Hamburg. Im Podcast erklärt das deutsche Gesicht von Fridays for Future, warum Hamburg ein “Klimaleuchtturm“ werden könnte.
Luisa Neubauer hat einen Traum: Hamburg wird als zweite europäische Großstadt nach Kopenhagen klimaneutral – durch ein günstiges Einheitsticket für den Nahverkehr, den Ausbau von Fahrradschnellstraßen und die Verbannung von Verbrennungsmotoren aus der Innenstadt. „So kann Hamburg zur ökologisch-visionären Großstadt werden“, sagt Luisa Neubauer in unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“.
Das deutsche Gesicht der Fridays-for-Future-Bewegung sieht im Kampf gegen die Klimakrise eine „unfassbare Chance“ für ihre Heimatstadt. Warum es dabei nicht reicht, dass jeder Einzelne sein Leben ändert, was das für unseren Wohlstand bedeutet und warum das Fahrrad beispielhaft für die Entwicklung ist, erklärt Luisa Neubauer im Gespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider. Zu hören ist es als Podcast unter www.abendblatt.de/entscheider. Neubauer hat zusammen mit Alexander Repenning auch ein Buch zum Thema geschrieben: „Vom Ende der Klimakrise“ ist bei Tropen erschienen.
Das sagt Luisa Neubauer über …
… Hamburg als eine der Hauptstädte der Fridays-for-Future-Bewegung:
„Hamburg ist eine überdurchschnittlich starke Stadt, was Mobilisierung angeht. Es gibt ein unfassbares Netzwerk an Menschen, die sich beteiligen und einbringen, nicht nur Fridays for Future, sondern auch Parents for Future und so weiter. Hamburg könnte zu einem Klimaleuchtturm in Europa werden. Es gibt keine ökologisch-visionäre Großstadt in Deutschland, das wäre eine so unfassbare Chance für Hamburg. Woran es Hamburgern ja nicht mangelt, ist Stolz und Selbstvertrauen, wieso übertragen wir das nicht auf den Kampf für den Klimaschutz? Das wäre übrigens auch eine Stadtteile und Generationen verbindende Gemeinschaftsaufgabe.“
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… eine Frage, die sie nicht mehr hören kann:
„Die Frage ist: Was kann der Einzelne gegen die Klimakrise tun? Was der Einzelne tut, hat keine unmittelbare Wirkung auf das Weltklima. Sicherlich ist es großartig, wenn Menschen ein ökologisches Leben führen, ich versuche das selbst und empfinde es als bereichernd. Wer morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, ist zum Beispiel produktiver, glücklicher und gesünder. Das ist erst mal nicht schlecht, aber das wird nicht die Veränderung mit sich bringen, die wir in unserer heutigen Lage brauchen. Es gibt kein nachhaltiges Leben in einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft. Im Kontext der Klimakrise trifft dieser Satz den Nagel auf den Kopf. Nehmen wir noch mal das Fahrrad: Es ist toll, wenn man morgens damit zur Arbeit fährt. Aber noch wichtiger ist es, dass die Infrastruktur dafür stimmt. Und dass das Fahrrad Fortbewegungsmittel Nummer eins in der Innenstadt wird. Dafür müssen die Bedingungen geschaffen werden, und dafür braucht man die Menschen, die sich organisieren und die laut werden. Es bringt nichts, wenn jeder nur seine Energie darauf verwendet, weniger Fleisch zu essen, Plastik zu vermeiden oder aufs Auto verzichten. Die großen Veränderungen müssen schon systemische sein. Wir müssen die Verhältnisse ändern und zum Beispiel dafür sorgen, dass es normal ist, dass Produkte nicht mehr eingeschweißt werden.“
… Flüge:
„Inlandsflüge in Deutschland kann man bequem ersetzen. Wenn 300 Leute sich dafür entscheiden, die Bahn zu nehmen, statt zu fliegen, ist mindestens ein Flugzeug leer und der Flug damit überflüssig. Es wäre ein leichtes, Inlandsflüge zu boykottieren, dann würden diese Flüge einfach eingestellt werden. Bei Fernflügen ist das noch mal anders, weil man oft keine Alternative hat.“
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… die Frage, wie teuer Klimaschutz ist:
„Viele Leute fragen sich ja interessanterweise, ob wir uns Umwelt- und Klimaschutz überhaupt leisten können oder ob das nicht viel zu teuer ist. Ich kann darüber nur müde lächeln. Denn richtig teuer ist, was wir gerade machen. Die Schäden an unseren ökologischen Grundlagen sind gigantisch, aber leider nicht einkalkuliert. Die Kosten dafür, etwa für verseuchte Böden, müssen dann kommende Generationen tragen – und der globale Süden. Dorthin exportieren wir unseren ganzen Plastikmüll, von dort bekommen wir die seltenen Erden für unsere Handys. All das lassen wir jenseits unserer Ländergrenzen und fühlen uns total super damit, dass wir jetzt ein Klimapaket haben.“
… die besondere Verantwortung Deutschlands in der Klimakrise:
„Die Klimakrise ist auch eine Krise made in Germany, weil wir zu den Hauptverursachern von CO2 in den vergangenen Jahrzehnten gehörten. Deshalb haben wir auch im Kampf gegen die Klimakrise eine besondere Verantwortung. Hinzu kommt, dass Deutschland eines der reichsten Länder der Welt ist. Von welchem Land, wenn nicht von Deutschland, soll man denn erwarten können, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten und insgesamt bei diesem Thema voranzugehen? Wir geben gerade jedem anderen Land eine Entschuldigung, nichts gegen die Klimakrise zu machen. Wenn wir unsere Möglichkeiten nicht nutzen, die Welt besser zu machen – wer soll das bitte dann tun?“
… Wohlstand:
„Wir müssten einmal unser Wohlstandsparadigma gründlich hinterfragen. Dann würden wir feststellen, dass Wohlstand eben nicht gleichbedeutend ist damit, dass das Bruttoinlandsprodukt wächst. Oft ist das Gegenteil richtig. Wir müssen gemeinsam überlegen, wohin wir als Gesellschaft wollen und wie wir dabei unserer internationalen Verantwortung gerecht werden.“
… das Wissen über die Klimakrise:
„In den vergangenen 30 Jahren haben wir etwa genauso viel CO2 in die Atmosphäre geballert wie in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor. Und das, obwohl wir seit 30 Jahren wissen, wozu das führen wird.“
… Verzweiflung angesichts der globalen Krise(n):
„Es gibt keinen Grund zu verzweifeln, wenn man sich anguckt, was die Menschen in den vergangenen zwei Jahrhunderten geschafft haben – Dinge, die für unmöglich gehalten wurden. Wir müssen uns ein Beispiel an Menschen nehmen, die damals gesagt haben: Ihr denkt, dass Frauen nicht wählen dürfen? Wir zeigen euch, wie das geht. Ihr denkt, dass Schwarze nicht mit Weißen in einem Bus fahren dürfen? Wir zeigen euch, wie das geht. Wir müssen uns hinter einer großen Idee von einem besseren Morgen versammeln.“
… die Gemeinsamkeiten von Sklaverei und Klimakrise:
„Früher war die Sklaverei ein essenzieller Bestandteil des wirtschaftlichen Systems in Amerika. Und für alle, die keine Sklaven waren, war das ganz normal, viele haben von den Sklaven profitiert. Die wiederum hätten sich nie selbst aus der Zwangsherrschaft befreien können. Das ist erst geschehen, als man sich entgegen den wirtschaftlichen Interessen entschieden hat, dieses System zu beenden, weil es moralisch falsch war. Ich finde das total richtungweisend und mit unserer heutigen Situation vergleichbar: Wenn es eine zerstörerische Praxis gibt, wie heute unser klimafeindliches Leben, dann muss man sie beenden. Und wie die Sklaven damals hat auch die Welt keine Chance, sich zu befreien – das müssen wir tun. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer freiwilligen Selbstdepriveligierung.“
