Die Bundesministerin appelliert zugleich an die Deutschen, sich auf eine grundlegend veränderte Arbeitswelt einzustellen.
Hamburg. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat die Rente mit 67 verteidigt und an die Deutschen appelliert, sich auf einen fundamentalen Wandel der Arbeitswelt einzustellen. „2029 wird das erste Jahr sein, in dem bis 67 gearbeitet werden soll", sagte von der Leyen abendblatt.de, der Online-Ausgabe des Hamburger Abendblatts. "Die Jahre bis dahin sollten wir nutzen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Und das heißt Antworten auf die Frage zu finden: Wie organisieren wir gute Arbeit bis 67, die die Menschen nicht überfordert und die lange zweite Lebenshälfte mit Leben füllt.“ Denn: „Wir wissen, dass wir nicht immer im gleichen Job bleiben.“
Von der Leyen mahnte die SPD, die die Rente mit 67 mit beschlossen hat, aber intern zunehmend von dem Konzept abrückt, standhaft zu bleiben: „Ich vernehme bei der SPD viele verantwortungsbewusste Stimmen, gerade in den Spitzen von Partei und Fraktion, die genau wissen, dass es hier auch um eine Frage die Glaubwürdigkeit geht.“
Die Wirtschaft lerne zunehmend, dass sie von der Erfahrung älterer Arbeitnehmer profitiere: „Ein Dachdecker muss aber heute schon nicht bis 60 auf dem Dach stehen. Er kann mit seiner Berufserfahrung genauso gut im Vertrieb oder in der Beratung arbeiten.“ Von der Leyen warnte die Deutschen davor, sich auf das Renteneintrittsalter zu fixieren: „Wenn wir nur darüber reden, wann Menschen in Rente gehen, wird nur ein düsteres Bild gezeichnet. Das ist eine Frage der inneren Haltung eines Landes. Wenn man den Alten nichts mehr zutraut, trauen die sich auch selber nichts zu.“
Das Interview im Wortlaut:
abendblatt.de: Frau von der Leyen, die Rente mit 67 soll in diesem Jahr auf den Prüfstand. Können Sie ausschließen, dass sie zurückgenommen wird?
Ursula von der Leyen: Wir beginnen erst mit der Evaluation. Die große Frage dahinter ist: Wie können wir die Arbeit bis 67 beleben und nicht nur eine leere Hülse sein lassen? In meinem Ministerium ist ab 2012 jeder zweite Beschäftigte über 50, mich eingeschlossen. In Deutschland ist jeder dritte Beschäftigte über 50. Wir stehen noch am Anfang, das neue Bild des Alters zu entwickeln, auch mit neuen Erkenntnissen der Hirnforschung. Die zeigt, dass sich auch jenseits der 50 noch vieles entwickelt, dass wir der älteren Generation viel mehr zutrauen können. Ich bin mit Gewerkschaften und der Wirtschaft im engen Dialog, alle sehen die großen Chancen aber es gibt noch zu wenige Antworten. Da müssen wir besser werden. Man muss den Arbeitsjahren nach dem 50. Lebensjahr eines Arbeitnehmers mehr Kompetenzen und Anerkennung schenken. Die meisten Menschen, die bei immer besserer Gesundheit immer älter werden, möchten länger im Berufsleben mitmischen, es kommt aber auf die Bedingungen an.
abendblatt.de: Die SPD rückt schrittweise von der Rente mit 67 ab.
Von der Leyen: Diesen Klärungsprozess muss die SPD selber machen. Ich vernehme bei der SPD viele verantwortungsbewusste Stimmen, gerade in den Spitzen von Partei und Fraktion, die genau wissen, dass es hier auch um eine Frage die Glaubwürdigkeit geht. Als ich eingeschult wurde, haben die Menschen im Durchschnitt zehn Jahre lang Rente bekommen. Und es waren acht Erwerbstätige, die einen Rentner finanzierten. Heute wird die Rente 17 Jahre lang gezahlt und es sind drei Erwerbstätige, die einen Rentner finanzieren. Wenn ich 80 bin, leben wir so lange, dass die Rente im Durchschnitt 20 Jahre lang gezahlt wird, und es kommen nur noch zwei Erwerbstätige auf einen Rentner. 2029 wird das erste Jahr sein, in dem bis 67 gearbeitet werden soll. Die Jahre bis dahin sollten wir nutzen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Und das heißt Antworten auf die Frage zu finden: Wie organisieren wir gute Arbeit bis 67, die die Menschen nicht überfordert und die lange zweite Lebenshälfte mit Leben füllt.
abendblatt.de: Gibt es keinerlei Korrekturbedarf an der Rente mit 67?
Von der Leyen: Das kann ich erst am Ende der Evaluation sagen. Immerhin ist das Bewusstsein gestiegen, dass Ältere ihre Berufs- und Lebenserfahrung in den Arbeitsprozess mit einbringen. Wir wissen, dass wir nicht immer im gleichen Job bleiben.
abendblatt.de: Wird es Ausnahmeregelungen für Berufsgruppen geben, die nicht so lange arbeiten können?
Von der Leyen: Auch das wird die Evaluation zeigen. Ein Dachdecker muss aber heute schon nicht bis 60 auf dem Dach stehen. Er kann mit seiner Berufserfahrung genauso gut im Vertrieb oder in der Beratung arbeiten. Die Wirtschaft lernt zunehmend, dass Ältere mit Muße und Erfahrung viel weniger Fehler als die Jungen machen, wovon Betriebe besonders profitieren, wenn sie sie gemeinsam mit Jüngeren in altersgemischten Teams einsetzen. Wenn wir nur darüber reden, wann Menschen in Rente gehen, wird nur ein düsteres Bild gezeichnet. Das ist eine Frage der inneren Haltung eines Landes. Wenn man den Alten nichts mehr zutraut, trauen die sich auch selber nichts zu.