Stelle. Benjamin Waldecker kandidiert für Die Linke in Stelle. Er engagiert sich für Kinder und gegen den Straßenverkehr.

Er ist Pazifist mit Sendungsbewusstsein, möchte seinen kleinen Beitrag leisten, die Welt etwas besser zu machen. „Schon als Zwölfjähriger habe ich mich gegen den Kosovo-Krieg engagiert. Ich hatte damals tatsächlich Angst vor einem dritten Weltkrieg“, sagt Benjamin Waldecker. Das Thema Frieden und Gerechtigkeit, der Schutz von Flüchtlingen und anderen Minderheiten liegen dem Familienvater am Herzen. Jetzt kandidiert er für Die Linke um einen Sitz im Steller Gemeinderat.

„Die Welt ist überhaupt nicht in Ordnung. Viele Menschen kämpfen aufgrund der Arbeitsverhältnisse oder durch Klimafolgen ums Überleben. Wir hier in Deutschland merken es nicht, wir sind zu beschäftigt. Viele Menschen müssen auch in unserem Land ihre gesamte Zeit darauf verwenden, nur das Nötigste für sich und ihre Familie zu organisieren. Ich dagegen bin privilegiert. Ich habe ausreichend Zeit, um mich neben der Familie und dem Job politisch zu engagieren. Und tue das auch.“ Im Frühjahr ist Waldecker der Linken im Landkreis Harburg beigetreten. Auch weil Die Linke „als einzige Partei konsequent gegen Rechts kämpft“.

Greta Thunberg und Luisa Neubauer haben ihn beeindruckt

Als bürgerliche Querdenker und sogenannte Reichsbürger vor einem Jahr versuchten, das Berliner Reichstagsgebäude zu stürmen, sei er entsetzt gewesen, sagt der 35-Jährige. Auch die Klimabewegung um Greta Thunberg und Luisa Neubauer hat ihn beeindruckt. Zusammen mit seiner Frau Anne-Sophie sowie einem befreundeten Paar, mit dem die Familie Waldecker eine alte Jugendstil-Villa in Stelle bewohnt, hat er sich im Detail schlau gemacht. „Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, wie das verbleibende Budget für den globalen CO2-Ausstoß sowie die Lasten und Kosten zur Bewältigung der Klimakrise weltweit aufgeteilt werden“, sagt Benjamin Waldecker. „Deshalb passt für mich dieses Thema viel besser zu den Linken als zu den Grünen.“

Waldecker sitzt im Garten und spricht über die Nöte vieler Menschen, über die ungerechte Verteilung von Arbeit und Chancen, plädiert für soziale Gerechtigkeit und Emanzipation. Die Worte sprudeln aus ihm heraus. Er spricht schnell, eindringlich und doch überlegt. Vor ihm liegen Zettel mit Stichwörtern. Einmal unterbricht er sich selbst mit den Worten „genug der Aufregung“, um dann auf die gestellte Frage zurückzukommen.

Ein Livestyle-Linker mit Billardtisch im Keller

Der von Sahra Wagenknecht geprägte Begriff der Livestyle-Linken, die wohlsituiert Konsumgewohnheiten in Frage stellen, die sich viele andere Menschen gar nicht leisten können, mag auf den ersten Blick auch auf ihn zutreffen, sagt der Familienmensch. Und dann steht da auch noch der große Turnier-Billardtisch im Keller – ein Überbleibsel aus der Studienzeit. Während seines Maschinenbau-Studiums in Aachen (2006 bis 2013) betrieb der gebürtige Kieler Billardsport und engagierte sich dort in der Vereinsarbeit. Heute nimmt er regelmäßig den Schonbezug vom Tisch und stößt die eine oder andere Kugel. Wie ein „Livestyle-Linker“ wirkt er dennoch nicht.

Rückblick: Anders als seine Schulzeit verlief die Studienzeit eher unpolitisch. Drei Jahre zuvor, im Februar 2003, habe er als 16-Jähriger mit 500.000 Menschen am Brandenburger Tor gegen den Irak-Krieg protestiert, erzählt Waldecker. „Als dann im März 2003 das US-Militär Ziele in Bagdad bombardierte, wurde ich vom Pazifisten zum Pessimisten.“ Seine Frau kannte er schon aus der Schulzeit in Kiel. Sie zog mit ihm nach Aachen. Zum Ende des Studiums wollte das Paar wieder in den Norden zurück, am liebsten nach Hamburg. Anne-Sophie, gelernte Tischlerin, sondierte die Wohnungslage – es folgte ein Umzug nach Wilhelmsburg. Dort wurde im September 2013 Sohn Leto geboren.

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Zwei Jahre später trat Waldecker seinen heutigen Job als Prozessingenieur im tesa-Werk Hamburg in Hausbruch an. Töchterchen Ferna kam zur Welt, und die Wohnung wurde allmählich zu eng. 2017 erfolgte der Umzug nach Stelle. 2019 wurde Sohn Rune geboren. Beim ersten Kind hatten Vater und Mutter weitergearbeitet, sie zu 60, er zu 80 Prozent. Aber Familie und Beruf seien noch immer schwer miteinander zu vereinbaren, was gegen zwei erwerbstätige Eltern spreche, bedauert Waldecker. Inzwischen praktiziert das Paar das klassische Familienmodell: Er arbeitet zu 100 Prozent, seine Frau bleibt bei den Kindern.

Beim Vater begann die politische Ader wieder zu pulsieren. Ihm gingen die Bilder der Reichsflaggen auf den Treppen des Berliner Reichstags nicht aus dem Kopf. Er fand es an der Zeit, die politische Arbeit wieder aufzunehmen. Die Mitbewohner und die Steller Grünen hatten den Anstoß gegeben, sich als Kandidat der Linken für den Gemeinderat aufstellen zu lassen. Große Chancen, gewählt zu werden, hat Waldecker allerdings nicht: „Ich gehe davon aus, dass Die Linke ihren einen Ratssitz hält“ – dort sitzt Knut Dohrmann. Vielleicht werde er im Laufe der Legislaturperiode nachrücken, sagt der zweitplatzierte Neuling.

Verkehr auf der ehemaligen Bundesstraße ist zu stark

Kommunalpolitische Themen gebe es genug. Zum Beispiel der starke Verkehr auf der ehemaligen Bundesstraße (B 4), an der er wohnt. Die heutige Kreisstraße ist noch immer stark befahren; vor allem die Lkw und Motorräder sind ihm ein Dorn im Auge. „An der Fußgängerampel sind meine Kinder schon zweimal fast überfahren worden.“ Andernorts bergen schlecht einsehbare Zebrastreifen Gefahren für Fußgänger und vor allem für radelnde Kinder.

Weiterhin möchte sich der dreifache Vater für „mehr und besser geplante Kitas“ einsetzen. Er nennt ein Beispiel aus der erweiterten Nachbarschaft. Dort werde im Neubaugebiet, das vor allem Familien anziehe, keine Kita geplant, „weil man die Anwohner vor dem Kinderlärm schützen will“, empört er sich.

Wichtig sei ihm auch die politische Bildung. Vielleicht lasse sich im Jugendzentrum um die Ecke ein Projekt organisieren, das die Bedeutung des politischen Systems verdeutliche, so Waldecker. Damit sich mehr Zwölf- bis 16-Jährige für eine friedlichere, bessere Welt einsetzen. So wie er vor 20 Jahren.