Tostedt/Ehestorf. Das Gebäude wiegt 200 Tonnen und findet seinen Platz im neuen Museumsteil „Königsberger Straße“. Spezialfirma sorgt für Präzision.
Strahlend blauer Himmel, mehr als hundert Schaulustige in Vahrendorf, eine mit Stahlplatten ausgelegte Durchfahrtsstraße und ein Siedlungshaus auf einem Tieflader mitten im Zentrum des kleinen Ortes: Das war die Situation am Sonntagmittag, als der Transport für das Kiekeberg-Museum seine vorletzten Standplatz vor der Einfahrt zu seinen endgültigen Ziel erreichte.
Herzstück für die „Königsberger Straße“
Das Haus, das noch vor ein paar Tagen in Tostedt wartete, komplettierte am Sonntagnachmittag das Ensemble der Königsberger Straße, mit dem das Museum künftig die Nachkriegszeit bis in die 70er Jahre nachstellen will. Mit der Ankunft des fünften Hauses können Museumsdirektor Stefan Zimmermann und die kaufmännische Geschäftsführerin Carina Meyer ein wichtiges Kapitel in dem bundesweit beachteten Projekt abschließen.
„Das Herzstück für die Königsberger Straße ist jetzt vorhanden“, fasste Meyer die Lage am Sonntag zusammen. Schon am Nachmittag spürte Zimmermann eine „große Vorfreude. Meine Anspannung lässt jetzt so langsam nach.“
Seit Donnerstag war das Haus unterwegs
Für den Transport in Richtung Ehestorf begannen die ersten Vorbereitungen bereits am vergangenen Mittwoch. Als erstes musste das Gebäude, das die Thüringer Spezialfirma Bennert mit Sitz in Klettbach bei Erfurt bereits auf eine stabile Grundplatte mit Stahlträgern gesetzt hatte, am Donnerstag von seinem Platz über eine Verschubbahn auf eine größere Straße gezogen werden. Danach kam noch vor dem eigentlichen Tieflader ein selbstfahrender, gelenkiger Transportuntersatz zum Einsatz bevor das Haus dann auf einem Schwertransporter mit 22-Achsen landete. Der erreichte gegen 5 Uhr morgens am Freitag einen Parkplatz an der B 75 bei Kakenstorf. Der Freitag war als Ruhetag und Pause für die Fahrer eingeplant.
Wetter sorgte lediglich für Verzögerung
Am Sonnabend beeinflusste dann das Wetter die Transportpläne. Doch die Experten von Bennert und der Spedition Kahl&Jansen aus Erfurt entschieden sich, die Fahrt dennoch fortzusetzen. Gegen 22.15 Uhr wurde Vahrendorf erreicht und das für den Abend vorgesehene Umladen, erneut auf den gelenkigen Modulartransporter, auf Sonntagmorgen verschoben. So wurde es auch möglich, dass viele interessierte Zuschauer an diesem Morgen und Mittag einen Blick auf die Arbeiten werfen konnten. Die restlichen Meter führten dann über die durch die Stahlplatten geschützte Straße, durch eine Einfahrt des Museums direkt zu den anderen Gebäuden der Königsberger Straße.
Die 30 Kilometer Entfernung zwischen Tostedt und Ehestorf erscheinen auf den ersten Blick nicht allzu lang. Doch für einen Schwertransport gelten besondere Bedingungen. So bewegte sich der Konvoi höchstens in Schrittgeschwindigkeit. Als er die Autobahn 1 auf Höhe der Anschlussstelle Rade überquerte, wurden beide Ausfahrten gesperrt. Voraus fuhren die Autos von mehreren Firmen, deren Mitarbeiter an Ampeln Schrauben lösten, um sie zur Seite zu drehen oder an mehreren Kreuzungen Straßenschilder abbauten.
Ampeln gedreht, Äste gekappt, Begrenzungspfeiler entfernt
Auf kleineren Straßen im Rosengarten wurden Leitpfosten aus dem Boden gezogen, um Platz für den Transport zu schaffen. Hinter dem Transport fahrende Mitarbeiter setzten die Ampeln und Schilder sowie die Leitpfosten wieder ein. Viele Kleinigkeiten verzögerten den Transport: An gut drei Dutzend Stellen auf der Strecke mussten Baumpfleger, die dem Konvoi vorausfuhren, Äste abschneiden. Sie hingen wegen des schweren Schnees zu tief herunter. Nach Einbruch der Dämmerung zog dann in Sieversen gegen 17 Uhr starker Nebel auf. Da dort und in Leversen zudem Bäume gestutzt werden mussten, blieb der Konvoi für knapp eine Stunde in Sieversen stehen. Bei bis zu minus acht Grad froren die Straßen über, so dass zwei Streufahrzeuge sie immer wieder für den Tieflader sichern mussten.
