Noch ist offen, ob die Unruhen in Ägypten ein Erstarken der Islamisten bringen. Merkel fordert gerade jetzt Bewegung im Friedensprozess.

Jerusalem. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Israel vor dem Hintergrund der blutigen Unruhen in Ägypten zu erkennbarer Bewegung bei den Friedensgesprächen mit den Palästinensern aufgefordert. In einem Gespräch mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu habe Merkel deutlich gemacht, dass die Proteste in Ägypten und der arabischen Welt eine Friedenslösung dringlicher denn je machten, hieß es in deutschen Regierungskreisen nach der Unterredung am Montag in Jerusalem.

Netanjahu sprach von einer dramatischen Situation in Ägypten. Es bestehe die Gefahr, dass radikale Islamisten dort die Macht übernehmen könnten. Die Kabinette beider Länder hatten sich in Jerusalem zu den dritten deutsch-israelischen Regierungskoalitionen getroffen. Netanjahu habe Merkel dargelegt, welche konkreten Schritte Israel zur Wiederbelebung des Friedensprozesses plane, sagten Teilnehmer, ohne Details zu nennen. Der Ministerpräsident habe aber den Eindruck vermittelt, er wisse, was in den nächsten Wochen zu tun sei. Ausführlich sei über den Siedlungsbau Israels gesprochen worden. Merkel habe deutlich gemacht, dass eine Fortsetzung ein ernsthaftes Problem für eine Friedenslösung sei.

Am Nachmittag kamen zahlreiche Minister der deutschen und israelischen Regierung zu bilateralen Verhandlungen zusammen. Beide Länder kooperieren künftig bei Zukunftsthemen wie Forschung, Umwelt, Klimaschutz, Energie und Entwicklungshilfe noch stärker als bisher. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) beriet schon am Sonntagabend in Tel Aviv mit seinem Amtskollegen Avigdor Lieberman über die Lage im Nahen Osten und in Ägypten. Merkel und ihr Außenminister hatten sich wiederholt hinter friedliche Demonstrationen gestellt und den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak aufgefordert, einen Prozess hin zu freien, fairen und demokratischen Wahlen einzuleiten. Zahlreiche Minister begleiteten die Kanzlerin nach Jerusalem. Erstmals nahmen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Vertreter des Landwirtschaftsministeriums an dem Treffen teil. De Maizière unterzeichnete mit seinem israelischen Kollegen nach den Waldbränden in der Nähe von Haifa mit mehr als 40 Toten im Dezember eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit bei der Katastrophenprävention und zum Bevölkerungsschutz. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) unterschrieb eine Vereinbarung zur Entwicklungszusammenarbeit in den palästinensischen Gebieten und für eine trilaterale Kooperation in der Gegend des Viktoriasees in Kenia. Zudem sei die Genehmigung für ein Kläranlagenprojekt im Gaza-Streifen durch Israel erreicht worden, in das Deutschland rund 40 Millionen Euro investiert hat.

Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will mit einer Dialogplattform zur Elektromobilität die Zusammenarbeit in diesem Bereich stärken. Mit einem deutsch-israelischen Forum im Juni möchte Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) die Forschungskooperation ausbauen. 70 deutsche Universitäten arbeiten mit 25 Hochschulen in Israel in insgesamt 106 Projekten zusammen. Während die deutschen Minister am Montagabend nach Berlin zurückreisen wollten, setzt Merkel am Dienstag ihre Gespräche in Israel fort. In Jerusalem trifft sie Staatspräsident Schimon Peres, Oppositionsführerin Zipi Livni, Wirtschaftsvertreter beider Länder und Freiwillige der Aktion Sühnezeichen.

Lesen sie auch: Noch immer fliegen Touristen nach Ägypten.

Wegen der Unruhen in Ägypten haben zahlreiche Staaten damit begonnen, ihre Bürger aus dem Land auszufliegen. Neben der deutschen Lufthansa und Air India organisierten am Montag auch die USA und Türkei zusätzliche Flüge, um Staatsangehörigen die Möglichkeit zur Heimkehr zu bieten. China schickte zwei Flugzeuge nach Kairo, um 500 am Flughafen gestrandete Staatsangehörige abzuholen, wie Air China und Hainan Air mitteilten. Auch Japan ließ nach Angaben des Außenministeriums rund 500 Bürger in der ägyptischen Hauptstadt „einsammeln“ und nach Rom bringen. Das griechische Außenministerium erklärte, mindestens zwei Militärmaschinen stünden bereit. Auch die irakische Regierung schickte ein Flugzeug auf den Weg.

