Eine mit 298 Menschen besetzte Maschine aus Amsterdam ist in Donezk abgestürzt. Die Ukraine und mehrere Nachrichtenagenturen gehen von einem Abschuss aus. Verdächtigt werden die Separatisten. Überlebende gibt es vermutlich keine.
Kiew/Moskau. Eine Passagiermaschine der Malaysia Airlines mit 298 Menschen an Bord ist am Donnerstag im Osten der Ukraine abgestürzt und in umkämpftem Gebiet zerschellt. Das berichteten russische und ukrainische Quellen übereinstimmend unter Berufung auf Sicherheitskreise. Die Maschine sei abgeschossen worden, teilte Anton Geraschtschenko, Berater des ukrainischen Innenministeriums, nach Angaben der russischen Agentur Ria Nowosti mit. Sie sei von einer Rakete des Systems Buk getroffen worden. Alle 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder seien tot. Unter den Opfern waren auch Dutzende US-Amerikaner und Niederländer. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Unglücks machten sich die ukrainische Führung und die Separatisten gegenseitig für einen Abschuss der Passagiermaschine verantwortlich. Der Flug MH 017 war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur.
Vier Deutsche Opfer bei Flugzeugabsturz
Bei dem Absturz des Flugzeugs über der Ukraine sind 298 Menschen ums Leben gekommen, darunter vier Deutsche. Das teilte der Vizepräsident der Fluggesellschaft Malaysia Airlines Europe, Huib Gorter, am Donnerstagabend am Amsterdamer Flughafen Schiphol mit. Von den Opfern kamen nach bisherigen Angaben 154 aus den Niederlanden. An Bord waren außerdem 27 Australier, 23 Malaysier, 11 Indonesier, 6 Briten, 4 Belgier, 3 Philippiner und ein Kanadier. Von den anderen Passagieren steht die Nationalität noch nicht fest. An Bord des Flugzeuges waren 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder. Die Maschine war um 12.15 Uhr von Amsterdam abgeflogen mit dem Ziel Kuala Lumpur.
Das Auswärtige Amt äußert sich nicht bislang nicht dazu, ob sich unter den Opfern des Flugzeugabsturzes Deutsche befinden. Man arbeite mit Hochdruck daran, die Situation aufzuklären. „Wir möchten uns noch nicht dazu äußern, ob sich Deutsche unter den Opfern befinden“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am späten Donnerstagabend.
Briten beantragen UN-Sondersitzung
Mit dem Absturz des Passagierflugzeugs über der Ukraine wird sich auch der UN-Sicherheitsrat befassen. Die Briten haben eine Sondersitzung des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen beantragt, wie aus Diplomatenkreisen in New York verlautete. Ruanda, das in diesem Monat dem Rat vorsitzt, hatte bereits Zustimmung signalisiert, aber zunächst keinen Termin festgelegt. Dem Vernehmen nach sollte sich der Sicherheitsrat am Freitagnachmittag (Ortszeit, 21 Uhr deutscher Zeit) mit dem Thema befassen.
Rettungskräfte am Absturzort
Absturzstelle sei das von ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten umkämpfte Konfliktgebiet Donezk. Am Abend erreichten ukrainische Rettungskräfte das Wrack des Flugzeugs in der Nähe der Ortschaft Grabowo. „Die Arbeiten werden davon erschwert, dass die Trümmer in großem Umkreis verstreut sind“, sagte der Sprecher des Notfalldienstes, Sergej Botschkowski. Zudem würden sich zahlreiche bewaffnete Separatisten an der Absturzstelle aufhalten.
Flug hatte vor Absturz keine Probleme
Die Boeing 777-200 habe beim Überflug der Ukraine keine Auffälligkeiten gezeigt, sagte Generaldirektor Dmitri Babejtschuk von der ukrainischen Flugaufsicht. „Es gab keine Mitteilungen der Piloten. Später ist das Flugzeug vom Radar verschwunden“, sagte er.
