Luftschläge, Flugverbotszone, eine Sicherheitszone für humanitäre Hilfe - Experten beraten Maßnahmen gegen Assads Regime in Syrien.
Hamburg. Wie viele Menschen dem Vernichtungsfeldzug des Assad-Regimes gegen die Opposition in Syrien bereits zum Opfer gefallen sind, weiß niemand genau. Mehr als 5000 Tote dürften es ganz gewiss sein, Schätzungen reichen aber auch über die Zahl 7000 hinaus. Die Gesetze der Zivilisation werden von Soldatenstiefeln in den Staub getreten - dabei ist Syrien Standort einer der ältesten urbanen Zivilisationen der Welt. Die Stadt Aleppo etwa, mit knapp zwei Millionen Einwohnern ebenso groß wie die Hauptstadt Damaskus, war schon vor gut 8000 Jahren besiedelt. Syria war einst die reichste Provinz des Römischen Imperiums neben Ägypten. Und das ebenfalls uralte Damaskus wurde schon in ägyptischen Hieroglyphen erwähnt und war Hauptstadt des gewaltigen umayyadischen Kalifenreiches.
Hilflos agiert die Welt angesichts der Gräueltaten von Baschar al-Assad. Eine Uno-Resolution scheiterte vor allem am Widerstand Russlands, dem strategische und wirtschaftliche Interessen wichtiger sind als Menschenleben. Eine Beobachtermission der Arabischen Liga scheiterte ebenso kläglich, nun fordern die Araber eine gemeinsame Blauhelmmission mit der Uno.
Währenddessen radiert Machthaber Assad im Windschatten des russischen Vetos ganze Stadtviertel mit Raketen und Mörsersalven aus.
Niemand im Westen denkt derzeit daran, sich in Syrien mit Bodentruppen zu engagieren. Das arabische Land mit seinen gut 20 Millionen Einwohnern, etwas mehr als halb so groß wie Deutschland, ist ein strategisches Wespennest. Zum einen ist Syrien - isoliert in der arabischen Welt - der letzte Verbündete Irans in der Region. Daher unterstützt das Mullah-Regime den taumelnden Damaszener Diktator nach Kräften - ein Sturz Assads wäre ein schwerer Schlag für Teheran. Beide Länder sind zudem gemeinsame Förderer und Drahtzieher der Terrorgruppen Hamas und Hisbollah und könnten sie im Kriegsfall blutig aktivieren. Über die im labilen Libanon militärisch und politisch dominante Hisbollah ziehen Syrien und der Iran auch Fäden im Nahost-Konflikt. Eine Intervention in Syrien könnte daher auch die schwelende israelisch-iranische Atomkrise in einen Krieg mit dramatischen überregionalen Konsequenzen umschlagen lassen.
Der prominente amerikanische Militärexperte Michael O'Hanlon legte nun im US-Sender CNN mit Blick auf die Risiken drei denkbare Optionen für ein militärisches Eingreifen dar.
Zum einen gebe es die Möglichkeit einer begrenzten Operation, die neben punktuellen Luftschlägen gegen die Assad-Armee und die Regierungssitze auch eine Seeblockade syrischer Häfen beinhalten würde. Das Ziel wäre weniger militärischer als politischer Art: Assads Regime soll geschwächt, seine innenpolitischen Rivalen sollen zur Revolte ermutigt und die Widerstandsarmee weiter gestärkt werden. Nach Schätzungen sind bereits rund 40 000 Soldaten der Streitkräfte Assads desertiert, die inklusive aktiver Reservisten etwa 380 000 Mann umfassen sollen.
Die zweite Option sieht Militäroperationen nach dem libyschen Modell vor. Es würde neben einem Flugverbot für syrische Hubschrauber und Kampfjets Luftschläge gegen die schwere Bewaffnung der syrischen Armee geben - also Panzer und Artillerie. Zugleich könne die Freie Syrische Armee mit Waffen ausgerüstet werden. Durch die entscheidende Schwächung der syrischen Militärmaschinerie - der wichtigsten Säule der Macht von Assad - könne der Zusammenbruch des Regimes eingeleitet werden.
Die dritte Option sieht die Schaffung militärisch geschützter Sicherheitszonen für die syrische Bevölkerung vor. Sie könnten entlang der türkischen Grenze errichtet werden. Auf türkischer Seite befinden sich bereits Auffanglager für syrische Flüchtlinge; der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat sich zu einem entschiedenen Gegner Assads entwickelt.
Bei Bedarf könne diese Option mit den beiden vorigen kombiniert werden. Zurzeit sind alle drei Optionen rein theoretischer Art; die Weltgemeinschaft ist politisch gelähmt und machtlos. Sie sollten dennoch erwogen werden, falls die Dinge weiter eskalierten, meinte O'Hanlon. Und sei es aus dem Grund, um dem Regime zu demonstrieren, dass "wir andere Optionen haben, als darauf zu hoffen, dass Assad wie eine verfaulte Frucht von allein fällt". Dabei ist allerdings durchaus denkbar, dass ein Sturz des Despoten erst recht ein blutiges Chaos in dem Vielvölkerstaat Syrien auslösen könnte.
Eine Partei handelt bereits, der ein solches Chaos nützen würde: Der Chef des Terrornetzes al-Qaida, Ayman al-Sawahiri, rief in einer Videobotschaft mit dem Titel "Vorwärts, Löwen von Syrien" die Muslime in der Türkei, im Irak, im Libanon und in Jordanien dazu auf, der Rebellenarmee zu Hilfe zu kommen. Die Syrer sollten sich nicht auf den Westen, die Araber oder die Türkei verlassen. Nach US-Erkenntnissen steht Sawahiri, Nachfolger des von US-Elitetruppen getöteten Osama Bin Laden, hinter den jüngsten Bombenanschlägen in Damaskus und Aleppo, bei denen Dutzende Menschen starben. Al-Qaida versuche, in Syrien Fuß zu fassen.