Hamburg. Pflege-Staatssekretär Karl-Josef Laumann unterstützt die Hamburger Gesundheitssenatorin und spricht über frustrierte Altenpfleger.
Am 1. Januar 2017 wird die größte Reform der Pflegeversicherung ihrer mehr als 20jährigen Geschichte in Kraft treten. Ab dann gibt es Pflegegrade statt Pflegestufen – und vor allem mehr Geld. 2,4 Milliarden Euro stehen dann jedes Jahr zusätzlich für die Pflege zur Verfügung. Pflege-Staatssekretär Karl-Josef Laufmann (CDU) fordert, dass mit der Reform auch die Personalsituation verbessert wird. „Das zusätzliche Geld muss da ankommen, wo es benötigt wird. Bei den Pflegebedürftigen und den Pflegekräften“, heißt es in einem Brief Laumanns an Heimbetreiber und Pflegekassen, die derzeit den neuen Personalschlüssel aushandeln. Mit dem Abendblatt sprach Laumann, 58, auch über einen Hamburger Streit.
Hamburger Abendblatt: Herr Laumann, Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks will die Heime in Hamburg verstärkt prüfen und die Ergebnisse ins Internet stellen. Die Hamburgische Pflegegesellschaft (HPG) spricht von einem neuen millionenteuren Bürokratiemonster, droht mit juristischen Schritten. Wer hat Recht?
Laumann: Wo auch Menschen leben, die selbst kaum oder sogar gar nicht für ihre eigenen Interessen eintreten können, muss der Staat sehr genau hingucken. In Kinderheimen oder etwa auch in Einrichtungen für Menschen mit geistigen Behinderungen zweifelt das niemand an. Genauso richtig ist es, dass wir Altenheime kontrollieren. Schließlich leben dort auch viele Demenzkranke. Im Übrigen belaufen sich alleine die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung jedes Jahr auf mehr als 25 Milliarden Euro. Da wird man auch prüfen dürfen, ob die Mittel in den Pflegeeinrichtungen vernünftig verwendet werden.
Hamburger Abendblatt: Bundesweit gilt das Verfahren, mit Pflegenoten die Qualität der Heime zu prüfen, als gescheitert. So einfach scheinen transparente Prüfungen nicht zu sein.
Laumann: Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt möglich ist, die Qualität eines Pflegeheims in einer einzigen Schulnote zu erfassen. Das derzeitige System der Durchschnittsnote hat vor allem einen grundsätzlichen Fehler: Die Heime können schwere Pflegefehler, etwa eine falsche Medikamentenausgabe, zum Beispiel durch eine besonders leicht lesbare Speisekarte ausgleichen. Da reden wir wohlgemerkt nicht einmal über die Qualität des Essens, sondern nur darüber, wie man die Karte lesen kann. Das ist – mit Verlaub – absurd.
Hamburger Abendblatt: Dennoch wird nach diesem System munter weiter geprüft.
Laumann: Ich habe auch dafür plädiert, die Noten auszusetzen, bis wir etwas Besseres entwickelt haben. Leider war das mit dem Koalitionspartner nicht zu machen. Ich finde das insofern bedauerlich, als dass die Abschaffung der Noten die Köpfe von vornherein noch ein Stück weit freier für die Entwicklung von etwas völlig Neuem gemacht hätte. Aber: Zum Glück sind sich alle einig, dass wir mit Hochdruck ein völlig neues System entwickeln müssen. Da müssen jetzt die Fachleute ran.
Hamburger Abendblatt: 2018 soll es starten. Warum dauert das so lange?
Laumann: Weil Pflege eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit und dadurch die Herausforderung extrem komplex ist. Wir brauchen ein System, wo ein schwerer Pflegefehler als solcher auch erfasst und zugleich nicht jeder kleine Fehler zum Skandal gemacht wird. Die Ergebnisse müssen transparent und für jedermann verständlich sein, dürfen daher auch nicht in 30-seitigen Dokumentationen münden, die kein Laie mehr versteht.
Hamburger Abendblatt: Viele Mitarbeiter in Pflegeheimen sind frustriert, sie fühlen sich ungerecht behandelt. Jeder Bericht über ein unbehandeltes Druckgeschwür würde dazu führen, dass die ganze Heimbranche in Misskredit gerät.
Laumann: Ich kann diesen Unmut verstehen. Ich beschäftige mich seit 1990 intensiv mit dem Thema Pflege und war in Hunderten von Pflegeheimen. Natürlich sagen mir manche Bewohner, dass sie lieber wieder zuhause wären. Genauso sagen mir andere, dass sie im Heim wieder Anschluss gefunden hätten. Ich habe sogar 85-Jährige erlebt, die haben sich im Heim neu verliebt. Nein, in der weit überwiegenden Zahl der Heime wird gut gepflegt. Dennoch wird in der öffentlichen und in der politischen Diskussion immer wieder suggeriert, ambulante Pflege ist gut, Heime sind schlecht. Das führt dann dazu, dass sich Pflegekräfte in Heimen wie Beschäftigte zweiter Klasse fühlen. Das darf nicht sein.
Hamburger Abendblatt: Aber es gibt doch auch den Vorrang ambulant vor stationär.
Laumann: Wer pflegebedürftig wird, hat in der Regel ein langes Leben hinter sich. Dem können wir doch nicht vorschreiben, wie er im Alter leben möchte, ob ambulant versorgt oder in einem Heim. Und natürlich möchten die meisten Pflegebedürftigen so lange wie möglich in der gewohnten Umgebung leben bleiben, sprich: in den eigenen vier Wänden. Mein Job ist es, mit dafür zu sorgen, dass er in beiden Formen gut betreut wird. Mit den Pflegestärkungsgesetzen wird es für die Pflegebedürftigen besser, besonders Demenzkranke können erstmals überhaupt die Leistungen der Pflegeversicherung vollumfänglich in Anspruch nehmen.
