London. Stonehenge war Archäologen lange ein Rätsel: Warum wurde das Bauwerk vor tausenden Jahren errichtet? Eine neue Studie liefert die Antwort.

Zur Wintersonnenwende wird es rund um Stonehenge wuseln. Wie jedes Jahr werden mehrere Tausend Besucherinnen und Besucher zur berühmtesten archäologischen Anlage Großbritanniens pilgern, um den Lauf der Sonne am kürzesten Tag des Jahres zu beobachten. Der 21. Dezember ist der wichtigste Tag im Stonehenge-Jahr. Das Megalithen-Monument wurde unter kosmischer Anleitung gebaut, an diesem Tag wird die Sonne am südwestlichen Ende des Steinkreises untergehen.

Die Bedeutung des 5000 Jahre alten Bauwerks ist unbestritten. Aber der Grund, warum es überhaupt da ist, darüber sind sich Archäologen uneinig. Manche sagen, Stonehenge sei eine Art überdimensionierter Kalender, andere vermuten einen religiösen Ursprung. Jetzt glauben Wissenschaftler die Antwort gefunden zu haben: Stonehenge sei ein Symbol der Einheit zwischen den verschiedenen Völkern, die damals auf der Insel lebten. Diese Theorie hat eine Gruppe von Archäologen vom University College London und der Aberystwyth University, geleitet vom Stonehenge-Experten Mike Parker Pearson, in einer neuen Studie dargelegt.

Stonehenge: Dazu dienten die Steine wohl nach dem Wiederaufbau

Die zweite Phase des Stonehenge-Baus, etwa 2500 Jahre v. Chr., sei eine Epoche des kulturellen Wandels gewesen, sagte Parker Pearson. Viele Menschen aus Kontinentaleuropa wanderten damals auf die britische Insel aus, sie waren Vertreter der sogenannten Glockenbecherkultur – ihren Namen verdanken sie den keramischen Gefäßen, die sie fertigten.

„Es gab offensichtlich einen Austausch, man kann vom ersten Kontakt sprechen“, sagte Parker Pearson. „Das ist der Zeitpunkt, zu dem Stonehenge gebaut wurde, und ich frage mich, ob dieser Moment der Kontaktaufnahme als Anstoß für die wirklich beeindruckende zweite Phase von Stonehenge gedient hat.“ Es sei ein Versuch gewesen, die Verbundenheit zwischen den verschiedenen Völkern zu demonstrieren, vielleicht um die Neuankömmlinge in die Gesellschaft einzubeziehen.

Stonehenge - No filter needed
Stonehenge besteht aus aufrecht stehenden Sandstein-Blöcken. Besonders ist, wie akkurat die Steine aufgestellt sind. © iStock | Wirestock

In diesem Sinn sei Stonehenge gleichermaßen ein politisches Monument wie ein religiöses. „Es ist kein Tempel, es ist kein Kalender, und es ist kein Observatorium.“ Stattdessen sei es ein „Denkmal der Einheit der britischen Völker, um ihre ewige Verbundenheit mit ihren Vorfahren und dem Kosmos zu feiern.“

Studienautor über den Steinkreis: „Geschichte muss neu geschrieben werden“

Die Autoren stützen ihre These unter anderem auf die Tatsache, dass die einzelnen Megalithe von Stonehenge aus so unterschiedlichen Gegenden stammen. Das äußere Hufeisen von Stonehenge besteht aus massiven, aufrecht stehenden Sandstein-Blöcken, die je bis zu 50 Tonnen wiegen; sie stammen aus einer Gegend etwa 20 Kilometer entfernt. Die 19 Doleritsteine im inneren Hufeisen hingegen wurden aus den Preseli-Bergen im Süden von Wales hergeschleppt – eine Distanz von etwa 200 Kilometern.

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Vor einigen Monaten ergab eine Gesteinsanalyse, dass ein zentraler Bestandteil des Monuments einen noch viel weiteren Weg zurückgelegt hat: Der Altarstein, ein flach liegender, fünf Meter langer Megalith in der Mitte der beiden Halbkreise, stammt aus dem äußersten Nordosten von Schottland, etwa 750 Kilometer entfernt. Angesichts dieser „atemberaubenden“ Erkenntnis müsse „die Geschichte der Beziehungen zwischen den Steinzeit-Völkern der britischen Inseln neu geschrieben werden“, sagte einer der Autoren.

Mike Parker Pearson und seine Mitautoren mutmaßen in ihrer neuen Studie, dass der Altarstein von einem Monument in Schottland abgebaut und als Geschenk nach England transportiert wurde, „vielleicht um ein Bündnis zu zementieren“ oder um sich an einer „außergewöhnlichen Kollaboration zu beteiligen, die der Bau von Stonehenge verkörperte“.