Hamburg. Im Podcast spricht der Senator über die Krise am Anfang der Karriere, über eine Bewerbung beim Abendblatt – und über ehrgeizige Eltern.

Stellen Sie sich vor, sie beenden Schulzeit und Studium mit Traumnoten - und bekommen trotzdem keinen Job. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe ist genau das passiert. Ausgerechnet die Behörde, die er seit mehr als acht Jahren führt, hat ihn einmal in die Arbeitslosigkeit geschickt. Deshalb wurde der Mann, der heute Deutschlands dienstältester Kultusminister ist, erst Journalist und dann SPD-Geschäftsführer, bevor er endlich in dem Beruf arbeiten durfte, der für ihn der schönste ist.

Über die zum Teil unglaubliche Karriere spricht Ties Rabe im Abendblatt-Podcast "Entscheider treffen Haider" mit dem Mann, dessen Vorgesetzter er einmal war. Der Schulsenator und Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider haben sich vor vielen Jahren kennengelernt. In ihrem ersten Gespräch ging es darum, dass Haider als freier Mitarbeiter beim Elbe-Wochenblatt zu viel Geld verdiente...

Diesmal sagt Ties Rabe über ...

... seinen ersten Versuch, als Lehrer zu arbeiten:

„Ich war ein Opfer der Bildungspolitik der 90er-Jahre. Ich war nach meinem Lehramtsstudium und dem Referendariat ein Jahr arbeitslos, was eine schwierige Phase in meinem Leben war, an die mich nicht gern erinnere. Ich habe mit großer Leidenschaft Lehrer werden wollen. Aber schon während des Studiums war abzusehen, dass die Schulbehörde immer weniger Lehrer einstellt. Am Ende habe ich beide Examina mit der Note 1,0 gemacht, und es hat nichts genutzt. Ich war damals als ehemals Jahrgangsbester meiner Schule der einzige, der trotz Studium keinen Job bekommen hat. Das war schon eine verrückte Lage und für mich eine Krise."

...seinen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit:

„Nachdem ich von der Schulbehörde eine Absage erhalten hatte, habe ich irgendwie versucht, woanders Fuß zu fassen. Ich habe in einer Tanzband sehr viel Musik gemacht, in einer Gemeinde am Wochenende Orgel gespielt, ich habe an der Volkshochschule Vorbereitungskurse fürs Abitur gegeben und bei einem Wochenblatt als Korrekturleser gearbeitet. Und nebenbei habe ich noch mitgeholfen, unser Einfamilienhaus zu bauen. Letzteres war schon sehr mutig. Meine Frau war zwar Lehrerin, hatte aber nur eine Dreiviertelstelle."

... den Versuch, einen Kredit bei der Wohnungsbaukreditanstalt der Freien und Hansestadt Hamburg für den Bau eines Haus zu bekommen:

„Die sagten damals zu uns: Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Sie sind wirklich nicht so reich, Sie können alle Kredite haben, die Sie wollen. Die schlechte: Wir geben sie Ihnen trotzdem nicht, denn mit so wenig Geld, wie Sie es haben, können Sie eigentlich kein Haus bauen."

... seine Zeit als Journalist:

„Wir wurden als Referendare dazu verpflichtet, ein dreiwöchiges Praktikum in einer Firma zu machen. Es wurde damals gemunkelt, dass sich die Schulbehörde das ausgedacht hatte, um die Referendare, die man ja gar nicht alle brauchte, loszuwerden. Das hat mich zur Bergedorfer Rundschau, einem Wochenblatt, geführt. Ich habe dort später freiberuflich als Korrekturleser und Journalist gearbeitet, bin später Redaktionsleiter beim Elbe-Wochenblatt geworden. Ich habe gern und viel geschrieben. Es ist bis heute so, dass es mir leicht fällt, Texte zu schreiben. Ich habe mich in der Rolle als Journalist und Redaktionsleiter, mit dieser Gestaltungsmacht, sehr wohl gefühlt. Mich hat das fasziniert."

