Ein gutes Omen: Auch Mubarak gab kurz vor seinem Sturz Starreporterin Christiane Amanpour ein Interview. Die EU ruft zum Libyen-Sondergipfel.
Tripolis/Brüssel/Berlin. Die Flüchtlingslage in Libyen verschärft sich, die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten kommen am 11. März zu einem Libyen-Sondergipfel zusammen. Es wird international um eine Flugverbotszone, um den Rücktritt und eine Flucht des Diktators und „Revolutionsführers“ Muammar al-Gaddafi gerungen. Und Gaddafi selbst gibt Interviews und lässt Journalisten auf Touren durch die Hauptstadt Tripolis führen. Eine Propagandaschlacht sondergleichen. „Sie lieben mich, mein ganzes Volk steht zu mir, sie lieben mich“, sagte Gaddafi in einem Gespräch mit westlichen Journalisten.
Der Termin zum Krisengipfel der EU bot sich an, weil sich am selben Tag bereits die Chefs der 17 Euro-Länder in der EU-Hauptstadt treffen. Sie wollen über ein Reformpaket für den Euro beraten. Der Sondergipfel werde von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und dem ständigen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy vorbereitet, hieß es. Der EU war in den vergangenen Wochen ein zögerliches Handeln im Hinblick auf die Unruhen in Nordafrika vorgeworfen worden. So konnten sich die 27 Staaten erst nach mehreren Tagen auf Sanktionen gegen das Regime von Gaddafi einigen. Auch in der Flüchtlingspolitik fanden die Staaten keine gemeinsame Linie. Vor allem Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy hatte sich für einen Sondergipfel eingesetzt.
Ein gutes Omen: Auch Ägyptens verhasster Herrscher Hosni Mubarak hatte dem US-Fernsehsender ABC und Starreporterin Christiane Amanpour ein Interview gegeben – kurz bevor er seinen Palast räumte.
Nach dem Beschluss der Europäischen Union zu umfangreichen Sanktionen gegen Libyens Herrscherfamilie hat Deutschland das Konto eines Gaddafi-Sohnes eingefroren. Das sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) und betonte, damit setze die Bundesregierung ein klares Signal, dass die Sanktionen nicht nur theoretisch beschlossen, sondern auch unverzüglich umgesetzt würden. Er verlangte, jetzt müsse der Druck aufrechterhalten werden und bekräftigte seine Forderung, sämtliche geschäftliche Zahlungen für 60 Tage auszusetzen, damit kein frisches Geld in die Hände der libyschen Regierung gelangen könne, das wiederum dafür eingesetzt werde, Söldner anzuheuern und einen Bürgerkrieg gegen das eigene Volk zu führen. Westerwelle versicherte: „Wir wollen mit diesen Sanktionen nicht das libysche Volk treffen.“ Es gehe um den Diktator, der sein Amt aufgeben müsse.
Der Außenminister sprach sich ferner für die Benennung eines Sondergesandten der Vereinten Nationen für Libyen aus, bei dem das Engagement der internationalen Staatengemeinschaft gebündelt werde. Dieser könne auch die humanitäre Leistungen koordinieren. Nach Angaben Westerwelles sind derzeit schätzungsweise noch 46 Deutsche in Libyen, davon 36 in Tripolis. Krisenstab und Botschaft stünden mit ihnen in Kontakt. Die Deutschen seien erneut dringend aufgefordert worden, das Land soweit es möglich erscheine, zu verlassen.
Die Einrichtung einer Flugverbotszone bewertete Westerwelle zurückhaltend. Das sei eine mögliche Option. Allerdings müssten noch viele ausländische Staatsbürger über den Luftweg aus Libyen herausgeholt werden. Auch die Größe des Landes ziehe praktische Probleme nach sich. Zudem dürfe bei der dortigen Bevölkerung auf keinen Fall der Eindruck entstehen, als handele es sich um eine beabsichtigte militärische Intervention, was der „Propaganda des Diktators“ Vorschub leisten könnte. Über einen Einsatz der Bundeswehr in Libyen wollte er nicht „spekulieren“.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat die Möglichkeit einer Flugverbotszone über Libyen ausgeschlossen. Eine solche Idee sei „überflüssig“, sagte Lawrow. Wichtiger sei „die vollständige Umsetzung der Sanktionen“ gegen das Land. Die USA, Australien und mehrere europäische Regierungen hatten ein Flugverbot vorgeschlagen, um zu verhindern, dass Gaddafi sein eigenes Volk bombardiere. Ein solches Flugverbot wird seit Jahren erfolgreich im Norden des Irak angewendet. Ohne die Zustimmung der Veto-Macht Russland ist der Beschluss einer Flugverbotszone über Libyen im Uno-Sicherheitsrat nicht möglich.
Mehr als 140.000 Menschen sind nach Uno-Angaben vor der Gewalt in Libyen nach Tunesien und Ägypten geflohen. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnte vor einer humanitären Katastrophe. Die Nachbarländer Ägypten und Tunesien seien mit dem anschwellenden Flüchtlingsstrom immer stärker überfordert. Das UNHCR berichtete auch von brutalen Menschenjagden innerhalb Libyens auf Zuwanderer aus anderen afrikanischen Ländern und dem Nahen Osten.
„Wir erleben ganz klar eine sich verschärfende humanitäre Krise“, sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming. Täglich flüchteten bis zu 15.000 Männer, Frauen und Kinder vor den Kämpfen zwischen Truppen des Diktators Gaddafi und Oppositionskräften. Tausende Flüchtlinge warteten Tag und Nacht an den libyschen Grenzen zu Tunesien auf Hilfe und Weitertransport. In Ägyptens Grenzregion zu Libyen warteten ebenfalls Tausende Menschen unter widrigen Umständen auf ihre Weiterreise. Bei den meisten Flüchtlingen handele es sich um Migranten aus Ägypten und Tunesien, die in Libyen beschäftigt waren.
Das UNHCR berichtete auch von brutalen Menschenjagden innerhalb Libyens auf mehr als 11.000 wehrlose Migranten. Viele dieser Menschen aus Eritrea, Somalia, dem Tschad, dem Sudan, den Palästinensergebieten und dem Irak würden von Libyern attackiert. Auch von Tötungen sei die Rede. Libyer betrachteten besonders die Menschen aus Schwarzafrika fälschlicherweise als Söldner Gaddafis. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage könne das UNHCR den Angegriffenen nicht zur Hilfe eilen. Die Menschen hätten keine Chance sich aus Libyen abzusetzen.
Ein Ärzte-Team des Deutschen Roten Kreuzes sollte nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) bis Mittwoch in der Stadt Bengasi im Osten des Landes eintreffen. In den Krankenhäusern der Stadt müssten mehr als 2000 Verwundete behandelt werden. Ein norwegisches Medizinerteam habe in Bengasi bereits seine Arbeit aufgenommen. Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation warteten seit Tagen in Tunesien auf ihren Transport nach Libyen. Nach Angaben des Roten Kreuzes steckt auch ein finnisches Ärzteteam an der tunesisch-libyschen Grenze fest.
Mit Material von dpa/dapd/rtr/epd