Erst geraten Arbeitsministerin von der Leyen und SPD-Chef Gabriel aneinander. Nach dem Schlagabtausch wird die Sitzung unterbrochen
Berlin. Nach einem unerwarteten Rededuell zwischen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und SPD-Parteichef Sigmar Gabriel setzte die Linksfraktion die sofortige Einberufung des Ältestenrates des Parlaments durch. Bundestags-Vizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) hatte als Leiter der Sitzung zuvor vergeblich versucht, Ruhe in die Debatte zu bringen. „Ich bestimme jetzt, wie das weitergeht“, sagte Solms. Im Bundestag stand die Verabschiedung der Anhebung des Arbeitslosengeldes II um fünf Euro auf 364 Euro zum Jahresanfang 2011 sowie des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder an. Während im Bundestag Union und FDP für die Verabschiedung eine Mehrheit haben, sind sie im Bundesrat auf Stimmen der SPD oder der Grünen angewiesen. Der Bundesrat berät am 17. Dezember.
Die SPD brachte mit einem für das parlamentarische Verfahren ungewöhnlichen Schritt Spannung in die Sitzung: Sie ersetzte den letzten Redner auf ihrer Liste kurzfristig durch Parteichef Sigmar Gabriel. Dieser attackierte Arbeitsministerin von der Leyen, nachdem die CDU-Politikerin bereits gesprochen hatte. Die Unions-Fraktion tauschte daraufhin ihren letzten Redner ebenfalls aus, um von der Leyen ein zweites Mal die Gelegenheit zu geben, an das Rednerpult zu treten. Danach wurde die Sitzung auf Antrag der Linken bis auf weiteres unterbrochen.
Die Opposition hat im Bundestag heftige Kritik an der geringen Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze geübt. Die Anhebung um nur fünf Euro sei völlig willkürlich, sagte die SPD-Sozialexpertin Elke Ferner in der Schlussdebatte über die Reform der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Das geplante Bildungspaket für Kinder sei zudem viel zu bürokratisch. Die hohen Verwaltungskosten nannte Ferner absurd. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi bezeichnete das Gesetz als verfassungswidrig. Die Regelsätze seien nach Haushaltslage ermittelt worden und nicht nach Bedarf. „Das wird Ihnen das Verfassungsgericht nicht durchgehen lassen“, sagte Gysi. Er kritisierte auch, dass die Ausgaben für Tabak und Alkohol aus dem Regelsatz herausgerechnet wurden. „Es geht hier nicht um Pädagogik“, sagte der Fraktionschef. „Das ist grob ungerecht.“
Der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth nannte die Union eine Dagegenpartei. „Sie sind dagegen, dass es in Hartz-IV-Haushalten einen Weihnachtsbaum gibt“, sagte Kurth. Auch für Blumen zum Muttertag oder ein Eis im Sommer sei kein Geld mehr vorgesehen. Das Bildungspaket sei „Bürokratie pur, das ist das Gegenteil von einer einfachen und sachgerechten Lösung“. Kurth forderte einen Regelsatz von 420 Euro im Monat.
Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) schlägt eine Erhöhung des Hartz-Satzes für Erwachsene um fünf auf 364 Euro vor. Für das Bildungspaket sollen nach ihren Worten 740 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Es sieht unter anderem Zuschüsse für Schulmaterial, Mittagessen in Schule und Kita sowie Freizeitaktivitäten vor. Die Verwaltung des Programms soll 135 Millionen Euro kosten.
Unmittelbar vor den abschließenden Beratungen des Bundestages zur Hartz-IV-Reform hatten Juristen vor einer Klagewelle gegen die neuen Regelungen gewarnt. Mittlerweile seien so viele verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden, „dass mit Sicherheit eine ganze Reihe neuer Verfahren bei den Gerichten eingehen wird“, sagte Hans-Peter Jung, Vorsitzender des in Essen ansässigen Bundes Deutscher Sozialrichter, der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitagsausgabe). Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) verteidigte im ZDF die Regierungspläne.
Der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert sagte der „Frankfurter Rundschau“, er gehe davon aus, dass sich das Bundesverfassungsgericht „über kurz oder lang“ wieder mit den Hartz-IV-Leistungen beschäftigen werde. Die Bundesregierung habe offenbar versucht, „die Zahlen nach unten zu rechnen“. Der neue Satz von 364 Euro im Monat für Erwachsene sei weder transparent berechnet worden noch realitätsgerecht. Borchert hatte mit seiner Rechtsprechung wesentlichen Anteil daran, dass die bisherigen Regelsätze vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurden. Ministerin von der Leyen wies die Vorwürfe zurück. „So viel Transparenz, wie wir heute haben, gab es noch nie“, sagte sie im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Leistungen sei zwar nicht üppig, aber angemessen und orientierten sich an dem Einkommen, das Arbeitnehmer in Deutschland erzielen können. Zu den juristischen Bedenken sagte die CDU-Politikerin, Gesetze seien nicht dazu da, dass Verwaltungen und Richter glücklich sind. Das Bildungspaket in der Hartz-IV-Reform solle den Kindern helfen: „Bisher waren die Kinder außen vor.“