... seine Bewerbung beim Hamburger Abendblatt:

„Natürlich habe ich als Journalist in Hamburg mit einem Job beim Abendblatt geliebäugelt. Aber ihr Gangster wolltet mich nicht haben. Es hieß, ich solle mich mal ruhig bewerben. Das habe ich auch getan. Aber wenn man bei einem Wochenblatt ist, gilt man als Journalist zweiter Ordnung. Ich glaube, am Ende hat meine Bewerbung den damaligen Chefredakteur gar nicht erreicht."

... seinen zweiten Versuch, als Lehrer zu arbeiten, nachdem er überraschend seinen Job als Landesgeschäftsführer der SPD verloren hatte:

„Die Schulbehörde war damals etwas hart: Sie schlug mir vor, erst einmal ein unbezahltes Praktikum zu machen. Aber als ich dann an das Luisen-Gymnasium in Bergedorf kam, habe ich gemerkt: Dass ist der Beruf, den ich mir zu Recht mal ausgesucht habe. Es war eine großartige Zeit, der Kontakt zu den jungen Leuten hat mir persönlich sehr viel gebracht. So viel Wertschätzung erhält man in anderen Berufen nicht."

... den Moment, in dem er erfuhr, dass er im neuen Senat von Olaf Scholz Schulsenator werden soll:

„Ich wollte Einkaufen fahren und saß im Auto, als er anrief. Olaf Scholz hat gar nicht gefragt, ob ich Schulsenator werden will. Er hat einfach gesagt: 'Du machst das.' Und ich habe gesagt: 'Ja.' Und zwar in einer Sekunde. Wenn man was werden will, soll man nicht solange rumzicken."

... wie es Hamburg geschafft hat, sich in bundesweiten Schul-Vergleichsstudien von den unteren an die oberen Plätzen vor zu arbeiten:

„Deshalb haben wir Schulinspektionen und regelmäßige, landesweite Leistungstests für alle Schülerinnen und Schüler eingeführt. So erfahren Lehrer, wie ihre Arbeit gewirkt hat – sie bekommen ein Feedback. Und das spornt an, den eigenen Unterricht zu überprüfen und zu verbessern."

... Leistung:

„Ich bin ein Fan von Leistung, auch wenn man sich damit nicht immer beliebt macht. Das Abitur ist doch zum Beispiel ein Versprechen an die Gesellschaft, dass derjenige, der es hat, einen bestimmten Bildungsgrad erreicht hat. Und deswegen wollen wir das in Hamburg nicht verschenken. Unser Abitur darf keinen Millimeter leichter werden. Wer auf Leistung setzt, erreicht übrigens auch, dass die Schüler mehr leisten, als wenn man von ihnen nicht so viel erwartet."

... ehrgeizige Eltern:

„Natürlich gibt es ehrgeizige Eltern. Aber leider gibt es viel mehr Eltern, die sich überhaupt nicht für die schulische Karriere ihrer Kinder interessieren. Das ist der Alltag. Wir haben Schulen, bei denen zum Elternabend drei Sorgeberechtigte kommen, und das bei 20 bis 25 Kindern. Das ist unsere Schwierigkeit, nicht die ehrgeizigen Eltern. Entscheidend für den Erfolg eines Kindes an einer Schule ist übrigens, ob die Eltern ein offenes, freundliches Verhältnis zum Thema Bildung haben. Sind sie selber gebildet, sind sie gern zur Schule gegangen? Diese Haltung prägt die Kinder. Wo das fehlt, haben wir es schwer."

... die steigenden Schülerzahlen:

„Wir müssen viele neue Schulen bauen, aber wir werden auch die bestehenden Schulen erweitern müssen. Die Eltern fragen sich bei einer Anmeldung auch nicht, ob die entsprechende Schule zu groß ist, sondern, ob sie gut ist. Eigentlich müsste künftig jeder zehnte Hamburger Abiturient Lehrer werden, damit wir die Nachfrage decken können."

 

Ties Rabes Fragebogen: Traumjob Baggerfahrer

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Wir wohnten am Flughafen in Langenhorn, und alle meine Freunde wollten Pilot werden. Ich wollte als einziger Baggerfahrer werden, weil ich so gern in der Sandkiste spielte.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Gib Dir Mühe, Du schaffst das!

Wer war beziehungsweise ist  Ihr Vorbild?

Vorbilder habe ich eigentlich nicht. Aber ich bewundere meine Frau dafür, dass Sie immer gute Laune hat und mit allen Menschen schnell ein herzliches Miteinander findet.

