Neu Wulmstorf. Nicht nur die Inflation macht Neu Wulmstorfs Pionierin Petra Andersen das Leben schwer, Wie ihr geht es vielen Anbietern

Wenn sie es nicht packt – wer dann? Das dachten viele Neu Wulmstorfer, als sie hörten, das Petra Andersen, SPD-Fraktionsvorsitzende im Neu Wulmstorfer Gemeinderat, langjährige Elternratsvorsitzende des örtlichen Gymnasiums, Dozentin in der Erwachsenenbildung und insgesamt bestens vernetzt – am 20. Mai ihren Unverpackt-Laden mit dem passenden Namen „Umbruch“ eröffnete. Für sie war der Schritt in die Selbstständigkeit ein Umbruch, verbunden mit vielen Hoffnungen. Nur wenige Monate später zieht die Powerfrau allerdings eine ernüchternde erste Bilanz. Nicht nur ihr Geschäft, die gesamte Unverpackt-Branche steht unter Druck.

Vanessa Tiede ist eine Traumkundin für jeden Unverpackt-Laden. Die Einkaufstaschen gefüllt mit verschiedenen Behältnissen legt sie los: Haferflocken werden in eine mitgebrachte Vorratsdose abgefüllt, Nudeln werden abgewogen und in einen Beutel geschüttet, Speiseöl läuft in eine ehemalige Saftflasche aus Glas. Die junge Frau kommt regelmäßig in den Unverpackt-Laden von Petra Andersen am Grenzweg gegenüber vom Rathaus. Sie möchte möglichst auf Verpackungen verzichten. 70 Kilogramm Verpackungsmüll fallen in deutschen Haushalten jährlich an – pro Person.

Kundin in Neu Wulmstorf: „Die haben eine Super-Auswahl hier“

Da möchte Vanessa Tiede nicht mitmachen. „Vor der Eröffnung von Frau Andersens Geschäft bin ich immer zu ,Stückgut’ in der Rindermarkthalle auf St. Pauli gefahren. Ich bin glücklich, dass es jetzt so einen tollen Laden in meiner Nähe gibt“, sagt die Eißendorferin. „Die haben eine Super-Auswahl hier.“

Kundin Vanessa Tiede zapft Öl in eine mitgebrachte Glasflasche. Die Eißendorferin kommt regelmäßig in den Unverpackt-Laden nach Neu Wulmstorf.
Kundin Vanessa Tiede zapft Öl in eine mitgebrachte Glasflasche. Die Eißendorferin kommt regelmäßig in den Unverpackt-Laden nach Neu Wulmstorf. © HA | Sabine Lepél

Solche Worte lassen Petra Andersen strahlen, sind pure Motivation für sie. Ansporn, um weiterzumachen. Denn einfach waren die ersten Monate der Selbstständigkeit für die Neu-Unternehmerin nicht. „Ich bin mir immer noch sicher, dass ich hier das Richtige tue und dass diese Art des Einkaufens für die Menschheit langfristig der richtige Weg ist“, sagt sie. „Aber die Luft wird dünner und die Kraft schwindet.“ Täglich steht Andersen mindestens neun Stunden im Laden, dazu kommen das Einkaufen, Einfüllen, Einsortieren und Auszeichnen der Waren, die Kalkulation, Bestellung, Lagerlogistik und Buchführung. Und das alles als „One-Woman-Show“.

Zwar hatte Andersen mit einer Mitarbeiterin zur Unterstützung angefangen, doch die konnte nach Ablauf des Zeitvertrages nicht weiter beschäftigt werden. Eine weitere Kraft wirft der Laden derzeit nicht ab.

Jetzt bleibt alles an Andersen hängen, nur ihre Familie springt ein, wenn es nötig ist

Also: Augen zu und durch. Jetzt bleibt alles an Andersen hängen, nur ihre Familie springt ein, wenn es möglich ist. „Ich will aber nicht jammern. Andern Leuten geht es viel schlechter“, sagt sie. „Und ich habe mir hier schließlich einen Traum erfüllt.“ Dennoch hätte sie nach dem vielen Zuspruch, den Neu Wulmstorfs Unverpackt-Pionierin vor der Eröffnung ihres Geschäfts erhielt, mit mehr Kundschaft aus dem Ort gerechnet. „Ich bin schon enttäuscht“, sagt sie. „Es wurde ja von vielen Seiten so gefeiert, dass ich hier einen Unverpackt-Laden etabliert habe.“

Mit ihren Sorgen steht Petra Andersen nicht allein da. Die gesamte Unverpackt-Branche steht spätestens mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs, mit Inflation und Energiekrise unter Druck. Die steigenden Preise im Lebensmittelbereich resultieren in Kaufzurückhaltung und -verzicht bei bestimmten Produktklassen.