Vor ihrem Absturz über der Ostukraine hat die Passagiermaschine der Malaysia Airlines laut der Regierung in Kuala Lumpur keinen Notruf abgesetzt. Zudem sei die Flugroute von der Internationalen Zivilluftorganisation für sicher erklärt worden, teilte der malaysische Ministerpräsident Najib Razak mit.
Doch könne Malaysia die Ursache der Tragödie noch nicht feststellen, „aber wir müssen und werden herausfinden, was genau auf diesem Flug passiert“ sei, fügte Razak hinzu. „Kein Stein wird auf dem anderen gelassen“. Zuvor hatte er mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, den Niederlanden sowie US-Präsident Barack Obama telefoniert.
Separatisten sollen über Buk-Raketen verfügt haben
In Kiew warf Präsident Petro Poroschenko den Separatisten vor, die Boeing 777-200 des Flugs MH 017 der Malaysia Airlines am Donnerstag abgeschossen zu haben – wie zuletzt mehrere ukrainische Militärflugzeuge. Die ukrainische Luftwaffe habe mit der Tragödie nichts zu tun, teilte er mit. Poroschenko ordnete umgehend die Bildung einer Untersuchungskommission an. Er betonte, die ukrainischen Streitkräfte hätten mit dem Zwischenfall nichts zu tun. „Wir sind überzeugt, dass die Verantwortlichen für diese Tragödie zur Verantwortung gezogen werden.“
Die prorussischen Kräfte hingegen warfen den ukrainischen Streitkräften den Abschuss vor. Die Boeing 777 sei nahe der Großstadt Donezk abgestürzt, sagte der selbst ernannte Premierminister der nicht anerkannten „Volksrepublik“, Alexander Borodaj. Die Aufständischen hätten keine Abwehrwaffen, um Maschinen in einer Höhe von 10.000 Metern abzuschießen. Es handele sich um eine „Provokation“ der ukrainischen Luftwaffe, sagte Borodaj.
Ein AP-Journalist hatte am Donnerstag ein Buk-System in der Nähe der ostukrainischen Stadt Snischne gesehen. In der Ostukraine hatten prorussische Kräfte zuletzt wiederholt Militärflugzeuge abgeschossen, die deutlich niedriger fliegen als Passagiermaschinen.
Vieles spricht für einen Abschuss durch Separatisten
Doch vieles spricht für einen Abschuss durch die prorussischen Separatisten: So hatten sich Separatisten am Donnerstag mit dem Abschuss eines Flugzeugs in sozialen Netzwerken gebrüstet. „Wir haben soeben eine AN-26 abgeschossen“, schrieb Igor Strelkow, selbsternannter Verteidigungsminister der von den Separatisten ausgerufenen „Volksrepublik Donezk“ am Nachmittag. Bei der AN-26 handelt es sich um einen von der ukrainischen Armee genutzten Transportflugzeugtyp.
Strelkow stellte zu seinem Eintrag ein Video, in dem dichter schwarzer Rauch zu sehen war und das dem in anderen Internetforen veröffentlichten Aufnahmen nach dem Flugzeugabsturz sehr ähnelt. Er schrieb, die angebliche AN-26 sei nahe der Ortschaft Snischne abgeschossen worden. Diese wiederum liegt genau in jener Gegend, in der wenig später die Trümmer der malaysischen Passagiermaschine gefunden wurden. Der Eintrag wurde zwar später entfernt, doch der Zeitung „Die Welt“ sollen die Informationen vorliegen.
Außerdem hatten Separatisten zuletzt mehrfach zugegeben, ukrainische Kampfjets, Transportmaschinen und mehrere Hubschrauber abgeschossen zu haben. Nach offiziell unbestätigten Twitter-Berichten haben die Separatisten behauptet, ein Buk-Flugabwehrsystem im Verlauf der Kämpfe erbeutet zu haben. Nach Geraschtschenkos Angaben wurde die Maschine von einer Rakete aus einem Buk-Flugabwehrsystem (Buk, Russ. Buche) getroffen. Das in den 80er-Jahren von sowjetischen Militärs entwickelte Lenkwaffen-System kann Ziele in Höhen bis zu 25.000 Metern treffen.
