Nach Fukushima leitet die Regierung die Energiewende ein und beschließt den Ausstieg aus der Atomkraft. Eine Analyse ein Jahr nach Fukushima.
Hamburg. Als vor knapp einem Jahr in Japan die Erde bebte, löste dies auch im rund 9.000 Kilometer entfernten Berlin eine Erschütterung aus. Die Atom-Katastrophe in Fukushima bildete den Auftakt für den vielleicht bemerkenswertesten Schwenk der schwarz-gelben Regierung: Die Energiewende. Raus aus der hochriskanten Atomenergie, rein in die Erneuerbaren, hieß die Losung damals. Den reinen Zahlen nach ist Deutschland auf einem guten Weg, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Der Anteil der Bundesregierung daran ist jedoch gering.
Die Herausforderung ist riesig: Ende 2022 soll das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden, schrittweise müssen somit die 140.500 Gigawattstunden, die die Atom-Meiler noch 2010 lieferten, ersetzt werden. Steuerten die Atomkraftwerke damals noch rund 22,5 Prozent zum deutschen Strommix bei, sank dieser Anteil im vergangenen Jahr bereits auf rund 17,5 Prozent.
Diese Lücke will gefüllt werden. Nicht irgendwie, sondern bezahlbar, sicher und klimafreundlich. Wind, Sonne und Wasser sollen daher künftig mehr Strom liefern, gleichzeitig soll der Energieverbrauch sinken. Das deutsche Stromnetz, das derzeit noch die Atomstrom-Realität abbildet, soll ausgebaut werden und Speichertechnologien sollen vorangetrieben werden.
Konzept geht nur teilweise auf
Erste Zahlen aus dem Jahr 2011 legen den Schluss nahe: Das Konzept geht nur teilweise auf. Der Ökostromanteil wächst stetig und machte im vergangenen Jahr erstmals mehr als 20 Prozent des gesamten Stromverbrauchs aus. Der Ausbau des Stromnetzes hinkt dieser Entwicklung jedoch hinterher. Mit den deutschen Stromleitungen könnte man zwar 40 Mal den Äquator umwickeln, die Leitungen sind aber in erster Linie dazu ausgelegt, den Strom von Süden nach Norden zu transportieren. Von mehreren Tausenden neuen Kilometern, die Schätzungen zufolge gebaut werden müssen, sind nach Angaben des Wirtschaftsministeriums gerade einmal 160 Kilometer verwirklicht.
+++ Studie: Atomenergie löst noch immer Ängste aus +++
Auch beim Energiesparen sind die Fortschritte bescheiden. Gerade einmal um 0,3 Prozent sank der Stromverbrauch nach Angaben der AG Energiebilanzen im vergangenen Jahr. Das Gesetz zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung steckt weiter im Vermittlungsausschuss fest, auf eine ehrgeizige Position Deutschlands bei den Verhandlungen über die EU-Energieeffizienzrichtlinie konnten sich die Minister für Umwelt und Wirtschaft, Norbert Röttgen (CDU) und Philipp Rösler (FDP), nicht verständigen. Gleichzeitig müssen die Mittel für die Effizienzforschung komplett gestrichen werden, weil der Energie- und Klimafonds unterfinanziert ist.
Blockade der zuständigen Minister
Zweifel am positiven Beitrag der Bundesregierung zum Gelingen der Energiewende sind daher erlaubt. Monatelang haben sich die Minister Röttgen und Rösler im Streit über die Solarförderung und die EU-Effizienzrichtlinie gegenseitig blockiert. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der für die Solarbranche harte Einschnitte bedeutet und in der Frage der Energieeffizienz kaum Fortschritte mit sich bringt.
Angesichts der Tatsache, dass der Anteil erneuerbarer Energien bis 2050 auf 80 Prozent wachsen soll, erscheinen die Kürzungspläne der Bundesregierung besonders widersinnig. Zumal die Argumente, die für die Kürzung ins Feld geführt wurden, nicht stichhaltig sind. So haben sich die Auswirkungen der Energiewende auf den Strompreis bislang in Grenzen gehalten und auch ein weiteres Problem, die Netzstabilität, halten Experten für lösbar.
Ein Jahr nach der Atom-Katastrophe wandelt sich die Struktur der Energieversorgung in Deutschland nicht wegen der Politik der Bundesregierung, sondern trotz der Politik der Bundesregierung. Gefragt ist daher die Kreativität der Deutschen. Nicht nur bei den Netzen, auch bei der Speicherung von Energie sind deutsche Ingenieure gefordert. Aber auch ökonomischer Sachverstand wird gebraucht, beispielsweise um Lösungen zu finden, wie man Investoren in der Übergangszeit den Bau hocheffizienter Gaskraftwerke schmackhaft machen kann. Ideen gibt es genug.
Von Nicole Scharfschwerdt