Die Staats- und Regierungschef der 27 EU-Staaten gestatteten Irland die gewünschten Ausnahmen. Anfang Oktober könnte es ein neues Referendum geben.
Brüssel. Ein Jahr nach dem „Nein“ der Iren zur EU-Reform ist der Weg für eine neue Volksabstimmung frei. Nach Garantien des EU-Gipfels zur Eigenständigkeit des Landes stellte Irland am Freitag ein neues Referendum für Anfang Oktober in Aussicht. Irland habe „feste rechtliche Garantien“ erhalten, die in einem völkerrechtlich verbindlichen Protokoll festgehalten würden, sagte der irische Premier Brian Cowen. Damit gebe es „eine solide Basis“ dafür, das irische Volk erneut zur EU-Reform zu befragen. Die Iren hatten diese vor einem Jahr durchfallen lassen und die EU damit in eine Krise gestürzt. Die EU sichert Irland nun zu, dass sein Abtreibungsverbot durch den Reformvertrag von Lissabon ebenso unangetastet bleibt wie die Steuerpolitik und die Neutralität in Verteidigungsfragen.
Damit habe die EU-Reform eine weitere „Hürde“ bewältigt, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Wir können heute noch nicht sagen, dass das alles klappt, aber wir werden mit Entschlossenheit weiter an diesem Weg arbeiten.“ EU-Kommissionschef José Manuel Barroso zeigte sich „sehr optimistisch“, dass die Iren den Lissabon-Vertrag im zweiten Anlauf annehmen werden.
Großbritannien hatte sich auf dem Gipfel zunächst dagegen gesperrt, die Garantien für Irland in einem Protokoll festzuschreiben. Denn dieses muss von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Der innenpolitisch angeschlagene Premier Gordon Brown fürchtete, dass dadurch im europaskeptischen Großbritannien eine neue EU-Reformdebatte aufbrechen könnte. Laut dem irischen Außenminister Michael Martin gibt es jetzt für die anderen EU-Staaten „ausreichende Garantien“, dass das Protokoll in der Praxis nicht zu einer „erneuten Ratifizierung von Lissabon“ führt.
Brown gelang es dagegen, die Pläne zur Stärkung der europäischen Finanzmarktaufsicht zurechtzustutzen. Zwar können ab 2010 drei EU-Behörden in grenzüberschreitenden Fällen bei der Überwachung von Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkten nationale Kontrolleure überstimmen. Ausgeschlossen ist aber, dass sie Entscheidungen treffen, die Regierungen zu Ausgaben zwingen.
Einstimmig sprach sich der EU-Gipfel für eine zweite Amtszeit von Barroso aus. Er sei „stolz und bewegt“ angesichts dieser klaren Unterstützung, sagte der 53-jährige Liberalkonservative. Das Europaparlament soll Barroso nach dem Wunsch der Staats- und Regierungschefs möglichst Mitte Juli zustimmen. Doch dort gibt es starken Widerstand. Der Ko-Vorsitzende der europäischen Grünen-Fraktion, Daniel Cohn-Bendit, warf dem Gipfel eine „Brachialtour“ vor. „Die Grünen bleiben bei ihrer Position, dass es unverständlich ist, Barroso auf der Basis des Nizza-Vertrages im Juli zu wählen“, erklärte er. Der SPD-Politiker und Chef der Sozialisten-Fraktion, Martin Schulz, sagte, die Nominierung Barrosos durch den EU-Gipfel sei „politisch, rechtlich und institutionell empörend“. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) betonte dagegen, Europa könne sich „ein langes Machtvakuum in der EU nicht leisten“. Er sei „sicher, dass daraus auch kein weiterer Streit entsteht“.