Die Angst vor der Entdeckung trieb in Nordrhein-Westfalen 572 Steuerpflichtige dazu, sich vor dem Finanzamt zu offenbaren.
Düsseldorf. Die Selbstanzeigewelle der Steuersünder rollt weiter: Die Angst vor der Entdeckung auf kürzlich aufgetauchten CDs trieb in Nordrhein-Westfalen 572 Steuerpflichtige dazu, sich vor dem Finanzamt zu offenbaren. Diese Zahl gab das NRW-Finanzministerium am Donnerstag in Düsseldorf bekannt. In den übrigen Bundesländern waren den Finanzämtern nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa bislang rund 2000 Selbstanzeigen bekanntgeworden. Nach ersten Berichten über eine CD mit Steuerdaten vor knapp drei Wochen ist die Zahl der Reuigen sprunghaft gestiegen. Bei einer Selbstanzeige muss der Betroffene nur die Steuern und Zinsen nachzahlen. Eine Strafe droht ihm nicht, es sei denn, sein Fall ist den Behörden schon bekannt.
Diese Regelung wurde von Vertretern von Union und FDP in Frage gestellt. Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach sagte dem ARD-Magazin „Panorama“, die momentane Entwicklung der Selbstanzeigen „pervertiere den Sinn des Gesetzes“. Sie zeige, dass Selbstanzeigen nicht aus Reue, sondern aus Angst vor Entdeckung motiviert seien. Er sei für den kompletten Wegfall der Regelung, es sei denn, die Schweiz hebe ihr Bankgeheimnis im Zuge eines Abkommens zur Doppelbesteuerung auf, sagte Michelbach. Der Vorsitzende des Finanzausschusses, der FDP- Politiker Volker Wissing, sagte, das Gesetz werde oft missbraucht. Es bestehe eine „krasse Gerechtigkeitslücke“. Eine Diskussion über den Sinn des Gesetzes sei überfällig.
Der Vorsitzende der Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, schätzt nach Angaben von „Panorama“, dass nur ein Prozent der Steuersünder aus Reue in die Ehrlichkeit zurückkehre. Der Rest seien „in aller Regel ganz ausgebuffte Täter, die mit der Selbstanzeige spielen“.
Nach Ansicht der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann sollten die erwarteten Millionen-Einnahmen von deutschen Steuersündern für soziale Zwecke eingesetzt werden. „Offensichtlich ist doch jetzt eine Steuernachzahlung im dreistelligen Millionenbereich durch viele bekennende Steuersünder zu erwarten. Die könnten investiert werden in Ganztagsschulen und eine Mittagsmahlzeit für bedürftige Schulkinder“, sagte die höchste Repräsentantin der Evangelischen Kirche in Deutschland im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. „Es gibt mitten unter uns Kinder, die für sich keine Perspektive im Leben sehen.“ Deshalb müsse der Staat Geld in Bildungseinrichtungen, Kinderkrippen, Ganztagsschulen mit warmen Mittagessen und Hausaufgabenhilfen investieren.
Das Düsseldorfer Finanzministerium bilanzierte, tendenziell sei die Zahl der von den NRW-Finanzämtern abschließend bearbeiteten Selbstanzeigen seit 2005 (8582 Fälle) rückläufig gewesen. Erst im vergangenen Jahr sei sie gegenüber dem Vorjahr wieder um 332 auf 3941 wirksame Selbstanzeigen gestiegen. Unter den aktuellen Fällen aus den vergangenen drei Wochen sind 294 bei der Oberfinanzdirektion (OFD) Rheinland gemeldet worden und 278 im Bereich der OFD Münster. In Baden-Württemberg hatten sich mit rund 570 Steuerhinterziehern fast so viele gestellt wie in NRW.