Separatisten erklären sich zur Feuerpause bereit
Nach dem Absturz haben sich die prorussischen Separatisten aber zu einer kurzen Feuerpause bereit erklärt. Diese solle dazu dienen, die Leichen zu bergen, sagte der selbsternannte Regierungschef der von den Separatisten ausgerufenen „Volksrepublik Donezk“, Alexander Borodaj.
Blackbox bereits sichergestellt
Nach dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine haben sich Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf den Weg zum Wrack gemacht. Nach dem Eintreffen des Teams in der Nähe der Ortschaft Grabowo sollen die Beobachter eine Einschätzung der Lage abgeben, berichteten Medien in der früheren Sowjetrepublik am Donnerstag. Unterdessen gaben die prorussischen Separatisten bekannt, den Flugschreiber der Boeing 777-200 gefunden zu haben. „Die Black Box wurde sichergestellt“, sagte einer der Sprecher der Aufständischen, Konstantin Knyrik.
Verzweifelte Angehörige am Amsterdamer Flughafen
Am Amsterdamer Flughafen Schiphol hatten sich rund 100 Angehörige von Passagieren der abgestürzten Unglücksmaschine versammelt. Ratlos, tief bestürzt und weinend meldeten sich Freunde und Verwandte am Informationsschalter, wie das niederländische Fernsehen berichtete. „Ich habe gehört, dass ich mich hier melden soll“, sagt eine Frau. „Mein Schwager saß in der Maschine.“
An Bord der abgestürzten Maschine von Malaysian Airlines sollen mehrere Dutzend Niederländer gewesen sein. Freunde und Familien möglicher Opfer wurden später in zwei Bussen in Begleitung einer Polizeieskorte zu einem nicht genannten Ort gefahren. Journalisten hatten dort keinen Zutritt. Dort sollten sie über das Unglück informiert werden, teilte der Flughafen mit. Reiseveranstalter und das Außenministerin richteten für Angehörige eine Sondertelefonnummer ein.
Merkel äußert sich schockiert über Absturz
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich schockiert über den Flugzeugabsturz in der Ostukraine gezeigt und eine umgehende und unabhängige Untersuchung gefordert. Merkel trauere um die Opfer des Absturzes der malaysischen Passagiermaschine, ihr Mitgefühl gelte den Angehörigen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Schockierend seien auch die mutmaßlichen Umstände, wonach das Flugzeug aus großer Höhe abgeschossen worden sein soll. „Sollte sich diese Nachricht bestätigen, so stelle sie eine weitere, tragische Eskalation des Konfliktes im Osten der Ukraine dar.“
Malaysia will Abschuss prüfen
Die malaysische Regierung bestätigte die Berichte über den möglichen Abschuss einer Passagiermaschine von Malaysia Airlines über der Ukraine vorerst nicht und rief stattdessen zur Ruhe auf. „Wir haben keine Bestätigung für einen Abschuss!“, schrieb Verteidigungsminister Hishammuddin Hussein am Donnerstag auf Twitter. „Unser Militär wurde angewiesen, dies zu untersuchen.“
Der malaysische Ministerpräsident Najib Razak hat eine sofortige Untersuchung von Berichten zum Verlust einer Passagiermaschine über der Ukraine angeordnet. Die Fluggesellschaft Malaysia Airlines hatte zuvor erklärt, sie habe den Kontakt zu Flug MH 017 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur verloren.
USA bieten Hilfe bei Aufklärung an
Die USA haben ihre Unterstützung bei der Aufklärung des Absturzes zugesagt. „Die Vereinigten Staaten werden jede mögliche Hilfe anbieten, um festzustellen, was passiert ist und warum“, sagte US-Präsident Barack Obama am Donnerstag in Wilmington im Bundesstaat Delaware. „Es sieht aus, als ob es eine schreckliche Tragödie sein könnte.“ Oberste Priorität seiner Regierung sei, herauszufinden, ob sich US-Bürger an Bord befunden hätten. Seine Sicherheitsberater seien in „engem Kontakt“ mit den ukrainischen Stellen, sagte der US-Präsident.
