Der mutmaßliche KZ-Wächter weist die Vorwürfe wegen Beihilfe zum Mord zurück und bezeichnet den Prozess als „Folter und Tortur“.
München. Der mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk hat sich erstmals seit Prozessbeginn im November zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen geäußert und die Anklage wegen Beihilfe zum Mord zurückgewiesen. In einer am Dienstag vor dem Landgericht München II von seinem Anwalt Ulrich Busch verlesenen Erklärung bezeichnete er die Anklagevorwürfe als falsch. Stattdessen stellte sich Demjanjuk als unschuldiges Opfer dar. Er erlebe diesen Prozess als „eine Fortsetzung des unbeschreiblichen Unrechts“, welches ihm von Deutschen in seinem Leben angetan worden sei, heißt es in der Erklärung.
Die deutsche Justiz griff der 90-Jährige in seiner ersten Erklärung vor Gericht scharf an. „Ich bin dem Pflegepersonal dankbar, das hilft, meine großen Schmerzen zu mindern, um den von mir als Folter und Tortur empfundenen Prozess durchzuführen“, ließ Demjanjuk erklären, der an der Verhandlung erneut regungslos und liegend mit einer dunklen Sonnenbrille teilnahm. Er sei nach 30-jähriger juristischer Verfolgung in Israel und den USA sowie in Polen nach Deutschland „zwangsdeportiert“ worden, wo gegen ihn eine „falsche Anklage wegen Beihilfe zum Mord“ erhoben worden sei. Der gebürtige Ukrainer wies Deutschland zudem die Schuld dafür zu, dass er seine Heimat verloren habe, in Kriegsgefangenschaft geraten und zu einem Arbeitssklaven gemacht worden sei.
Demjanjuk: Deutschland hat zu Rassenvernichtung gezwungen
Deutschland sei dafür verantwortlich, dass Millionen seiner Landsleute umgebracht wurden und „Tausende oder Abertausende“ zur Kollaboration und Mitarbeit „im perversen Rassenvernichtungsprogramm“ gegen Juden, Sinti, Roma, Polen und andere gezwungen worden seien, heißt es weiter in der Erklärung. Er selbst bezeichnete sich als „Kriegsgefangenen“ und nannte es ein „unsagbares Unrecht“, dass man aus ihm einen Kriegsverbrecher machen wolle.
Laut Anklage soll Demjanjuk als sogenannter Trawniki, als ein zwangsverpflichteter Kriegsgefangener, 1943 ein halbes Jahr lang Wächter im Vernichtungslager Sobibor im damals von Deutschland besetzten Polen gewesen sein. In dieser Zeit starben dort mindestens 27.900 Juden, weshalb er wegen Beihilfe zum Mord in 27.000 Fällen angeklagt ist. Bei einer Verurteilung drohen Demjanjuk, der seit Prozessbeginn abwesend wirkte und sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert hatte, bis zu fünfzehn Jahre Haft.
Israelisches Todesurteil aufgehoben
Demjanjuk war bereits in den 80er Jahren in Israel zum Tode verurteilt worden, weil ihn Zeugen als einen als „Iwan der Schreckliche“ berüchtigten Wächter im KZ Treblinka identifiziert haben wollten. Nach mehrjähriger Haft sprach das oberste israelische Gericht Demjanjuk aber wegen erheblicher Zweifel von diesem Verdacht frei. Demjanjuk konnte nach seiner Freilassung wieder in die USA ausreisen, wo er bis zu seiner Auslieferung lebte.
Es verstoße gegen das juristische Gleichbehandlungsgebot, dass er sich in Deutschland erneut für einen Vorwurf verantworten müsse, den das höchste israelische Gericht als nicht beweisbar eingestuft habe, ließ Demjanjuk durch seine Verteidiger verlauten. Diese beantragten erneut die Aussetzung und Einstellung des Verfahrens, da Akten unvollständig und nur zu Lasten ihres Mandanten beigezogen worden seien.
Protest der Sobibor-Opfer
Bei den Rechtsvertretern der Angehörigen der Sobibor-Opfer, stieß Demjanjuks Erklärung auf Protest. „Die Position der Nebenkläger ist nicht die Relativierung der Schuld der Deutschen. Jede solche Interpretation ist eine Frechheit“, sagte ein Anwalt der Nebenklage. „Er hat nicht das geringste Verständnis für die Opfer.“
Vor Gericht bekräftigte am Dienstag ein früherer Experte des Bundeskriminalamts, das Foto auf einem Wachmann-Dienstausweis aus dem Vernichtungslager zeige sehr wahrscheinlich den Angeklagten. Für den israelischen Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher 1987 hatte der Fachmann ein Gutachten angefertigt und Reproduktionen des Ausweisfotos mit anderen Porträtaufnahmen aus gleicher und späterer Zeit im Detail verglichen.
„Die Gesamtzahl der Merkmale führt zu der Aussage, dass es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um ein und dieselbe Person handelt“, sagte der Gutachter. Die Verteidigung zieht die Echtheit des Fotos von 1943 und des Dienstausweises in Zweifel. Das Dokument gilt in dem Verfahren als eines der zentralen Beweisstücke.