Wenzendorf. Kaum jemand kennt noch die dunkle Geschichte des ehemaligen Flugzeugwerks der Hamburger Werft Blohm+Voss bei Wenzendorf.
Hier sollen einmal hunderte Flugzeuge montiert worden sein? Zunächst fällt einem nichts ins Auge was da draußen zwischen Buchholz und Hollenstedt irgendwie nach Landebahn, Produktionshallen oder Baracken aussehen könnte – auch wenn es alte Lagepläne so zeigen: Zwei Trecker stehen dort in einer Art Hofeinfahrt. Davor ein älteres, Mehrfamilien-Wohnhaus, das zwischen Feldern und Wald seltsam verloren wirkt.
In der Zufahrt werkelt ein Mann an seinem Auto. Er habe sich schon gedacht, dass der Besucher wegen dieser alten Geschichte gekommen sei, sagt er auf die Frage nach dem Flugzeugwerk. Oft, wenn ein Fremder auftaucht, habe das mit diesem Erbe des Krieges zu tun. „Das Schöne hier ist, dass es sonst kaum etwas gibt, weswegen man kommen könnte“, sagt er und stellt sich als Volker Kleinophorst vor, der als Freier Journalist seit 2010 hier arbeitet, wohnt und die Weite der Landschaft genießt. In einem Wohnhaus, das eben einmal die Kantine des früheren Flugzeugwerkes war, wie er erzählt.
Journalist wohnt in ehemaligem Flugzeugwerk der Nazis
Und bei genauerem Blick auf die Gebäude und mit dem ein oder anderen weiteren Hinweis von Kleinophorst wird die Geschichte des Ortes dann doch sichtbar: Das Gebäude in der Hofeinfahrt: Klar, das ist die alte Torwache! Und dann die Garagen: auch das erinnert an Kaserne und 30er Jahre. Und weil man gerade so schön am Plaudern ist, lädt Kleinophorst spontan zu einem Spaziergang ein: Wir schlendern über den Bauernhof. Vorbei geht es an einem Waldstück, in dem bei scharfem Blick zwischen Büschen und Bäumen Betonreste zu erkennen sind. Teilweise sind es große, dicke Platten von alten Fundamentresten, die die riesigen Dimensionen der früheren Produktionshallen jetzt doch erahnen lassen.
Dann kommen wir auf eine weitläufige und grasbewachsene Hochebene. Bis auf einzelne Windräder erstrecken sich hier, so scheint es, am Horizont aller Himmelsrichtungen nur Wald, Wiesen und Äcker. Noch heute wird die erhöhte Rasenfläche von einem Segelflieger-Verein genutzt, früher war es die Werkspiste. „Wenn Freimarkt in Bremen ist, kann man von hier das Feuerwerk dort sehen“, sagt Kleinophorst.
Von 1935 bis 1944 bedeutender Standort der Flugzeugproduktion
Und genau diese erhöhte Lage zwischen Bremen und Hamburg war auch einer der Gründe, warum Wenzendorf zwischen 1935 und 1944 ein bedeutender norddeutscher Standort der Flugzeugproduktion gewesen ist. Genau genommen war es eine Abteilung der traditionsreichen Hamburger Werft Blohm+Voss, die mit dem Bau von Flugzeugen in den frühen 30er Jahren eine neue Sparte aufgebaut hatte, um die damalige schlechte Auslastung im Schiffbau auffangen zu können. Die massive Aufrüstung von Nazi-Deutschland kam da ganz gelegen.
Firmensitze waren dafür der traditionelle Werft-Standort auf Steinwerder sowie Finkenwerder, wo das Unternehmen Flugboote entwickelte und heute Airbus seinen Firmensitz hat. Dritter Standort für den neuen Firmenzweig war aber Wenzendorf – gut 25 Kilometer von der Elbe entfernt. Warum und wieso – das beschreibt der 1991 verstorbene Flugzeugkonstrukteur Hermann Pohlmann in seinem Buch „Chronik eines Flugzeugwerkes“: Das Unternehmen benötigte danach ein Endmontagewerk, wo die Flugzeuge auch eingeflogen werden konnten.
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Schienenanbindung gab 1933 den Ausschlag für den Standort
Man suchte dafür ab 1933 einen Platz zwischen Hamburg und Bremen, weil es von beiden Orten Zulieferungen geben sollte. Idealerweise sollte es eine hochgelegene Fläche sein und möglichst in der Nähe einer Schienenverbindung. In Wenzendorf wurde man dann bald fündig. Dort gab es eine preußische und verpachtete Domäne, die leicht geräumt werden konnte. 1934 ließ das neu gegründete Tochter-Unternehmen Hamburger Flugzeugbau GmbH durch einige hundert Hamburger Arbeitslose mit Hacke und Schaufel den Mutterboden abtragen und die Flugfeldfläche einebnen.
Es folgte ein Gleisanschluss bis zum Bahnhof Drestedt und der Bau von drei Produktionshallen. Ende September 1935 bereits wurde das Werk eingeweiht und im Dezember die erste Do 23 eingeflogen, für die das Reichsluftfahrtministeriums eine ganze Serie als Nachbau beauftragt hatte. „Dass damals alles so sehr viel schneller ging als heute, lag wohl weniger an der nationalen Begeisterung als an den einfachen Entscheidungsmöglichkeiten des autoritären Regimes“, schreibt Pohlmann.
600 Flugzeuge verschiedenen Typs wurden montiert und eingeflogen
Das Werk Wenzendorf war seinerzeit aber auch im weiten Umkreis die einzige größere Industrieanlage. Damals wurden daher zusätzlich noch möglichst viele Wohngebäude gebaut, um die Arbeit dort draußen attraktiv zu machen Noch heute gibt es im Ort daher die typischen, eigentlich städtischen Siedlungshäuser aus dieser Zeit. Bis 1940 war das Werk voll ausgelastet, schreibt Pohlmann in seiner Chronik. 600 Flugzeuge verschiedenen Typs seien dort montiert und eingeflogen worden. Später folgte eine etwas ruhigere Zeit, in der Blohm und Voss auch eigene Baumuster entwickelte.
1944 aber kam auch Wenzendorf auf die Liste der Angriffsziele der deutschen Kriegsgegner nach ganz oben, weil jetzt hier unter anderem einige Exemplare des Strahljägers Me 262 als Zweisitzer zu Schulungszwecken umgebaut wurde. Schon beim ersten Angriff am 6. Oktober 1944 seien die Hallen schwer beschädigt worden, erinnert Pohlmann. Ein zweiter Angriff drei Monate später habe dann die „fast vollständige Vernichtung“ bedeutet.
Ehemals wohl größte Industrieanlage im Landkreis Harburg
Im April 1945 wurde das Werk schließlich von britischen Truppen eingenommen und alle noch brauchbaren Maschinen demontiert. Das Grundstück, so schreibt Pohlmann, blieb aber im Besitz der Familie Blohm, Trümmer wurden abgeräumt und das Werksgelände wurde wieder zu einem Gutshof mit Pächter zurückverwandelt. Von der einst wohl größten Industrieanlage des Landkreises Harburg ist daher nur noch wenig zu erkennen. Es sei denn, ein Ortskundiger wie Volker Kleinophorst nimmt Besucher dort mit auf einen kleinen Spaziergang.