Deutsche und russische Touristen in den Feriengebieten fernab der Großstädte reagierten zunächst gelassen auf die Unruhen und brachen nach Angaben der Reiseveranstalter ihren Urlaub nicht ab. Aus Deutschland sind mehrere Tausend Feriengäste im Land , aus Russland rund 40.000. Der Reiseveranstalter Thomas Cook flog am Sonntag noch Touristen aus Deutschland ein. Die belgische TUI-Travel-Tochter Jetair kündigte dagegen auf ihrer Internetseite einen Evakuierungsplan an, der ab Montag greifen sollte. Belgischen Medien zufolge halten sich etwa 1700 Landsleute am Nil auf.

Einige europäische und asiatische Unternehmen begannen damit, ihre Mitarbeiter abzuziehen, darunter der niederländisch-britische Ölkonzern Royal Dutch Shell und das italienische Energieunternehmen Eni. Die Philippinen, Thailand und das asiatische Sultanat Brunei trafen Vorkehrungen für einen besseren Schutz ihrer Bürger in Ägypten. Sie holten die Staatsangehörigen in ihre Botschaften oder forderten sie auf, sich mit Lebensmittelvorräten zu versorgen und das Haus möglichst nicht zu verlassen.

Die Sorge um die Entwicklung in Ägypten und anderen arabischen Ländern überschattet auch die Reise von Kanzlerin Angela Merkel zu den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen nach Jerusalem. Im Mittelpunkt der Gespräche mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht zudem der auf Eis liegende Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern.

Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohamed el-Baradei hat in Kairo den Rücktritt von Präsident Husni Mubarak gefordert. Mehrere Tausend Demonstranten und el-Baradei ignorierten dabei das von den Behörden verhängte Ausgehverbot. Die Streitkräfte demonstrierten ihre Macht, indem sie Kampfjets im Tiefflug über die Hauptstadt donnern ließen. Polizisten kehrten auf die Straßen zurück, von denen sie in den letzten Tagen verschwunden waren, was von Plünderern und Vandalen ausgenutzt worden war.

El-Baradei, der nach seiner Rückkehr unter Hausarrest gestellt worden war, sprach auf dem zentralen Tahrir-Platz über ein Megaphon zu den Demonstranten. „Euch gehört diese Revolution. Ihr seid die Zukunft“, sagte er. Vor Beginn des Ausgehverbots um 16 Uhr waren auf dem Tahrir-Platz – zu deutsch „Platz der Befreiung“ – rund 10.000 Menschen. Die wichtigste Forderung des Protests sei das Ende des Regimes und „der Beginn eines neuen Ägyptens, in dem jeder Ägypter in Rechtschaffenheit, Freiheit und Würde leben kann“. Der frühere Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hatte sich in den vergangenen Tagen als Führer einer Übergangsregierung angeboten.

Am Abend fiel eine starke Präsenz frommer Muslime auf dem Platz auf. Ein Führer der Muslimbruderschaft, Essam el-Erian, sagte der Nachrichtenagentur AP, er gehe mit anderen Führern der Bewegung auf den Tahrir-Platz. Die Muslimbruderschaft hat erklärt, sie akzeptiere eine Führungsrolle el-Baradeis bei der Protestbewegung gegen Mubarak.

Mubarak selbst hat seinen neuen Regierungschef Ahmed Schafik mit einem politischen Reformkurs beauftragt. In einer im Staatsfernsehen verbreiteten Ansprache stellte Mubarak einen „Dialog mit allen Parteien“ in Aussicht. Mubarak erklärte, er dringe auf „umfassende“ Schritte, um das politische System und die Verfassung zu reformieren. Außerdem forderte er Schafik auf, „entschieden“ gegen die Korruption zu kämpfen und das Vertrauen in die Wirtschaft wiederherzustellen. Als Reaktion auf die Massenproteste hatte der seit drei Jahrzehnten amtierende Mubarak die gesamte Regierung entlassen und den früheren Luftfahrtminister Schafik zum neuen Ministerpräsidenten gemacht. Zum Vizepräsidenten ernannte er den Geheimdienstchef Omar Suleiman. Die neuen Kabinettsmitglieder standen zunächst noch nicht fest.

(dpa/abendblatt.de)