünen ist die Onshore-Windkraft der zentrale Punkt ihrer Energiewende.

Günther sagt, sein wichtigstes Thema im Wahlkampf sei mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Doch die Grünen haben schon jetzt Probleme, die aktuellen Autobahn-Zukunftspläne mitzutragen. Und überhaupt: Wäre für die Grünen eine Koalition mit der in Teilen immer noch stockkonservativen CDU nicht doch eine Zumutung? Wenn diese Frage mit Ja beantwortet würde, bliebe für eine CDU, die regieren will, nur noch die SPD als Partner. Denn die AfD kommt für Günther nicht infrage, und die Linke auch nicht.

Die strategischen Möglichkeiten der Sozialdemokraten sind da ungleich größer. SSW, Grüne, FDP, und ja, auch die CDU: dies alles ginge. In Kiel sitzen derzeit, so der Eindruck, die größten Gegner einer Krankheit namens „Ausschließeritis“. Albig hat sogar eine Koalition mit den Linken nicht ausgeschlossen, sagt aber auch gleich, dass er sie nicht anstrebe. Alles ist möglich, so scheint es – bloß AfD geht nicht. Und Opposition geht sogar gar nicht.

Am Ende könnte eine Variante Erfolg haben, die bei den aktuellen Zahlenspielen fast keine Rolle mehr spielt. Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW könnte bestätigt werden. Zwar hat sie nach der jüngsten Umfrage derzeit keine Mehrheit, aber die SPD (26 Prozent) hat durchaus noch Luft nach oben. Bei der letzten Landtagswahl bekam sie 30,4 Prozent.

Albig sieht sich jedenfalls ab sofort als Wahlkämpfer. Der offizielle Wahlkampfauftakt ist für Anfang Februar vorgesehen. „Zusammen mit dem eher linken Fraktionschef Ralf Stegner könnte er eine breitere Klientel ansprechen“, findet Politikwissenschaftler Knelangen. Ein TV-Duell der Kandidaten von CDU und SPD wie früher wird es wohl nicht geben. Der NDR bastelt derzeit an einer Befragung der beiden Kandidaten durch eine Bürgerrunde.

Daniel Günther will in der zweiten Märzhälfte in den Wahlkampf starten. Er sagt, Angela Merkel habe unterstützende Auftritte zugesagt. Günther will sich im Gegenzug nicht von der Kanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik distanzieren.

Günther will gewinnen. Albig will gewinnen. Auf dem Neujahrsempfang sind sie sich aus dem Weg gegangen. Sie müssen jetzt ihren eigenen Weg gehen.