Gerade Biowaren und regionale Produkte, die in Unverpackt-Läden eine große Rolle spielen, werden dadurch weniger konsumiert, wie der Verband Unverpackt e. V. mitteilt. Laut Konsummonitor 2022 geben 30 Prozent der Befragten an, weniger Bioprodukte zu kaufen, rund 20 Prozent kaufen weniger Produkte aus dem Bereich Regional und Fairtrade.

Verlagerung auf den Online-Handel macht es Unverpackt-Läden nicht leicht

Auch die Verlagerung vom stationären auf den Online-Handel macht es Unverpackt-Läden nicht leicht, denn diese sind auf einen stationären Verkauf angewiesen. Und gerade junge Läden wie der in Neu Wulmstorf haben es aktuell besonders schwer. Das spiegelt sich auch in Zahlen wider: Bis zum 12. Oktober 2022 haben bundesweit 28 Unverpackt-Läden innerhalb des Unverpackt-Verbands eröffnet, aber auch 44 Läden mit Verbandsmitgliedschaft geschlossen. Diese Entwicklungen waren auch Petra Andersen klar, als sie ihr Geschäft eröffnete. Sie wagte es trotzdem, denn sie glaubt, dass noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist.

Manche wissen vielleicht nicht so genau, was sie im Umbruch Unverpackt Laden erwartet. Da gibt es eventuell eine gewisse Hemmschwelle, weil angenommen wird, dass dort alles viel teurer sei als in einem „normalen“ Laden. Neu Wulmstorfs Unverpackt-Pionierin muss noch viel erklären – aber das macht sie gern. Schließlich hat sie sich mit dem Unverpackt-Laden einen langgehegten Herzenswunsch erfüllt.

Gerade hat sich die Gemeinde zur Klima-Kommune erklärt

Die Idee dazu hatte die gelernte Schifffahrtskauffrau schon vor sechs Jahren. „Ich wollte etwas Nachhaltiges machen“, sagt die 57-jährige Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Sie ging nicht naiv in die Sache, sondern mit Enthusiasmus, Elan und Zuversicht. Obwohl ihr bewusst war, dass einige Unverpackt-Läden bereits wieder schließen mussten, hoffte sie, dass es in Neu Wulmstorf klappen könnte. Schließlich gibt es in Neu Wulmstorf viele Menschen, die sich für den Klimaschutz einsetzen, der Ort hat sich gerade zur Klima-Kommune erklärt. „Und trotzdem tun sich die Leute schwer“, so Andersen.

Dabei seien viele Produkte aus ihrem Sortiment gar nicht teurer als anderswo in gleicher Qualität. „Ich kaufe für uns immer zu den regulären Laden-Preisen ein, damit ich ein Gefühl dafür behalte, was ein Einkauf hier kostet“, sagt sie. Anders als die Supermärkte habe sie ihre Preise noch nicht erhöht. Die Geschäftsfrau ist nach wie vor überzeugt, dass das Unverpackt-Einkaufen nicht nur sinnvoll ist, weil man weniger Müll produziert, sondern auch, weil die Kunden die Menge selbst bestimmen können.

Das Angebot reicht von Getreide, Hülsenfrüchte, Reis und Saaten, Pasta und Trockenfrüchten über Brotaufstriche in Pfandgläsern, Öl, Essig und Mehl, Backzutaten, Konserven in Pfandgläsern bis hin zu Reinigungsmittel, Waschpulver, Kosmetik auf Naturbasis und Babypflege. Eine Besonderheit ist die umfangreiche Gewürzsammlung.

Kaffeespezialitäten vom Kiekeberg-Museum und vom Heide-Röster

Frische Milchprodukte kommen von regionalen Produzenten, es gibt Tee und Kaffeespezialitäten von der Kaffeerösterei am Kiekeberg-Museum und vom Heide-Röster. Ihre Waren bezieht Andersen direkt vom Hersteller, möglichst aus der Region und oft in Bio- oder Demeterqualität. Als besonderen Service stellt sie individuelle Pakete für Firmen-Events oder andere Veranstaltungen zusammen.

Zurzeit befüllt sie auf Wunsch 24 Tüten für einen nachhaltigen Adventskalender. Die Gründerin ist trotz des eher enttäuschenden Starts ins Unternehmer-Leben weiter motiviert. Sie ist nach wie vor überzeugt von ihrem Tun. „Wenn ich mir überlege, wie viele Verpackungen allein durch mein junges Geschäft schon eingespart wurden, bin ich schon stolz“, sagt sie.

Ihr Traum ist und bleibt es, dass ihr Laden zu einem kleinen Treffpunkt wird, zu einem Ort, an dem Menschen sich austauschen können. Sie hat ihn gemütlich und zugleich modern eingerichtet, mit einem Hauch von Nostalgie. „Früher haben die Menschen doch alle so eingekauft“, sagt sie. „Das ist doch viel sinnvoller und gar nicht so kompliziert.“