Neu Wulmstorf/Stade. Beschäftigte eines Logistikbetriebs sollen sich Technikartikel im Wert von fast 100.000 Euro einfach selbst zugeschickt haben.
- Mit einem Trick sollen zwei Logistikmitarbeiter hochpreisige Waren entwendet haben
- Vor Gericht sagen Zeugen des Neu Wulmstorfer Logistikbetriebs Geodis aus
- Das Unternehmen arbeitet im Auftrag des Versandriesen Amazon
Die Masche ist simpel, der Fall kompliziert: Zwei Angestellte des Logistikbetriebs Geodis in Neu Wulmstorf sollen in Zusammenarbeit mit weiteren Beschäftigten Amazon-Versandwaren in Höhe von 87.000 Euro gestohlen haben. Den Männern im Alter von 30 und 35 Jahren wird gemeinschaftlicher gewerbsmäßiger Bandendiebstahl in 37 Fällen vorgeworfen. Der Fall wird seit Montag, 12. Juni, am Stader Landgericht verhandelt.
Das Vorgehen laut Anklage: Mit doppelt ausgedruckten Labels hätten die Beschuldigten hochwertige Waren wie Fernseher, Computer und Kaffeemaschinen aus dem Lager ihres Arbeitgebers geschafft – über den offiziellen Versandweg, ohne dass die Paketboten in die Tat eingeweiht waren.
Diebstahl per Amazon-Bestellung: Logistikmitarbeiter schicken sich selbst Waren aus dem Lager
Das habe so funktioniert: Per Amazon bestellten die Angeklagten im Juni und Juli 2019 mutmaßlich niedrigpreisige Waren mit ihren Privatadressen als Zielort. Diese Bestellungen gingen an ihrem eigenen Arbeitsplatz, dem Logistikcenter der Geodis Logistics Deutschland GmbH in Neu Wulmstorf, ein. Dort waren sie als Teamleiter und sogenannte „Bestandskümmerer“ für besondere Aufgaben tätig.
Als Logistikmitarbeiter mit Zugang zum Warenwirtschaftssystem druckten die Männer nach Darstellung der Staatsanwaltschaft die Amazon-Etiketten der tatsächlich bestellten Waren erneut aus, klebten sie auf hochwertige Waren aus dem Lager und gaben die Pakete – zunächst unbemerkt – am Packtisch vorbei in den Versand. Auch von einer Manipulation von Adressdaten im System war in der Verhandlung die Rede.
Das Unternehmen Geodis mit 14 Standorten in Deutschland ist als Logistikdienstleister unter anderem für den US-Versandriesen Amazon tätig. Zum Tatzeitpunkt im Jahr 2019 arbeitete die Zweigstelle in Neu Wulmstorf im Auftrag von Amazon. Mittlerweile ist das nicht mehr der Fall, wie die Zeugenbefragung ergab.
Geodis Neu Wulmstorf: Heutiger Security-Manager kommt der Masche auf die Spur
Wie die Taten aufflogen, berichtete der heutige Security-Manager vor Gericht. Der 51-Jährige arbeitete 2019 nach eigener Aussage „als Mädchen für alles“ für die Betriebsleitung und sei vom Bereichsleiter des Warenausgangs auf Unstimmigkeiten angesprochen worden. „Ihm war aufgefallen, dass Labels nachgedruckt wurden“, so der Mitarbeiter.
Dass darauf die Adressen von Beschäftigten standen, habe ihn stutzig gemacht. Die Pakete sollen an verschiedene Adresse und Fakenamen gegangen sein.
In Zusammenarbeit von Geodis, einem Paketdienst und den Behörden habe die Polizei nach einer Paketübergabe eine Hausdurchsuchung bei den Beschuldigten vorgenommen und Waren gefunden, die mit einer Verlustliste zugeordnet werden konnten.
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Angeklagte sagen kein Wort vor Gericht – Anwälte bezweifeln Eindeutigkeit der Beweise
Die Angeklagten äußerten sich nicht zu den Vorwürfen und ließen vor Gericht ihre Anwälte sprechen. Bei Befragung des heutigen Geodis-Security-Managers und eines involvierten Servicetechnikers stellte sich heraus, dass die Mitarbeiter-Zugänge zumindest teilweise an den Arbeitsstationen in der Tatzeit vermerkt waren.
Ein möglicher Schluss der Verteidiger: Jeder Mitarbeiter hätte die sogenannten „Ship Labels“ ausdrucken können.
Die Klärung technischer Details bestimmten den ersten Verhandlungstag. Großes Interesse zeigten die Anwälte am Zustandekommen einer Liste mit allen doppelt gedruckten Etiketten, die die befragten Mitarbeiter erstellt hatten, um die Vorgänge innerbetrieblich aufzuklären. Auch die Erstellung sogenannter Trackingnummern zur Warenverfolgung beim erneuten Ausdruck der Labels, die der Auftraggeber Amazon zentral vergibt, spielte bei der Befragung eine zentrale Rolle.
Klar wurde durch eine Zeugenaussage auch: Eine Gewichtsüberprüfung der Pakete am Warenausgang war in der Tatzeit nicht scharfgestellt.
Was passierte mit den Fernsehern und Kaffeemaschinen in den Wohnungen?
Das Landgericht Stade wollte in diesem frühen Stadium der Verhandlung keine weiteren Angaben zu dem Verfahren machen. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es, dass sich die Angeklagten und Komplizen die Pakete schickten, „um die hochwertigen Waren für sich zu verwerten.“ Was mit den Artikeln nach der Zustellung passierte, muss der Prozess zeigen.
Der nächste Verhandlungstag ist Donnerstag, 15. Juni, am Stader Landgericht. Bis einschließlich 15. August sind acht weitere Termine vor der 5. Großen Strafkammer unter Vorsitz von Richter Stefan Tomczak angesetzt.