Experten glauben, Teheran täusche den Westen über Fortschritte im Atomprogramm. Drohende Angriffe sollen so abgewendet werden.
Hamburg. Inmitten einer sich dramatisch aufheizenden Debatte über möglicherweise bevorstehende israelische Militärschläge gegen iranische Atomanlagen verkündet Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad ungerührt Fortschritte bei der Uran-Anreicherung. Und plötzlich meldet sich auch der bis dato vergleichsweise zurückhaltende Oberste Führer des Mullah-Staates, Ali Chamenei, zu Wort, greift den Westen scharf an und verkündet, der Iran werde jeden Staat unterstützen, der sich gegen Israel wende. Der jüdische Staat sei ein "Krebsgeschwür", das man herausschneiden werde, tönte Chamenei kürzlich.
Die Situation im Nahen Osten scheint sich unaufhaltsam auf einen Krieg zuzubewegen. Die USA haben bereits zwei Flugzeugträgergruppen im Persischen Golf zusammengezogen, flankiert von modernsten britischen und französischen Kriegsschiffen; ein dritter Träger ist auf dem Weg dorthin. Die iranischen Revolutionsgarden veranstalten maritime Großmanöver.
Auslöser ist der Streit um Teherans Atomprogramm: Der Westen und Israel vermuten, dass der Iran an der Bombe baut, das Mullah-Regime bestreitet das.
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Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hatte jüngst davon gesprochen, dass sich Irans "Fenster der Immunität" zu schließen beginne. Wenn der Iran seine Urananreicherung in eine neue Anlage in Fordo bei Ghom bis zu 90 Meter tief unter Fels verlegt habe, sei er unverwundbar geworden. Israel müsse also vorher angreifen. Wie aufs Stichwort erklärte US-Verteidigungsminister Leon Panetta, Israel werde vermutlich innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate losschlagen. Der prominente israelische Wissenschaftler David Menaschri warnte im US-Sender CNN angesichts des Säbelrasselns, die Führer der betroffenen Staaten könnten sich in einer "rhetorischen Sackgasse" wiederfinden, während ihre Länder in eine unbeabsichtigte Konfrontation gezogen würden. "Man kann nur hoffen, dass ihnen jemand eine geeignete Leiter zur Verfügung stellt, damit sie von dem hohen Baum wieder heruntersteigen können", sagte Menaschri.
Und genau in diesem sensiblen Moment präsentiert Ahmadinedschad triumphierend den angeblich ersten im Iran hergestellten Uran-Brennstab für einen Atomreaktor in Teheran, eröffnet gleich drei neue Nuklearanlagen, spricht von bahnbrechenden Fortschritten und kündigt an, sein Land werde mit der Herstellung von "Yellowcake", beginnen, Ausgangsstoff für die Produktion von Brennelementen. Der Iran darf die gelbe, pulverförmige Uranverbindung nicht einführen.
Während immer hektischer Kriegsszenarien ventiliert werden, lassen Politiker und Experten in den USA und in Israel etwas Dampf aus dem Kessel. So sagte Ehud Barak, der Iran brüste "sich mit Erfolgen, die es noch gar nicht gibt". Ahmadinedschad übertreibe die Fortschritte seiner Atomexperten.
Der Grund dafür könnte sein, dass der Iran den Eindruck erwecken will, das "Fenster der Immunität" sei schon längst geschlossen. Ziel sei es, den Israelis zu signalisieren, ein Angriff auf den Iran sei bereits sinnlos geworden. "Sie tun so, als sei der 'Punkt ohne Wiederkehr' bereits überschritten - was aber nicht stimmt", sagte Barak. Zugleich wolle das Regime die Stimmung in der eigenen Bevölkerung verbessern. Der Iran leidet zunehmend unter den vom Westen aufgelegten Sanktionen sowie einer hausgemachten Wirtschaftskrise. Ferner tobt ein Machtkampf zwischen dem Präsidenten und seinen Anhängern sowie den Mullahs unter Ayatollah Chamenei. Jeder will beim Volk mit Standhaftigkeit gegenüber dem Ausland punkten. Für den 2. März sind im Iran Parlamentswahlen angesetzt.
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Victoria Nuland, die Sprecherin des US-Außenministeriums, sagte, Ahmadinedschads Sprüche seien "mehr für ein heimisches Publikum kalibriert".
Zu den angeblichen Fortschritten der Iraner beim Atomprogramm meinte Nuland: "Ehrlich gesagt, sieht das nicht nach viel aus. Und es sind auch keine großen Neuigkeiten. Das scheint eher hochgespielt zu sein." Tatsächlich hinkten die Iraner "viele, viele Monate" hinter jenem technischen Stand hinterher, den sie lauthals propagierten.
Ähnlich äußerte sich Jay Carney, der Sprecher des Weißen Hauses in Washington. Auch er vermutet, das Regime wolle mit angeblichen Erfolgen von den Auswirkungen der Sanktionen ablenken: "Das sind provokative Trotzaktionen." Die "New York Times" schrieb, nach Ansicht einiger Experten wolle der Iran vorgebliche "Tatsachen" schaffen, um bei künftigen Atomverhandlungen mit eine stärkere Position einnehmen zu können.
Karim Sadjadpour von der internationalen Organisation Carnegie Endowment for International Peace sagte, das kriegerische Gebaren des Iran solle tatsächliche Schwäche verbergen. So hätten die jüngsten Terrorangriffe iranischer Agenten auf Israelis eher Inkompetenz als Schrecken signalisiert, die Atomfortschritte seien vermutlich übertrieben und die Drohung Teherans, die Öl-Exporte nach Europa zu kappen, nichts weiter als ein Bluff.
In Georgien, Aserbaidschan und Thailand waren Anschläge auf Israelis gescheitert, in Indien wurden vier Menschen vor der israelischen Botschaft verletzt. Bei dem versuchten Anschlag in Thailand hatte sich einer der iranischen Terroristen beide Beine abgesprengt. Ein weiterer Iraner wurde noch in Bangkok gefasst, ein dritter jetzt in Malaysia, wohin er geflohen war.