Die Ärzte werfen den Krankenkassen schwerwiegende Versäumnisse vor. Die neue elektronische Gesundheitskarte verstoße gegen den Datenschutz und sei im Grunde genommen nutzlos.
Hamburg/Berlin Es ist ein Desaster für den Datenschutz und eine Pleite für das deutsche Gesundheitswesen. Die neue elektronische Gesundheitskarte (eGK), die nach Angaben der gesetzlichen Krankenkassen mittlerweile zwischen 55 und 60 Millionen Bürger besitzen, ist offenbar nutzlos. Weil die Kassen darauf verzichtet haben, die Fotos zu prüfen, kann sie nicht eingesetzt werden wie geplant.
In einem bislang geheimen Gutachten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), das dem Hamburger Abendblatt vorliegt, heißt es: Die Krankenkassen haben geschludert, als sie die Fotos ihrer Versicherten eingesammelt haben. „Die Krankenkassen sind verpflichtet, bei der Ausstellung der eGK die Übereinstimmung des auf der eGK aufgedruckten Lichtbildes, der Person des Inhabers der Karte sowie der zukünftig auf der eGK gespeicherten weiteren Sozialdaten zu verifizieren. Dieses wird bislang nicht durchgeführt, was problematisch ist, da zukünftig sensible Daten auf der eGK gespeichert werden sollen“, steht in der juristischen Expertise. Die KBV ist Deutschlands wichtigste Ärzte-Organisation. Sie handelt unter anderem die Honorare für die niedergelassenen Ärzte aus und sitzt wie die Krankenkassen auch in der Gematik – jener Gesellschaft, die die Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte überwacht.
Das brisante Gutachten der Ärzteorganisation macht den Kassen weitere schwere Vorwürfe: „Bei Erstellung der eGK erfolgt eine Verifizierung der Angaben in keinem Punkt. (...) Dadurch werden durch die Krankenkassen keine Identitätsnachweise ausgestellt, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.“ Mit anderen Worten: Die Karten sind ungültig und müssten eingezogen oder nachgerüstet werden.
Dem widersprechen die Kassen und das Bundesgesundheitsministerium. Das Ministerium beteuert, es sei alles korrekt gelaufen. Aber: „Es ist unbestritten, dass die richtige Zuordnung der Daten der Gesundheitskarte zum Karteninhaber gewährleistet sein muss. Dafür ist neben weiteren Maßnahmen auch eine Identifizierung des Versicherten erforderlich, die jedoch nicht zum Zeitpunkt der Lichtbildübermittlung durchzuführen ist.“ Wann noch geprüft wird, ob der Karteninhaber auch der Mensch auf dem Foto ist, ließ das Ministerium offen. Dabei sagt das E-Government-Gesetz klar: Wenn man auf Sozialdaten wie persönliche Gesundheitsangaben zugreift, und sei es nur um zu sehen, wo jemand versichert ist, dann muss dessen Identität juristisch geprüft sein.
Die neue Gesundheitskarte wurde auch eingeführt, um Missbrauch zu verhindern, denn das Foto gibt der Kassenkarte einen Status ähnlich dem eines Personalausweises. Durch die Foto-Panne ist das nun ad absurdum geführt. Auch der Vorsitzende des Hamburger Ärzteparlaments, Dr. Dirk Heinrich, lehnt die neue Karte ab. „Sensible medizinische Daten gehören in die Hand des Patienten.“ Die neue Karte berge große Risiken.
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