Die Warnung vor dem Bundestrojaner zeigt: Chaos Computer Club hat sich zum engagierten Schützer digitaler Bürgerrechte entwickelt.
Hamburg/Berlin. An einem Tisch, der schon in der legendären Hippie-Gemeinschaft "Kommune 1" gestanden hatte, kamen die Gründer des Chaos Computer Clubs (CCC) im Jahr 1981 in Berlin erstmals zusammen. "Damit wir als Komputerfrieks nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln, tun wir wat und treffen uns", hieß es ohne Rücksicht auf Orthografie in der Einladung. Die Annonce wurde in der damals noch jungen "tageszeitung" veröffentlicht. Unterschrieben hatte sie auch ein gewisser "Tom Twiddlebit". Dahinter verbarg sich der Hamburger Klaus Schleisiek, ein Gründungsvater des CCC. "Wir haben Fragestellungen aufgeworfen, die noch immer aktuell sind", sagt er heute. Netzwerke, Datenrecht, Copyright, Verschlüsselung - diese Punkte setzte er damals auf die Agenda. In Hamburg wurde der CCC dann groß und hat in der City Nord bis heute seinen Sitz.
Die Themen sind geblieben, aber der CCC hat sich in 30 Jahren verändert. Er ist gewachsen und hat sich zu einem ernst zu nehmenden politischen Akteur entwickelt. Mit der Enthüllung vom Wochenende, dass die Bundestrojaner genannte staatliche Spähsoftware gegen die Vorgaben des Verfassungsgerichts verstoße, hat der Verein eine Empörungswelle ausgelöst. Der CCC hatte ihm zugespielte Überwachungsprogramme untersucht. "Der Trojaner enthält Funktionen, die weit über das vorgesehene Abhören von Kommunikation hinausgehen", sagt CCC-Sprecher Frank Rieger dem Abendblatt. Ein digitaler großer Lausch- und Spähangriff werde möglich. Gründungsmitglied Klaus Schleisiek sagt, die Berichterstattung sei Rückenwind für die eigentlichen Anliegen des CCC. Es gehe darum, private Daten zu schützen und öffentliche besser zu nutzen, sagt CCC-Sprecher Frank Rieger, so stehe es in der Hacker-Ethik des Vereins. Es geht um digitale Bürgerrechte.
Dementsprechend sind der Bundesinnenminister, die Ermittlungsbehörden und datensammelwütige Großunternehmen die natürlichen Feinde des CCC. Um gegen die Erfassung biometrischer Daten für Ausweise zu demonstrieren, veröffentlichte der CCC 2008 den Fingerabdruck von Wolfgang Schäuble (CDU). Der damalige Bundesinnenminister soll ihn bei einer Podiumsdiskussion auf dem Glas hinterlassen haben.
Mit überraschenden Aktionen, aber auch mit viel Sachverstand hat sich aus einer Versammlung von Hackern ein Verein entwickelt, dessen Einfluss mancher mit den Globalisierungskritikern von Attac oder der Menschenrechtsorganisation Amnesty International vergleicht. Kamen zum Gründungstreffen einst etwa 25 junge Männer und eine Frau, hat der CCC heute gut 3000 Mitglieder. "Das sind Menschen, die im Maschinenraum des Internets arbeiten", sagt Klaus Schleisiek. Für fast jedes technische Problem des Netzes finde sich ein Experte.
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Die CCC-Gruppe, die sich für Netzpolitik interessiere, sei eher eine Minderheit, sagt der Hamburger Vereinsgründer. Diese Hacker verstehen sich als politische Aktivisten - mit neuen Methoden. Sie demonstrieren nicht auf der Straße und besetzen keine Häuser. Sie dringen in die Festplatten von Computern ein, spüren Fehler in Systemen auf. Denn eine Demonstration von Sicherheitslücken kann sehr überzeugend sein - wie damals am 19. November 1984 in Hamburg.
Damals mischte der 23 Jahre alte Steffen Wernéry mit Freunden die Hamburger Sparkasse (Haspa) und das Bundespostministerium auf. Sie schickten sinnlose Nachrichten an den hochgelobten Bundespostdienst "Bildschirmtext", kurz BTX, einen Vorläufer des Internets. Irgendwann war der Speicher voll, und die BTX-Seite gab ihr Passwort preis; "usd70000" lautete der Schlüssel, mit dem Wernéry und Co. in dieser einen Nacht insgesamt 135 000 Mark von der Haspa auf das Konto des CCC abbuchen konnten. Der "Spiegel" und das "heute journal" berichteten. Der CCC hatte seinen ersten großen Coup gelandet.
Dreißig Jahre später hat er sogar so etwas wie eine ständige Vertretung in der politischen Landschaft. Die Piratenpartei und der CCC haben große inhaltliche, aber auch einige personelle Schnittmengen. Der CCC ist Teil der großen Netzgemeinde.
Man trifft sich anonym in Foren und Blogs. Aber auch in der analogen Welt. In vielen Städten gibt es lokale Gruppen. Die Hamburger Gruppe trifft sich immer dienstags. Es gibt Diskussionsveranstaltungen, Grillabende, Fahrten zu nationalen und internationalen Hacker-Treffen. Althacker sollen ihr Wissen an die jungen Mitglieder weitergeben. "Vor dem Rechner vereinsamt mancher, die Gruppen des CCC bieten auch sozialen Ausgleich", sagt Schleisiek. Einmal im Jahr kommen Tausende Hacker zum Kongress nach Berlin.
In ihrer Geschichte waren die "Komputerfrieks" oft eine digitale Avantgarde. Sie grenzten sich ab gegen das Establishment, in ihren Augen waren Politiker oft Computer-Analphabeten, der Staat vor allem Datensammler und Bedrohung. Die kritische Haltung gegenüber dem Staat ist geblieben, aber mit der Digitalisierung der Gesellschaft, mit Laptops und Smartphones haben die CCC-Hacker den langen Marsch durch die Institutionen angetreten - bis in die Mitte der Gesellschaft.