Was haben Ihre Lehrer /  Professoren über Sie gesagt?

Das weiß ich nicht mehr, vermutlich  „Rabe redet immer gegen an“.

Wann und warum haben Sie sich  für Ihren Beruf entschieden?

Welchen? Ich war Lehrer, Geschäftsführer, Redaktionsleiter und jetzt Senator. Ich wollte gerade im Supermarkt einkaufen, als Olaf Scholz anrief und sagte: Du machst das. Ich habe sofort zugesagt. Bedenkzeit brauche ich nicht: Wer in die Politik geht, will handeln und etwas besser machen. Reden ohne handeln ist nur für die Galerie und nicht meine Sache.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Der leider viel zu früh gestorbene Geschäftsführer der Bergedorfer Rundschau Hartmut Bader, unser Bergedorfer SPD-Urgestein Rolf Niese und natürlich Olaf Scholz.

Auf wen hören Sie?

Auf jeden, der gute Argumente hat. Manchmal sogar auf den politischen Gegner.

Was sind die Eigenschaften, die Sie an ihren Chefs bewundert haben?

Andere arbeiten zu lassen.

Was sollten Chefs auf keinen Fall tun?

Die eigenen Fehler anderen in die Schuhe schieben.

Was sind die Prinzipien ihres  Führungsstils?

Viel fordern, zuhören und diskutieren, und dann noch mehr fordern.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Wir machen Urlaub in St. Peter-Ording, fahren Golf, kaufen bei Aldi und gehen einmal in der Woche bei unserem Griechen um die Ecke essen. Das restliche Geld –  und das ist mittlerweile ziemlich viel –  wird gespart, ohne dass ich wirklich einen Plan hätte, wofür.

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

Hoffentlich nicht zu wenig.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Schulzeugnisse, Neugier, zupackende Art, freundliches Wesen.

Duzen oder siezen Sie?

Ich duze lieber – das ist wohl eine SPD- und Lehrerkrankheit.

Was sind Ihre größten Stärken?

Ich bin arbeitswütig, lerne schnell und vergesse kaum.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Ich kann keine Rede vom Blatt lesen, sondern weiche immer vom Text ab.

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Den früheren SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel. Der hat mich mehrfach mit besonders klugen und Mut machenden Reden beeindruckt.

Was würden Sie ihn fragen?

Warum sich so viele von der SPD, von den Volksparteien und auch von unserer Demokratie abwenden.

Was denken Sie über Betriebsräte?

Sie sind nicht besser und nicht schlechter als Chefs. Aber genau so wichtig.

Wann haben sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Heute morgen, da habe ich im Senat mal wieder eine Brezel mit Butter gegessen, obwohl ich endlich abnehmen möchte.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Die grundsätzliche Einstellung, nicht wegzulaufen, wenn Verantwortung droht.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Wenn ich die Parteiarbeit mitzähle, dann sind es durchschnittlich rund zwölf Stunden jeden Werktag und noch einmal zwölf Stunden am Wochenende, macht also rund 72 Stunden.

Wie viele Stunden schlafen Sie pro Nacht?

Fünfeinhalb Stunden. Ich stehe gern früh auf, meistens um fünf Uhr, zum Ärger meiner Frau auch am Wochenende.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Ich esse zu viele Gummi-Teddys. Ausgleich und Ruhe bekomme ich durch meine Familie, mein Klavier, meine Modelleisenbahn und mein Motorrad.

Wie kommunizieren Sie?

Ich glaube klar und direkt und manchmal etwas zu unverblümt.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

Ein bis zwei Stunden am Tag, und weil das zu wenig ist, arbeite ich in der Bahn, im Taxi, im Dienstwagen, im Hotel, auf dem Sofa – überall wo mein Laptop funktioniert.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Gib dir Mühe, du schaffst das.

Was unterscheidet den Menschen von dem Manager?

Ich bin privat nicht so gern in der Öffentlichkeit. Sonst gibt es hoffentlich keine Unterschiede, höchstens die Krawatte.

Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Dass es mich nervt, wenn Medien gute und kluge Fragen stellen, die man mit nur einem Satz beantworten soll.