Besuch bei Amerikas Erzfeind in Havanna: Der frühere US-Präsident bricht ein Tabu.

Havanna. Der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter ist gestern zu einem mit Spannung erwarteten fünftägigen Besuch in Kuba eingetroffen. Er wurde am Flughafen von Havanna vom kubanischen Präsidenten Fidel Castro empfangen. Unmittelbar darauf bot Castro dem früheren US-Präsidenten die Inspektion von Biotechnik-Labors an. Carter habe "freien und vollständigen Zugang", sagte Castro. In der vergangenen Woche hatte Amerikas Vize-Außenminister John Bolton dem Castro-Regime vorgeworfen, in "eingeschränktem Maße" an der Herstellung biologischer Waffen zu arbeiten und an Drittländer weiterzugeben. Bereits am Sonnabend hatten in einem Vorort Havannas mehr als 100 000 Kubaner gegen die Behauptung der Bush-Regierung demonstriert, Kuba entwickele Bio-Waffen. Castro hatte den Vorwurf mehrfach als "absolute Lüge" bezeichnet. Jimmy Carter wird während seines Besuches kubanische Forschungseinrichtungen besuchen, in denen einige weltweit einmalige Impfstoffe entwickelt worden sind. Die erste Reise eines so ranghohen US-Politikers seit der Revolution 1959 fällt also in Zeiten verschärfter politischer Spannungen, sie bricht ein Tabu. Unmittelbare politische Veränderungen als Folge des Besuches werden aber nicht erwartet. Der frühere US-Präsident (1977 - 1981) wird während seines Aufenthaltes wenigstens zweimal zum Essen mit Staats- und Parteichef Fidel Castro sowie mit anderen kubanischen Spitzenpolitikern zusammentreffen. Carter, der von seiner Frau Rosalynn begleitet wird, betonte, er reise als Privatmann. Der 77-Jährige wird außerdem morgen vor Studenten in der Universität von Havanna sprechen. Die Rede soll im Fernsehen live ausgestrahlt werden, was für kubanische Verhältnisse bei ausländischen Staatsgästen außergewöhnlich ist. Zuletzt hatte das kubanische Fernsehen live die Messe übertragen, die der Papst im Januar 1998 auf dem Platz der Revolution in Havanna abhielt. Voraussichtlich am Donnerstag wird Carter mit kubanischen Dissidenten zusammentreffen. Die Zeitung "Granma", Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, bekräftigte, der Amerikaner könne treffen, wen immer er wolle. Castro sagte, der Gast dürfe "alles kritisieren, was er will". Am Freitag hatten Dissidenten eine Petition für politische Reformen mit mehr als 11 000 Unterschriften beim kubanischen Volkskongress eingereicht. Die Regimekritiker hatten sich eine Bestimmung der kubanischen Verfassung zunutze gemacht, die es den Bürgern ermöglicht, selber Gesetzentwürfe einzubringen. Jetzt muss sich der Volkskongress mit der Eingabe, in der unter anderem Meinungsfreiheit und freie Wahlen gefordert werden, befassen. Carter hatte vor Reisebeginn vor zu hohen Erwartungen an seinen Besuch gewarnt und gesagt, er rechne nicht damit, dass dieser politische Veränderungen bewirke. Präsident George W. Bush wird am 20. Mai nach Miami reisen, um mit Exilkubanern den 100. Jahrestag der formellen Unabhängigkeit Kubas zu feiern. Nach Auffassung der heutigen kubanischen Regierung wurde mit der Ausrufung der Republik 1902 aber lediglich eine amerikanische Marionettenregierung eingesetzt.