Schneverdingen. Einigen Tieren mussten Gliedmaßen amputiert werden, andere sind gelähmt. Dennoch tobt auf dem Hun’nenhoff das pralle Leben.

Kaum öffnet sich die Pforte ihres Außenbereiches, flitzen Rocket, Pixel, Vroni und die anderen auf den Hof. Einer schneller als der andere, und jeder will der Erste sein. Außer „Sport-Bommel“, der unsportlichste Hund, der ist immer der Letzte. Lebensfreude pur! Hunde eben. Dabei laufen diese Tiere nicht auf allen vier Beinen, sondern düsen mit Rollstühlen durch die Gegend. Willkommen auf dem Hun’nenhoff bei Schneverdingen von Usha Peters und Tom Bode und ihren Rollihunden, wo Mitleid fehl am Platz ist.

De Hun’nenhoff ist Plattdeutsch für „der Hundehof“. Derzeit leben hier 105 Hunde, die meisten von ihnen sind verhaltensauffällig oder haben körperliche Beeinträchtigungen – so wie die 23 Rollihunde. Auf dem 47.000 Quadratmeter großen am Waldrand gelegenen Gelände kümmern sich Usha Peters, Tom Bode und 31 Angestellte und ebenso viele Ehrenamtliche um das Wohl von Tieren, die keiner haben möchte beziehungsweise, die eben nicht jeder so einfach halten kann trotz besten Willens. Hier haben diese besonderen Tiere ihr Zuhause. Und nicht nur Hunde finden auf dem Gnadenhof ein Heim, sondern auch elf Pferde, zehn Schafe, rund 14 Katzen, sieben Gänse, Enten und Hühner sowie zwei Puten.

Rollstuhlhunde: Hun’nenhoff ist letzte Chance für heftige Hunde-Schicksale

Schwerpunkt der Arbeit sind jedoch die Rollstuhlhunde. Das sind Hunde wie der Schäferhundmix Shadow aus Harburg, den das Veterinäramt seinem Halter weggenommen und zum Hun’nenhof gebracht hat. Der Zweijährige kann aufgrund einer angeborenen Wirbelsäulenfehlbildung nicht richtig laufen und benötigt die Unterstützung eines Rollstuhls. Dann sind da dreibeinige Hunde wie Vroni: Der zehnjährige Mischling hatte bei der Ankunft ein bis auf die Knochen offenes Bein, das amputiert werden musste. Durch eine Wirbelsäulenfraktur ist sie zudem gelähmt.

Oder es sind Hunde, deren Hinterbeine nach Unfällen amputiert werden mussten, gelähmte Hunde. „Diesen Hunden stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: entweder Euthanasie oder der Hun’nenhof“, sagt Ush­a Peters. Veterinärämter, Tierärzte schicken überforderte Halter gern mit ihren Tieren hierher oder Halter geben ihre Tiere hier direkt ab. Und immer wieder erleben Usha Peters und Tom Bar­tels, die mit dieser Arbeit 2006 Jahren begonnen haben, Wunder.

Rollstuhlhilfe für kranke Hunde

So wie beim Langhaardackel Hardy: Der konnte nach einem genetisch bedingten Bandscheibenvorfall seine Hinterbeine nicht mehr bewegen – die Tierärzte hatten ihn aufgegeben. An diesem sonnigen Mai-Tag aber rast Hardy auf allen vier Beinen über den Hof. Nein, aufgeben ist auf dem Hun’nenhof keine Option. Hardy hat es mithilfe der Tierphysiotherapeutinnen geschafft. Zehn Wochen hat die Therapie gedauert, und er konnte wieder laufen.

Wie bei Menschen auch, stellen sich die Hunde unterschiedlich schnell auf die Rollstuhlhilfe ein. „Manche flitzen sofort los, bei anderen dauert es länger, bis sie den Umgang mit dem Rollstuhl verstanden haben“, sagt Usha Peters. Treppen sind dann auch kein Problem mehr. Ein Naturtalent und überhaupt eine absolute Frohnatur ist Spero. „Der ist ein Ausbund an Fröhlichkeit“, sagt Tom Bode. Natürlich haben die Tierschützer keine Lieblingstiere, aber man ahnt schon, dass Spero eben doch ein Besonderer ist. „Das ist ein unendlich starker Hund“, sagt Tom Bode, der ausgebildeter Hundetrainer ist.

Hunde-Gnadenhof ist auf Spenden angewiesen

Dabei hat Spero ein heftiges Schicksal: Der Tibet-Terrier aus Rumänien kam in einem miserablen Zustand zum Hun’nenhof: Er hatte sich wohl lange Zeit versteckt, war auf sich angewiesen. Durch eine Entzündung verlor er seinen Penis, seine Beine und seine Rute. Auch das muss kein Todesurteil sein. Spero (rumänisch für „Hoffnung“) muss mit einem Dauerkatheter leben, der alle drei bis vier Monate gewechselt wird. Und dieser Hund rennt ausgelassen mithilfe seines Rollis über den Hof in der Heide. Kein Zweifel: Auch Spero führt trotz seiner Behinderung ein ausgefülltes und lebenswertes Hundeleben. Noch dazu ist er ein liebenswertes Kerlchen genau wie die kleine Papillon-Dame Rocket, die sich als echte Schmusebacke entpuppt und die Abendblatt-Reporterin geradezu belagert.

„Ein Grund, einen Hund gehen zu lassen“, sagt Tom Bode, „ist es, wenn er depressiv ist oder leidet. Aber die meisten haben einen Lebenswillen, das zeigen sie uns jeden Tag.“ Bislang hat er noch keinen depressiven Hund gehabt. Das Grundprinzip auf dem Gnadenhof: „Wir hören uns immer eine zweite Tierarztmeinung an, ehe wir ein Tier gehen lassen.“ Der Antrieb der Tierschützer, die monatlich Ausgaben von 40.000 Euro haben und dringend auf Spenden angewiesen sind: „Das ist eine Herzenssache. Es ist schwer mit anzusehen, wenn Hunde hier elendig, ängstlich und traurig ankommen und keine Chance hätten. Hier aber geht es ihnen gut, und sie werden immer fröhlicher und glücklicher“, sagt Usha Peters.

Rollihunde brauchen viel Pflege

Tierschutz ist eben ganz viel Gefühl. Und ganz viel Arbeit. Jeden Tag kommen die Rollihunde zweimal raus zum Laufen und zum Gassigehen. Dafür haben die vielen ehrenamtlichen Helfer eine Liste, in die sie sich eintragen. Ohne Organisation geht gar nichts. Und weil die meisten Rollstuhlhunde gelähmt und dadurch inkontinent sind, müssen die Helfer dreimal täglich die Blase mit gekonnten Handgriffen manuell entleeren.

„Das ist für die Tiere schmerzfrei“, sagt Usha Peters. Der Pflegeaufwand ist enorm: Das Entleeren aller Hundeblasen dauert zwei Stunden. Und das Lernen, die Blase fachgerecht auszudrücken, dauert vier bis fünf Monate. „Die Blase muss ja komplett leer sein, sonst drohen Harnwegsinfekte“, sagt Usha Peters, die außerdem an fünf Tagen als Humangenetikerin arbeitet.

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Die Rollstühle werden alle selbst auf dem Hof gebaut und individuell auf jeden Hund zugeschnitten. 500 bis 800 Euro kostet solch ein Hunderollstuhl. Die Rollstuhlhunde werden nicht vermittelt, kommen höchstens auf Pflegestellen. Neuaufnahmen sind derzeit nicht möglich. Offiziell. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass Usha Peters doch noch einmal weich wird.