Hamburger Abendblatt: Viele entscheiden sich für Pflege daheim durch osteuropäische Betreuungskräfte, ein Modell in der juristischen Grauzone.
Laumann: Nein, wenn man die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, die Mitarbeiter u. a. vernünftig sozialversichert und auch vernünftig bezahlt, ist das vollkommen in Ordnung. Aber ich weiß, dass es in der Pflege genau wie in anderen Branchen auch Schwarzarbeit gibt.
Hamburger Abendblatt: Können wir mit Flüchtlingen den Personalnotstand in der Pflege beseitigen?
Laumann: Ich freue mich über jeden Flüchtling, der bereit ist, sich hier um alte und kranke Menschen zu kümmern. Aber das kann nicht die Lösung des Problems sein. Wir müssen da schon unsere eigenen Hausaufgaben machen. Wir müssen vor allem die Pflege als Beruf attraktiver machen. Oftmals wird noch der Eindruck verbreitet, die Pflege hätte eine untergeordnet dienende Funktion. Das geht nicht. Pflege muss eine Profession auf Augenhöhe mit den anderen medizinischen und gesundheitlichen Disziplinen werden.
Hamburger Abendblatt: Was ist zu tun?
Laumann: In Deutschland kann man bundesweit gebührenfrei Medizin oder Pharmazie studieren. Dagegen müssen in sechs Bundesländern Altenpflegeschüler noch immer Schulgeld zahlen. Das ist ein Unding. Altenpflegeschulen bekommen grob nur die halben staatlichen Zulagen wie Krankenpflegeschulen. Diese Ungerechtigkeiten müssen wir beseitigen. Und wir brauchen überall Ausbildungsumlagen wie in Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Es kann nicht sein, dass Heime teurer sind, weil sie mehr ausbilden.
Hamburger Abendblatt: Sie wollen die Ausbildungen für Kranken- und Altenpflege generalisieren, gegen den Willen vieler Heimbetreiber.
Laumann: Das ist so nicht richtig. Die großen Wohlfahrtsverbände sind auf unserer Seite. Genauso der Deutsche Pflegerat. Sie haben erkannt, dass zum Beispiel Krankenhäuser immer mehr Demenzkranke versorgen und ins Altenheim immer mehr Menschen kommen, die bereits schwer erkrankt sind. Es sind vor allem große, private Pflegeheimbetreiber, die sich gegen die generalistische Pflegeausbildung aussprechen. Die haben Angst, dass ihnen die guten Leute von der Fahne gehen, wenn sie sich überall bewerben können. Denn mit der Generalistik müssen sie zum Teil auch bessere Arbeitsbedingungen für ihr Personal schaffen.
Hamburger Abendblatt: Am Ende ist auch alles eine Frage der zu niedrigen Löhne.
Laumann: Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wird unter allen westdeutschen Bundesländern am schlechtesten bezahlt. Davon profitiert Hamburg, das aufgrund der höheren Bezahlung einfacher Personal abwerben kann. Aber es geht hier nicht alleine um den Lohn. Wir brauchen eine viel bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Es kann nicht sein, dass Pflegekräfte in einem Altenheim drei Wochenenden in Folge arbeiten müssen, wenn sich nach einer Grippewelle Kollegen krank melden. Da ist die Personaldecke viel zu dünn. Andere Heime kriegen das unter denselben Rahmenbedingungen viel besser hin.
Hamburger Abendblatt: Herr Laumann, auch Ihre Eltern sind hochbetagt, was wird aus ihnen, wenn sie einmal pflegebedürftig werden.
Laumann: Ich komme aus einer Familie, wo die Versorgung und Betreuung der Älteren bislang immer innerhalb der Familie organisiert werden konnte. Aber ich bin auch froh, dass ich weiß, dass es in unserem Dorf ein gutes Heim gibt. Ich kenne die Einrichtung gut, weil ich dort schon oft zu Besuch war. Ich empfehle den Menschen sowieso immer: Schaut Euch immer mal wieder die Heime vor Ort an und macht Euch einen eigenen Eindruck.
Hamburger Abendblatt: Das machen nicht alle Leute. Worauf sollten die achten, wenn sie einen Heimplatz für ihre Eltern suchen
Laumann: Ich würde insbesondere nach der Personalfluktuation im Haus fragen. Pflegekräfte ansprechen, sich erkundigen, wie lange sie dort schon arbeiten. Wenig personelle Wechsel sind meist immer ein gutes Zeichen.
Hamburger Abendblatt: Wirklich vorbereiten will sich kaum jemand auf das Thema Pflege im Alter.
Laumann: Das ist doch auch nachvollziehbar. Pflege bedeutet immer auch ein Stück weit Verlust von Selbstbestimmtheit. Und das ist natürlich unangenehm. Aber bei uns im Ort unterhalten sich Freunde schon oft über die Frage: Wie machst Du das eigentlich mit deinen Eltern? Das Thema beschäftigt die Leute. Wir werden jetzt die Pflegeversicherungsbeiträge um rund 20 Prozent anheben. Noch nie gab es in der Bundesrepublik eine solche Steigerung in einer Sozialversicherung in nur einer Legislaturperiode. Dennoch gibt es keine Proteste, auch nicht von den Arbeitgebern, die das zur Hälfte mittragen. Das zeigt, dass die Menschen ganz genau wissen, wie wichtig das Thema ist. Ich sage im Übrigen immer, nicht jeder Erwachsene hat Kinder, aber jedes Kind hat Eltern.