Der Konflikt in der Ostukraine hat allem Anschein nach die schwerste Flugzeugkatastrophe in Europa seit Jahrzehnten verursacht. Unter den Toten sind 154 Niederländer und auch vier Deutsche. Wer trägt die Verantwortung?
Moskau/Amsterdam. Nach dem mutmaßlichen Abschuss einer malaysischen Boeing über der Ostukraine mit 298 Menschen an Bord bleiben die Hintergründe der Tragödie weiterhin ungeklärt. Der ukrainische Präsident Poroschenko sprach von einem „terroristischen Akt“. Er warf den prorussischen Separatisten vor, die Boeing mit einer Rakete abgeschossen zu haben – wie zuletzt mehrere ukrainische Militärflugzeuge. Die USA gehen davon aus, dass eine Boden-Luft-Rakete abgefeuert wurde. Das Flugzeug sei auf einer Höhe von 9100 Meter geflogen, hieß es unter Berufung auf Daten eines Spionagesatelliten der US-Streitkräfte.
Die Aufständischen dementierten, für den Absturz der Boeing 777-200 verantwortlich zu sein. Unter den Opfern sind neben 154 Niederländern auch 4 Deutsche. In New York kommt am Freitag der UN-Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung zusammen. US-Präsident Barack Obama forderte eine internationale Untersuchung der Ursache für den Absturz über der von Rebellen kontrollierten Region in der Ostukraine. In einem Telefonat mit seinem ukrainischen Kollegen Poroschenko sagte Obama, am Ort des Absturzes dürfe nichts verändert werden, bis internationale Experten „alle Aspekte der Tragödie“ untersuchen können. Zugleich sicherte der US-Präsident sofortige Hilfe von US-Experten zu, teilte das Weiße Haus weiter mit. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, die EU und die Nato verlangten eine internationale Untersuchung. Auf Betreiben Großbritanniens berief der UN-Sicherheitsrat auf Betreiben Großbritanniens eine Krisensitzung zur Ukraine ein, die am (heutigen) Freitagnachmittag stattfinden soll.
US-Vizepräsident Joe Biden bestätigte den Abschuss. Der Vorfall sei „kein Unfall“ gewesen, sagte er. Vielmehr sei das Flugzeug „vom Himmel geblasen“ worden. Die Version würden Angaben des malaysischen Regierungschefs Najib Razak stützen, wonach die Maschine vor ihrem Absturz keinen Notruf abgesetzt habe. Zudem sei die Flugroute von der Internationalen Zivilluftorganisation für sicher erklärt worden, sagte Razak vor Reportern in Kuala Lumpur.
Niemand der 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder überlebte am Donnerstag den Absturz aus etwa 10.000 Meter Flughöhe. Russlands Präsident Wladimir Putin gab der Ukraine indirekt die Schuld. Die schreckliche Tragödie wäre nicht passiert, wenn es in der Ostukraine keinen Krieg gebe, sagte der Kremlchef.
Zahlreiche Aids-Aktivisten an Bord
Der Vizepräsident der Malaysia Airlines Europe, Huib Gorter, sagte am Abend am Amsterdamer Flughafen Schiphol, dass vier deutsche Passagiere ums Leben gekommen seien. Vom Auswärtigen Amt in Berlin gab es dafür zunächst auf Anfrage keine Bestätigung. An Bord waren auch 27 Australier, 23 Malaysier, 11 Indonesier, 9 Briten, 5 Belgier, 3 Philippiner und ein Kanadier. Von den anderen Passagieren stehe die Nationalität noch nicht fest, so der Manager. Die Maschine war als Flug MH 017 um 12.15 Uhr von Amsterdam mit dem Ziel Kuala Lumpur gestartet. An Bord waren zahlreiche Aids-Aktivisten. Sie befanden sich auf dem Weg zum Welt-Aids-Kongress im australischen Melbourne, wie die International Aids Society mitteilte. Es sei davon auszugehen, dass von den 283 Passagieren insgesamt 108 Aids-Delegierte und deren Familienangehörige gewesen seien.
Es ist der zweite schwere Schlag für Malaysia Airlines innerhalb von Monaten. Im März verschwand Flug MH370 mit 239 Menschen an Bord auf dem Flug von Kuala Lumpur nach Peking. Wochenlange Suchen im Pazifik nach dem Wrack blieben erfolglos.
In der Ostukraine erreichten Rettungskräfte am Donnerstagabend das Wrack des Flugzeugs in der Nähe der Ortschaft Grabowo. „Die Arbeiten werden davon erschwert, dass die Trümmer in großem Umkreis verstreut sind“, sagte der Sprecher des ukrainischen Notfalldienstes, Sergej Botschkowski. Zudem seien bewaffnete Separatisten in der Nähe. Die Aufständischen gaben an, sie hätten den Flugschreiber der Boeing gefunden. „Die Black Box wurde sichergestellt“, sagte einer der Sprecher, Konstantin Knyrik. Auch Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) machten sich auf den Weg zum Wrack. Die Separatisten boten am Abend eine befristete Feuerpause während der Bergungsarbeiten an. Zudem sicherten sie Einsatzkräften und Ermittlern freien Zugang zum Wrack zu, wie die OSZE in Wien mitteilte.
Russland und die Ukraine streiten über die Ursachen der Tragödie. Die ukrainische Luftwaffe hat nach den Worten Poroschenkos mit der Tragödie nichts zu tun. Dies wiederum wurde von russischer Seite in Frage gestellt. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, es sei angesichts der schweren Gefechte in der Region für die ukrainische Führung unmöglich, in so kurzer Zeit den eigenen Einsatz von Raketen glaubhaft auszuschließen.
Der Luftraum über der Ostukraine wurde nach dem Absturz nahe Donezk gesperrt. Das hätten die ukrainischen Behörden kurz nach dem Absturz nahe Donezk beschlossen, teilte die europäische Organisation für die Luftverkehrskontrolle, Eurocontrol, in Brüssel mit. Die Maßnahme gelte vorerst unbefristet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich schockiert und forderte eine umgehende und unabhängige Untersuchung. Merkel trauere um die Opfer des Absturzes der malaysischen Passagiermaschine, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. „Sollte sich diese Nachricht (vom Abschuss) bestätigen, so stelle sie eine weitere, tragische Eskalation des Konfliktes im Osten der Ukraine dar.“
Die Separatisten hatten zuletzt mehrfach zugegeben, ukrainische Kampfjets, Transportmaschinen und mehrere Hubschrauber abgeschossen zu haben. Nach unbestätigten Berichten haben die Separatisten behauptet, ein Buk-Flugabwehrsystem im Verlauf der Kämpfe erbeutet zu haben. Das in den 80er-Jahren von der sowjetischen Militärindustrie entwickelte Lenkwaffen-System Buk (Buche) kann Ziele in Höhen bis zu 25 000 Metern treffen.