Die Karlsruher Richter haben die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil löste gemischte Reaktionen aus.
Karlsruhe. Für null und nichtig hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung erklärt. Die vorsorgliche und anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten sei in ihrer bisherigen Form nicht mit dem Telekommunikationsgeheimnis vereinbar, erklärte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Bislang gesammelte Daten müssten „unverzüglich“ gelöscht werden.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, bezeichnete das Urteil als „Gesetzgebungs-GAU“. Der Richterspruch sei eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung. "Offenbar ist man in Berlin nicht in der Lage, handwerklich saubere Gesetze auf den Weg zu bringen, auf deren Grundlage Polizisten ihre Arbeit erledigen können“, sagte Wendt dem „Hamburger Abendblatt“. Er kritisierte: „Weil Politiker geschlampt haben, wurde den ermittelnden Beamten ein wichtiges Fahndungsinstrument aus der Hand geschlagen.“ Der Gewerkschafter rief insbesondere die Union dazu auf, „jetzt wenigstens dafür zu sorgen, dass der Personalabbau bei der Polizei in den Ländern gestoppt wird.“
Die Grünen-Chefin Claudia Roth nannte das Urteil ebenfalls eine „Klatsche für den Gesetzgeber“. Dieser habe versucht, die Verfassung mit Füßen zu treten, sagte Roth. „Der Gesetzgeber muss nun schnell nachbessern“, forderte Roth.
Auch die Verfassungsrichter forderten die Regierung auf, das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nachzubessern. Nach Ansicht der Verfassungsrichter handelt es sich bei der Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten für sechs Monate um einen „besonders schweren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis“, weil die Verbindungsdaten inhaltliche Rückschlüsse „bis in die Intimsphäre“ ermöglichten und damit aussagekräftige Persönlichkeits- oder Bewegungsprofile gewonnen werden könnten. Laut Urteil sind die Telekommunikationsdaten allerdings „für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung“. Daten dürfen deshalb auch künftig gespeichert und verwertet werden, aber nur unter bestimmten Maßgaben. Das Gericht forderte den Gesetzgeber auf, einen strengen Maßstab für die Sicherheit von Daten zu entwickeln, der von den Telekommunikationsunternehmen auch technisch umgesetzt werden müsse.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bewertete das Urteil positiv. Die FDP-Politikerin hatte selbst gegen die Vorratsspeicherung geklagt und sprach nun von einem „herausragend guten Tag“ für die Grundrechte und den Datenschutz. Sie zeigte sich davon überzeugt, dass diese Entscheidung „auch auf Europa ausstrahlen“ werde. Für weitere anlasslose Datensammlungen auf EU-Ebene sei der Spielraum nun geringer. Dies betreffe etwa die Speicherung von Flugpassagierdaten. Zusammen mit der EU-Kommission müsse nun das weitere Vorgehen beraten werden. So geht das für unzulässig erklärte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auf eine Richtlinie aus Brüssel zurück. Seit März 2006 schreibt die EU-Richtlinie 2006/24/EG die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten vor.
Auch nach dem Karlsruher Urteil will Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) an der Vorratsdatenspeicherung festhalten. Er forderte die Justizministerin auf, die entsprechende EU-Richtlinie zügig und verfassungskonform in deutsches Recht umzusetzen. „Das Bundesverfassungsgericht hat die EU-Richtlinie nicht beanstandet“, sagte de Maizière. Die Richter hätten Wege aufgezeigt, wie man die Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform umsetzen könne.
Nach Einschätzung des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar hat das Urteil allerdings weitreichendere Bedeutung. Es verpflichte den Staat nicht nur, sich selbst bei der Datensammlung zurückzunehmen, sondern auch dazu, die Bürger vor unangemessenen Datenspeicherungen durch Private zu schützen. „Das heißt, der Schutz von vergleichbar sensiblen Daten auch im wirtschaftlichen Bereich muss vom Staat besser als bisher gewährleistet werden“, sagte Schaar. Er verstehe das Urteil so, dass nun auch diskutiert werden müsse, die entsprechende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zurückzunehmen. „Das ist die Forderung, mit der wir als Datenschützer in die Debatte hineingehen.“
Die Telekomwirtschaft verlangt von der Regierung hunderte Millionen Euro für die Speicherung von Daten. Branchenverbände argumentieren, dass die ohnehin schon hohen Kosten bei einem neuen Gesetz durch aufwendigere Speichervorschriften nochmals erheblich steigen. „Wir hatten nach altem Gesetz mit Kosten von über 300 Millionen Euro allein für Anschaffungen der nötigen Speichertechnik gerechnet“, teilte der eco Verband der Internetwirtschaft mit, der für rund 500 Unternehmen spricht. „Nunmehr gehen wir davon aus, dass die Kosten für die neue Vorratsdatenspeicherung wahrscheinlich erheblich steigen.“