Hamburg. Hamburger Gastronom im Podcast: Ein Gespräch über eine neue Location, eine Katastrophe, einen Traum – und über Tim Mälzer.
Bullerei, Altes Mädchen, Überquell – hinter ambitionierten und meist sehr erfolgreichen Gastro-Konzepten steht in Hamburg oft ein Mann: Patrick Rüther ist nicht nur wichtigster Geschäftspartner von Starkoch Tim Mälzer, sondern auch einer der Vordenker der Branche. Im Gespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht er über die Zukunft der Bullerei, ein Restaurant in Düsseldorf, das zur Katastrophe wurde – und über einen großen Traum.
Das sagt Patrick Rüther über…
… die schwierige Suche nach einem Standort für das erste gemeinsame Restaurant mit Tim Mälzer:
„Tim und ich haben uns 2003 kennengelernt. Damals hatte ich gerade nach meinem Jurastudium einen Beach Club in Hamburg eröffnet, Tim führte das ‚Weiße Haus‘ und war noch ein ziemlich normaler, verrückter Koch. Uns war relativ schnell klar, dass wir gemeinsam ein Restaurant eröffnen wollen. 2004 haben wir uns auf die Suche nach einer Location gemacht, wir waren in engen Verhandlungen mit dem Ratsweinkeller im Rathaus, wir haben mit der Patriotischen Gesellschaft gesprochen, die zu der Zeit noch strikt gegen eine gastronomischen Betrieb im Haus war. Wir haben uns fast alles angesehen, was es in Hamburg gibt, das war keine einfache Zeit, auch, weil ich kein Geld verdiente und Tim dann sein Burn-out bekam. Irgendwann habe ich die Schanzenhöfe entdeckt, den heutigen Standort der Bullerei. Sowohl Tim als auch mir war klar, dass es das ist. Wir hatten total Lust darauf, gerade weil es eine große Halle war – wir wollten von Anfang ein wuseliges, lebendiges Restaurant. Kleine, schöne Fine-Dining-Läden gibt es in Hamburg genug.“
… Tim Mälzer als Mensch und Geschäftspartner:
„Tim bringt schon sehr viel in die Öffentlichkeit von dem, wie er ist, betont dabei aber das etwas Rustikaler. So ist er im direkten Miteinander nicht. Er ist ein reflektierter und kluger Mensch, macht sich sehr viele Gedanken, ist in den vergangenen Jahrzehnten gereift. Unser Verhältnis ist wie eine erwachsene Ehe. Wir sind nicht dickste Freunde und unsere Privatleben sind nicht besonders verknüpft, aber wir sind sehr gute Geschäftspartner.“
…die Frage, warum er sich immer wieder in neue gastronomische Abenteuer stürzt:
„Ich weiß nicht, was die tieferen Beweggründe sind, ob ich meinen Freunden oder der Familie immer wieder etwas beweisen muss oder ob ich nur hungrig nach Erfolg bin. Ich liebe es einfach, neue und vor allem andere Sache zu machen. Ich habe einfach unendlich viele Ideen. Ich riskiere auch sehr viel.“
… den größten Misserfolg:
„Das war das ‚Hausmann’s‘ in Düsseldorf, ein an sich nettes Restaurant am Rand der Altstadt, das sich zu einer Katastrophe entwickelt hat. Wir haben versagt, weil wir zu spät gemerkt haben, dass da Sachen schief laufen. Es war unfassbar deprimierend, es waren drei Jahre mit jeder Menge Selbstzweifeln. Das war eine schwierige Zeit, auch, weil wir das Geld aus den anderen Läden in das ‚Hausmann’s‘ gesteckt haben, um dort über die Runden zu kommen. Es war jahrelang so, dass wir uns keinerlei Gewinne ausgezahlt haben, und selbst von unseren Rücklagen leben mussten.“
… den Verkauf der Anteile am Braugasthaus „Altes Mädchens“ unweit der „Bullerei“:
„Im ‚Alten Mädchen‘ wollte ich auch mal testen, ob ein Restaurant erfolgreich sein kann ohne einen Fernsehkoch an der Spitze. Ich fand die Idee, eine Craftbeerbrauerei aufzubauen, schon damals, 2013, interessant. Es wurde ein Riesenerfolg, aber irgendwann war es vielleicht zu erfolgreich. Von diesem Moment an gab es im Gesellschafterkreis unterschiedliche Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Deshalb sind Tim, mein Freund Axel Ohm und ich 2016 aus dem Projekt ausgestiegen, und haben es, um unsere Ruhe zu haben, wahrscheinlich unter Wert verkauft. Axel und ich haben dann das ‚Überquell‘ am Hafen gegründet. Ich liebe die Ecke, mehr St. Pauli geht kaum.“
… die vorübergehende Schließung der Bullerei im Jahr 2020:
„Wir werden die ‚Bullerei‘ im kommenden Jahr für eine längere Zeit, bis zu einem halben Jahr, schließen müssen. Erstens, weil der Küchenraum nass ist und saniert werden muss, zweitens, weil wir nach zehn Jahren große Lust haben, an und in dem Laden etwas zu verändern. Wir suchen gerade eine Ausweichlocation, wir wollen auch damit noch mal voll durchstarten, nach zehn Jahren ein stückweit neu beginnen. Wir haben schon ein Gebäude entdeckt, das wir sehr gern nutzen würden, das zum Glück auch frei und das vor allem eine echte Hamburgensie ist.“
… den Traum, auf dem Hamburger Fernsehturm ein Restaurant zu eröffnen:
„Ich beschäftige mich seit acht Jahren damit. Es ist mir ein totales Herzensprojekt. Ich will da unbedingt hoch, es soll auf dem Fernsehturm wieder ein Restaurant geben, das sich dreht, genau wie früher, als wir mit unseren Eltern und Großeltern dort oben gesessen, gegessen und Hamburg bestaunt haben. Ich habe da ganz tolle Ideen.“
… den Regulierungswahn in der Gastronomie:
„Es macht sich keiner ein Bild davon, auf was man in der Gastronomie alles achten muss. Ob es Arbeitsschutz ist, ob Hygienevorschriften, Allergenverordnungen, Preiskennzeichnungsverordnungen, es ist der Wahnsinn. Ich wüsste nicht, wie man ohne juristische Vorbildung oder tiefes Verständnis für Verwaltungskram den ganzen Vorschriften gerecht werden könnte. Der Regulierungswahn benachteiligt die kleineren und kleinen Unternehmen, zu denen auch wir gehören, und bevorzugt die Systemgastronomen – und das kann nicht im Sinn der Gäste sein, die ja nicht nur Fertigküche möchten.“
Patrick Rüthers Fragebogen:Was wollten Sie als Kind werden und warum? Truckfahrer, inspiriert durch die Serie „Auf Achse“ und später den Film „Konvoi“.
Was war der beste Rat Ihrer Eltern? Ehrlich, gerecht und fair zu sein. Und meine Steuern bloß immer pünktlich zu bezahlen.
Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild? Von den „großen“ Vorbildern am ehesten Nelson Mandela. Bin nicht so der Vorbilder-Typ. Bewundern tue ich aber die Menschen, die alltäglich und fern medialer Aufmerksamkeit harte und mitunter frustrierende Jobs machen, ohne dafür die öffentliche Anerkennung zu bekommen, die sie verdienen würden. Beispielsweise in Frauenhäusern, Hospizen, in der Obdachlosen- oder Flüchtlingshilfe, Kinderheimen und, und, und.
Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt? Na ja, anfangs nicht viel Gutes. Ich wäre fast von der Schule geflogen, weil ich mich selten konzentriert und dadurch alle anderen massiv gestört habe. Das hat meine Mutter durch eine massive Ernährungsumstellung in den Griff bekommen. An der Uni bin ich nicht sonderlich aufgefallen und habe (leider) zu selten den Kontakt zu den Professoren gesucht.
Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen? Nach dem 2. Staatsexamen wollte ich eine Auszeit und habe 2003 eher zum Spaß den Hamburg City Beach Club gemacht. Durch eine Titelseite im Hamburger Abendblatt und den damaligen Jahrhundertsommer wurde das ein ziemlicher Erfolg. Dort an der Elbe haben Tim (Mälzer) und ich uns kennen gelernt und 2004 beschlossen, eine gemeinsame Gastronomie auf die Beine zu stellen.