… den Vorwurf, die jungen Klimaschützer seien viel zu hektisch und panisch:
„Wer das sagt, weiß ehrlicherweise nicht, wovon er redet. Ich würde es auch schön finden, wenn wir uns darauf verlassen könnten, dass eine Regierung sich selbstständig um ihre Abkommen und die Lebensgrundlagen künftiger Generationen kümmert. Aber das passiert nicht. Deshalb reden wir darüber. Selbst die lautesten Hysteriker in diesem Land untertreiben, wenn man sich ansieht, wie es um uns steht. Mich schmerzt es immer, wenn andere sagen, dass Angst kein guter Ratgeber ist. Wir haben nun einmal Angst, und das ist eine ganz natürliche Empfindung, wenn man sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel beschäftigt. Ein respektvoller Umgang mit den Menschen, die diese Angst empfinden, ist entscheidend. Im nächsten Schritt müssen wir uns fragen, was wir mit dieser Angst machen. Und dann müssen wir darüber sprechen und aus der Panik eine konstruktive Panik machen.“
… das Klimaschutzpaket der Bundesregierung:
„Das Klimaschutzpaket ist ein Paket mit vielen Maßnahmen, die sich gegenseitig aufheben, aber allen das Gefühl geben, die Bundesregierung hätte etwas unternommen. Das ist der schlimmste aller Fälle. Die große Koalition scheint richtig, richtig Angst vor den großen Industrien zu haben, vor den Kraftwerksbetreibern und Automobilkonzernen. Dann hat man Angst davor, der AfD in die Karten zu spielen, wenn man im Klimaschutz zu stringent vorgeht. Und sicher gibt es irgendwie auch eine Angst vor den Grünen. Tatsächlich spielt man das Spiel Klimaschutz gegen Wohlstand, und trägt dazu bei, dass sich die Diskussion weit vom Sachlichen entfernt.“
… die Frage, ob man angesichts der Klimakrise noch Kinder in die Welt setzen kann:
„Wenn man sieht, dass man einem Kind keine sichere Zukunft garantieren kann, finde ich die Frage nicht abwegig. Es ist schon absurd, dass Eltern für ihre Kinder Bausparverträge und Mäuse-Konten abschließen und gleichzeitig dazu beitragen, dass ihre ökologischen Grundlagen kollabieren. Das ist ein seltsamer Umgang mit der Zukunft der eigenen Kinder. Für mich würde ich mir wünschen, dass ich irgendwann mit gutem Gewissen Kinder bekommen kann. Und dafür setze ich mich jeden Tag ein.“
… die geringe Zahl von Vegetariern in Deutschland:
„Die Botschaft daraus ist: Wir werden uns nicht darauf verlassen können, dass alle Menschen bekehrt werden und im Supermarkt die Welt retten. Wenn Leute nicht aufhören, Fleisch zu essen, müssen wir dafür sorgen, dass Fleisch einen Preis hat, der den Kosten entspricht. Das ist doch total logisch. Wir werden weiter in einer Welt leben, in der Menschen Fleisch essen. Aber das muss in einer Art und Weise passieren, die ökologisch nachhaltig ist.“
… alte, weiße Männer:
„Es ist bemerkenswert, wie viele Menschen in Industrie, Politik und Medien zur Kategorie alte, weiße Männer gehören. Viele davon ernüchtern mich in ihrer Herangehensweise, viele erlebe ich aber auch als sehr aufgeschlossen. Ich stelle fest, dass wir mehr Frauen in wichtigen Positionen brauchen. Der Sexismus der Klimakrise ist unterbeleuchtet.“
… alte, weiße Frauen:
„Es gibt auch die Kategorie alte, weiße Frau. Das wollte ich nie wahrhaben, aber das ist eine Feststellung, die ich leider in den vergangenen Jahren gemacht habe.“