Putin übermittelt malaysischer Regierung sein Beileid
Kremlchef Wladimir Putin hat der malaysischen Regierung nach dem Unglück sein Beileid übermittelt. Er sei traurig über die „Katastrophe über dem Territorium der Ukraine, die so viele Menschenopfer gekostet“ habe, schrieb Putin in einem am Donnerstag vom Kreml veröffentlichten Telegramm. Der russische Staatschef bitte die malaysische Regierung, allen Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer seine aufrichtige Anteilnahme zu übermitteln, wie die Agentur Interfax meldete.
Lufthansa macht einen Bogen um die Ukraine
Nach dem Abschuss des Flugzeugs über der Ostukraine ändert die Lufthansa ihre Flugrouten. „Die Lufthansa hat sich entschieden, von sofort an den ostukrainischen Luftraum weiträumig zu umfliegen“, sagte eine Sprecherin der Fluglinie am Donnerstag. Eine Sperrung des Luftraums der Ukraine habe es nicht gegeben und gebe es auch derzeit nicht. Von der Entscheidung, die Flugrouten zu ändern, seien im Laufe des Donnerstag noch vier Flüge betroffen
Frankreich fordert zum Umfliegen des ukrainischen Luftraums auf
Auch Französische Fluggesellschaften sind bis auf weiteres aufgefordert, den Luftraum über der Ukraine nicht mehr zu benutzen. Die Schutzmaßnahme werde mindestens so lange gelten, bis die Ursache für die Flugzeugkatastrophe am Donnerstag geklärt seien, teilte das französische Verkehrsministerium am Abend mit. Die Aufforderung gelte ab sofort, hieß es. Die größte französische Fluggesellschaft Air France hatte zuvor bereits mitgeteilt, den Osten der Ukraine mit sofortiger Wirkung nicht mehr zu überfliegen. Über die Krim fliege man bereits seit dem 3. April dieses Jahres nicht mehr, hieß es.
Cockpit: Konfliktgebiete zu überfliegen ist nicht unüblich
Der Überflug von Konfliktgebieten wie etwa der Ostukraine durch Passagiermaschinen ist nach Angaben der Vereinigung Cockpit nicht unüblich. Das Vorstandsmitglied von Cockpit, Markus Wahl, sagte der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag, so werde zum Beispiel im täglichen Betrieb der Irak und Afghanistan überflogen. „Wenn es denn keine konkreten Hinweise gibt, dass es gefährlich ist, solche Gebiete zu überfliegen, in einer großen Höhe, dann ist es tatsächlich tägliche Routine.“ Angesichts der Katastrophe forderte Wahl, „jetzt vorsichtshalber das Krisengebiet nicht weiter zu überfliegen“.
Raketenwarnsysteme gibt es laut Wahl für Passagiermaschinen nicht. Es gebe solche Warnsysteme, die aber dem militärischen Bereich vorbehalten seien. „In normalen Passagierflugzeugen gibt es solche Warnsystem im Moment auf jeden Fall nicht.“
Ob solche System einen möglichen Abschuss verhindert hätten, ist nicht klar. Das könne man erst bewerten, meinte Wahl, wenn man wisse, was geschehen sei. „Solche Ausrüstungen kosten natürlich auch immer sehr viel Geld. Aber ich glaube darüber jetzt zu spekulieren, ist noch deutlich zu früh. Jetzt muss man erst einmal abwarten was genau geschehen ist.“
Wieder eine Tragödie für Malaysia Airlines
Für Malaysia Airlines wiederum ist es schon der zweite Verlust einer Passagiermaschine in diesem Jahr. Am 8. März war der Flug MH 370 nach dem Start in Kuala Lumpur in Richtung Peking von den Radarschirmen verschwunden. An Bord der Boeing 777 waren 239 Menschen. Über ihr Schicksal und darüber, was an Bord der Maschine passierte, herrscht völlige Ungewissheit. Trotz intensiver Suche wurde bislang keine Spur der Unglücksmaschine entdeckt.