Unterwegs beobachteten an mehreren Orten etliche Schaulustige und Anwohner der Transport. In Kakenstorf und am Trelder Berg waren es bis zu 50, die aber allesamt auf die Corona-Abstandsregeln achteten. In Sieversen warteten Anwohner bei klirrender Kälte mehr als fünf Stunden auf den Transport. Der zog dann innerhalb weniger Minuten vorbei.
Eine Herausforderung auch für die Spezialisten
Sowohl für die Spedition Kahl als auch für den Translozierer Bennert war der Auftrag, vor allem wegen seines Umfangs, eine besondere Aufgabe. „Ein altertümliches Haus in dieser Größe ohne Beschädigung an einen neuen Standort zu bringen, ist eine Herausforderung“, sagte Christian Pilz, der Erfurter Niederlassungsleiter von Kahl&Jansen. Immerhin ist das Haus 8,5 Meter breit und acht Meter hoch. Es wiegt allein 200 Tonnen. Ein ähnlicher Transport, mit allerdings deutlich geringeren Abmessungen, liegt bei dem Spezialtransporteur schon 15 Jahre zurück.
„Auch für uns ist der Auftrag in seinen Dimensionen eine Premiere“, sagte Bennert-Bauleiter Christian Gerling. Für die Firma mit Sitz in Klettbach bei Erfurt war es zudem die bislang größte Zusammenarbeit mit Kahl&Jansen. Eine Entfernung von 30 Kilometern sind selbst für den erfahrenen Spezialisten eine „lange Strecke.“ Die eingetretenen Verzögerungen sind für ihn aber längst nicht ungewöhnlich: „Wir sind im Zeitplan geblieben, ein paar Stunden mehr sind da wenig dramatisch.“
Am frühen Abend erreichte das Siedlungshaus schließlich die Straße bergab zum Museum und dann hinauf an seinen neuen Standplatz. Aufatmen bei Museumsdirektor Zimmermann: „Wir freuen uns sehr, dass das Haus im Original und ohne Beschädigungen nun an seinem Platz ist“, sagte der Historiker. „Es war ein technisch anspruchsvolles Unterfangen, das durch den Wintereinbruch noch einmal verkompliziert wurde. Umso erleichterter sind wir, das nun alles geklappt hat.“
Markenzeichen mit bundesweiter Ausstrahlung
Keine Frage: Mit der Königsberger Straße wird das Museum am Kiekeberg nach der Eröffnung im Frühjahr 2023 über ein Markenzeichen verfügen, das als bundesweit einmalig gilt. Für das 6,14 Millionen-Euro-Projekt steuert allein der Bund 3,84 Millionen Euro bei. 600.000 Euro kommen vom Land Niedersachsen, weitere 350.000 Euro jeweils von der Metropolregion Hamburg und dem Landkreis Harburg. Der fördert das Museum mit einem Zukunftskonzept jährlich mit mehr als zwei Millionen Euro. Schließlich stellen noch mehrere Stiftungen Gelder für das Ausnahme-Projekt bereit.
1953 wurde das Haus in Tostedt gebaut
Doch zurück zu dem nun zu seinem neuen Platz gebrachten Siedlungshaus. Bauherren waren 1953 Bruno und Herta Matz, die beide aus Ostpreußen geflohen waren und sich nun zwei Kilometer außerhalb des Zentrums von Tostedt eine neue Heimat schufen. Das Ehepaar wollte dabei nicht, wie im Siedlungsverein ausgemacht, Wohnräume und Stall in einem Gebäude unterbringen,. Es trat aus dem Verein aus und verzichtete für seine eigenen Vorstellungen sogar auf finanzielle Unterstützung.
„Für uns ist das Haus ein Sahnestück“, hatte der Leiter der Abteilung Volkskunde des Museums, Alexander Eggert, bei der ersten Vorstellung in Tostedt gesagt. Hintergrund: Es wurde wenig umgebaut und viele Gegenstände aus den 50er und 60er Jahren sind noch vorhanden. Die Geschichte des Hauses lieferten die Nachfahren der Erbauer mit. Der Stall blieb am Sonntag allerdings noch vor Ort. Er soll erst später ins Museum geholt werden.