London. In 50 Jahren ist Con Riordan nie sein Bier ausgegangen. Doch Lieferengpässe machen ihm Sorgen – ausgerechnet kurz vor Weihnachten.
- Ein Weihnachten ist nicht nur die Nachfrage nach Glühwein groß
- Auch viel Bier wird getrunken – in England ist besonders Guinness beliebt
- Doch Wirte fürchten, dass es zum Fest knapp werden könnte
Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags, die Blythe Hill Tavern hat gerade aufgemacht. Con Riordan, der Landlord des Pubs, ist schon im Stress. Der Gastwirt lebt seit fünf Jahrzehnten in London, aber er spricht mit einem unverkennbaren irischen Akzent. Ein Stück seiner Heimat findet man auch hier, in der Blythe Hill Tavern. Das Lokal liegt unromantisch an einer befahrenen Straße im Süden der Stadt, drinnen jedoch findet man die typische Behaglichkeit der irischen Pubs: ausgelatschter Teppich, rot bezogene Bänke, Bücher in der Ecke, geschwätzige Stammtrinker an den Tischen.
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Das Pub ist mehr als 150 Jahre alt und steht unter Denkmalschutz. Für viele Gäste ist jedoch eine andere Attraktion ausschlaggebend: In der Blythe Hill Tavern, so sagt man, trinke man das beste Guinness südlich der Themse. Gerade deswegen macht sich Con Riordan dieser Tage so große Sorgen: Das irische Stout, sein Verkaufsschlager, droht knapp zu werden.
Wird Bier knapp? Brauerei meldet „außergewöhnliche“ Nachfrage
Anfang Dezember warnte der Getränke-Konzern Diageo, dem die irische Brauerei gehört, dass die „Verbrauchernachfrage für Guinness in Großbritannien außergewöhnlich war“. Die Brauerei arbeite zu voller Kapazität und versuche, den Vertrieb „so effizient wie möglich zu machen“. Viele Lokale haben in den vergangenen Wochen gemeldet, dass sie weniger Fässer als bestellt erhalten haben. Riordans letzte Bestellung kam noch in vollem Umfang an. Die Gäste in der Blythe Hill Tavern trinken sich jede Woche durch 20 Guinness-Fässer, jedes davon reicht für 88 Pints. Aber ob die nächste Lieferung kommt, das weiß der Landlord nicht. „Es bereitet mir schlaflose Nächte“, sagt er.
Was die genauen Gründe sind für die Engpässe, ist nicht klar. Es könnte schlichtweg daran liegen, dass die Briten immer mehr auf den Guinness-Geschmack gekommen sind, nicht zuletzt die Londonerinnen und Londoner. In der Hauptstadt ist in den vergangenen Jahren ein richtiger Guinness-Wahn ausgebrochen – gerade unter jungen Leuten. Lange Zeit war das schwarze Gebräu mit seiner cremigen Haube als Altherren-Getränk bekannt gewesen.
Heute hingegen stößt man in den Londoner Pubs auf herausgeputzte Hipster, schneidige Geschäftsleute und Gruppen von jungen Frauen, die sich ein Pint Guinness genehmigen. Das Devonshire Pub in Soho, im Zentrum Londons, hat den „black stuff“ (dt. schwarzes Zeug) zu seinem Markenbier gemacht; hier werden jede Woche etwa 15.000 Pints gezapft. 2022 war Guinness erstmals das beliebteste Fassbier in den britischen Pubs.
Guinness wird immer mehr zum Trend-Getränk
Auch in der Blythe Hill Tavern hat der Guinness-Konsum merklich zugenommen. „Die letzten drei bis vier Jahre waren verrückt“, sagt Con Riordan. Kluges Marketing, das sich auch an ein jüngeres Publikum wendet, dürfte den Boom zu einem Teil erklären. Dazu kommt ein „Viral-Effekt“. Letztes Jahr beispielsweise postete Reality-TV-Star Kim Kardashian ein Bild auf Instagram, wie sie mit einem Guinness in der Hand in einem Londoner Pub steht; an der diesjährigen Mailänder Fashion Week war auf dem Catwalk eine Kollektion von Pullovern mit Guinness-Logo zu sehen.
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Laut Branchenexperten hilft auch die Tatsache, dass Guinness weniger Kalorien hat als Lagerbier – das mache es für gesundheitsbewusste Trinker attraktiver als Lager. Con Riordan stimmt zu. Aber er hält etwas anderes für ausschlaggebender: Covid. „Es war das Getränk, das sie während der Lockdowns nicht trinken konnten“, sagt er. „Ein Lagerbier kann man gut zu Hause anstatt im Pub trinken, aber Guinness aus der Dose schmeckt nicht so wie das Fassbier.“
Wirte bangen um Weihnachtsgeschäft
Eine Demonstration ist erforderlich, Riordan geht hinter die Bar. Das perfekte Pint Guinness erfordert etwas Geduld. „Man füllt es zuerst zu zwei Dritteln“, sagt der Landlord und hält das Glas in einem Winkel von etwa 45 Grad darunter. Dann stellt er es hin und wartet, bis sich das stürmische Wogen im Glas etwas beruhigt. Wie lange ungefähr? Von wegen ungefähr: „119 Sekunden!“, sagt Riordan. Die Zeit wird für Plauderei genutzt – Familie, Arbeit, Fußball –, schließlich ist man im Pub. Dann wird der Rest aufgefüllt, diesmal bleibt das Glas aufrecht stehen. „That’s it“, sagt Riordan, das vollendete Guinness ist trinkbereit.
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Noch nie in seinen fünfzig Jahren als Londoner Pub-Landlord sei ihm das Guinness ausgegangen, sagt Riordan. Gerade in den Feiertagen wäre es ein komplettes Fiasko. Aber er kann nichts tun – „we‘re in the lap of the gods“, sagt er: Es liegt bei den Göttern. Guinness hin oder her, der Weihnachtsandrang kommt auf jeden Fall.