Wer waren Ihre wichtigsten Förderer? Meine Familie, allen voran meine Eltern.
Auf wen hören Sie? Im Sinne von zuhören: auf jeden mit guten Argumenten. Im Sinne von gehorchen: niemandem einfach so.
Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben? Außer in meinen Studentenjobs hatte ich (leider/glücklicherweise) nie Chefs.
Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun? Sich zu schade für die Arbeit sein, den Respekt vor einfacher Arbeit verlieren und glauben, dass man der Einzige sei, der weiß, wie „es“ zu laufen hat.
Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils? Transparenz, Offenheit, Fairness, Lockerheit.
Wie wichtig war/ist Ihnen Geld? Ziemlich wichtig bis zu dem Punkt, an dem die Bedürfnisse unseres Familienlebens möglichst sorgenfrei gedeckt sind. Und sehr hilfreich um ungewöhnliche Dinge und Projekte umsetzen zu können. Es ist für mich reines Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck.
Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern? Ehrlichkeit, Vertrauen, Loyalität, die Bereitschaft zu Veränderungen und eine positive Lebenseinstellung.
Worauf achten Sie bei Bewerbungen? Auf den Charakter.
Duzen oder siezen Sie? Duzen. Nicht krampfhaft, aber meistens.
Was sind Ihre größten Stärken? Eher Allrounderqualitäten wie eine hohe Frustrationstoleranz, Analysefähigkeit, strategisches Denken und eine schnelle Auffassungsgabe, die mir alle dabei helfen, besondere, schöne Orte zu schaffen.
Was sind Ihre größten Schwächen? Bin manchmal zu vertrauensselig, etwas konfliktscheu und halse mir zuviel auf.
Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen? Was würden Sie ihn fragen? Da fällt mir jetzt gerade niemand ein. Wobei ich Olaf Scholz gern mal fragen würde, weshalb er nach dem unsäglichen G20 Gipfel nicht zurückgetreten ist.
Was denken Sie über Betriebsräte? Haben in vielen Unternehmen sicherlich eine Berechtigung.
Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht? Ich mache jeden Tag so einige Fehler.
Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen? Einfach mal eine Strandbar machen - direkt nach Studium, Masterarbeit und Referendariat.
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche? Das ist schwer zu sagen, weil vieles von dem, was ich tue, mit spannenden Leuten zu tun hat, inspirierend ist, Spaß macht und sich daher nicht nach „Arbeit“ anfühlt. Aber es bleiben recht wenige Stunden übrig, an denen ich rein privat beschäftigt bin.
Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)? Zwischen sechs und acht Stunden.
Wie gehen Sie mit Stress um? Mir helfen Bewegung an der frischen Luft, Yoga und das Spielen mit meinen Kindern.
Wie kommunizieren Sie? Am liebsten direkt und persönlich. Leider sehr viel asynchron via Mail, Slack usw.
Wieviel Zeit verbringen Sie an ihrem Schreibtisch? Zu wenig, da fast durchgehend Termine und Meetings anstehen. Ca. 15 Stunden/Woche.
Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das? Durchhalten, an sich glauben und das machen, was man wirklich wirklich will.
Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Rüther? Nichts. Als Unternehmer und Gründer (nicht „Manager“) bringe ich mich meist mit meiner vollen Persönlichkeit, meinen Ideen, Werten und Ansichten ein.
Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen? Helft der Gastronomie! Wir erwecken mit unseren Restaurants, Kneipen, Clubs und Imbissen ganze Viertel und sind Zuflucht, Treffpunkt, Wohnzimmer und Speisekammer. Dabei begleiten wir Menschen ihr ganzes Leben und kümmern uns um Geburtstage, Einschulungen, Hochzeiten und Trauerfeiern – und viele andere besondere Momente im Leben. Das wird uns von Jahr zu Jahr schwerer gemacht durch einen Regulierungswahn, dem bald nur noch große Gastrokonzerne standhalten können. Was nicht gerade förderlich ist für Vielfalt, Abwechslung und Weiterentwicklung der Gastronomie. |