Cuxhaven. Vor Freitag kann die „Glory Amsterdam“ aber nicht freigeschleppt werden. Minister greift die Crew an und fordert bessere Ausbildung.

Die Bergungsaktion für den havarierten Frachter vor Langeoog ist angelaufen. Zwei 1500 Meter lange Schleppleinen, mit denen die 225 Meter lange „Glory Amsterdam“ von der Sandbank gezogen werden soll, sind eingetroffen. Auch einer der beiden angeforderten Hochseeschlepper, die „Fairmount Summit“, ist im Seegebiet. Die Öltanks halten, es tritt kein Schweröl oder Schiffsdiesel aus. Die "Glory Amsterdam" hat 1800 Tonnen Schweröl und 140 Tonnen Marinediesel an Bord.

Eine der beiden Schleppleinen ist bereits ausgebracht. Sie wurde von einem kleineren Schiff aus an den Schlepper übergeben. Damit kann die "Fairmount Summit" den gestrandeten Frachter stabilisieren, Sobald heute Abend der zweite Hochseeschlepper, die "Union Manta", eingetroffen und mit dem havarierten Schiff verbunden ist, beginnt das Abpumpen des Ballastwassers, um die Bergung möglich zu machen. Das aber muss mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl erfolgen.

Ballastwasser wird erst abgepumpt, wenn der Frachter stabilisiert ist

Denn das leichter werdende Schiff wird durch den Verlust der 20.000 Tonnen Ballastwasser nicht nur instabiler, es kann auch, weil es leichter wird, von Welle und Strömung leichter auf den Strand gedrückt werden und sich tiefer im Schlick eingraben. Um genau das zu verhindern, müssen die beiden Schlepper das Schiff auf Position halten.

Die Vorbereitung der eigentlichen Bergung wird durch diese Komplikationen verlängert: Frühestens am Freitag wird der Bergungsversuch starten. Wenn die „Glory Amsterdam“ wieder schwimmt, sollen drei kleinere Schlepper übernehmen, weil die Hochseeschlepper den Koloss nicht in einen Hafen bringen können. Dafür sind sie nicht wendig genug.

Welcher Hafen angelaufen werden soll, ist derzeit noch offen und hängt von Wetter, Tiefgang und Zustand des Schiffes ab. Außerdem muss der 225 Meter lange Frachter dann wieder Ballastwasser aufnehmen, um stabil im Wasser zu liegen. Die Ruderanlage konnte bisher nicht instand gesetzt werden.

Diskussion um die Sicherheitslage in der Deutschen Bucht

Unterdessen wird die Sicherheitslage in der Deutschen Bucht diskutiert. Nach der Kritik des Langeooger Bürgermeisters Uwe Garrels (parteilos) an der Stärke der gerissenen Trossen stellte das Havariekommando klar, dass die verwendeten Kunststofftrossen zwar leichter als Stahltrossen und überdies schwimmfähig sind, aber die gleichen Lasten halten wie die üblichen Stahltrossen. Die Kunststofftrossen seien den Stahltrossen teilweise sogar überlegen.

Warum es dennoch nicht gelang, das manövrierunfähig von Langeoog treibende Schiff auf den Haken zu nehmen und festzuhalten, ist derzeit offen und soll untersucht werden. Im Januar 2015 war bei vergleichbaren Wetterbedingungen (Windstärke 10 und Wellen zwischen 6 und 8 Meter Höhe) der 183 Meter lange Frachter „Silver Carla“ mit den gleichen Trossen eingefangen worden. Er war mit Maschinenschaden auf eine Bohrinsel zugetrieben.

Es stellt sich die Frage, warum bei schwerem Wetter Schiffe wie die „Glory Amsterdam“ den Hafen verlassen, nur um in der Deutschen Bucht zu ankern. Den eingesparten Liegegebühren für den Reeder steht damit ein offenbar deutlich erhöhtes Risiko für die Natur und die Allgemeinheit gegenüber.

Sicherheitsbehörde weist alle Kritik zurück

Die für die Sicherheitsregelungen in der Deutschen Bucht zuständige Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt erklärte auf Abendblatt-Anfrage, dass es allein der Entscheidung des Kapitäns obliege, ob er auslaufe oder nicht. Ohne konkrete Gefahren, die die Wetterlage am Sonntag für ein Schiff dieser Größenordnung nicht dargestellt habe, gebe es seitens der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung keine Handlungsgrundlage für ein Einschreiten. Eine generelle Durchfahrtsbeschränkung für große Schiffe in der Deutschen Bucht sei auch kaum diskutabel, weil diese keine bloß nationale Entscheidung sei, sondern internationales Seerecht berühren und verletzten würde.

Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) hat gefordert, dass Schiffsbesatzungen weltweit künftig besser ausgebildet und Schiffe sicherer gebaut werden sollten. Diese Forderung müsste das Bundesverkehrsministerium bei der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation einbringen, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch in Hannover.

"Menschliches Versagen": Minister erhebt schwere Vorwürfe

Minister Wenzel geht davon aus, dass die Frachterbesatzung der „Glory Amsterdam“ zu schlecht ausgebildet war, um zu verhindern, dass ihr Schiff im Orkansturm auf Sand aufläuft. „Ich vermute, dass es hier auf jeden Fall menschliches Versagen gab, sonst hätte man ja auch nicht Experten übersetzen müssen“, sagte Wenzel. Das Havariekommando in Cuxhaven wollte sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht auf so weit reichende Urteile einlassen und äußerte sich nicht zu etwaigen Fehlern der Besatzung.

Wenzel drückte auch auf das Tempo der Bergung. „Grundsätzlich gilt Sicherheit vor Schnelligkeit, aber gleichzeitig muss man natürlich zügig handeln, weil mit jeder Ebbe und jeder Flut auch das Schiff tiefer eingespült wird“, sagte er.

FDP fordert Überarbeitung des Notfallkonzepts

Der FDP-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Stefan Birkner, forderte eine umgehende Überprüfung des aktuellen Havariekonzeptes in der Deutschen Bucht. „Ein Notschleppkonzept, das im Ernstfall nicht funktioniert, ist nicht hilfreich. Es ist reines Glück, dass es dieses Mal einen unbeladenen Frachter getroffen hat", sagte Birkner. Für die Zukunft müsse dringend sichergestellt werden, dass Schiffe auch bei extremem Wetter abgeschleppt werden können. "Das Konzept für die Deutsche Bucht gehört auf den Prüfstand.“

Dazu wird es ohnehin kommen, denn nach jeder Havarie werden die Ursachen des Unfalls von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen in Hamburg analysiert mit der Maßgabe, Fehler im Notfallkonzept abzustellen.