Arras. Anti-Terror-Ermittler gehen einem islamistischen Hintergrund nach. Der Marokkaner soll sich zeitweise in Berlin aufgehalten haben.
Nach den Schüssen in einem Thalys-Zug gehen Anti-Terror-Ermittler einem möglichen islamistischen Hintergrund nach. Ein Mann hatte im Hochgeschwindigkeitszug von Amsterdam nach Paris am frühen Freitagabend mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr das Feuer eröffnet. Möglicherweise verhinderte nur das beherzte Eingreifen eines Franzosen und zweier Amerikaner, die den Schützen niederrangen, ein Blutbad. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve lobte wie US-Präsident Barack Obama den Mut dieser Passagiere. Zwei Menschen wurden bei dem Vorfall schwer verletzt.
Der Mann ist von der französischen Polizei als Marokkaner mit islamistischem Hintergrund identifiziert worden. Dies sei über einen Abgleich von Fingerabdrücken erfolgt, wie die französische Nachrichtenagentur AFP am Sonnabendabend unter Berufung auf Polizeikreise meldete. Es handele sich um einen 25-jährigen Marokkaner, den spanische Behörden den französischen als Islamisten gemeldet hatten.
Nach Angaben der AFP hat sich der Schütze offenbar zeitweise auch in Deutschland aufgehalten. Der Verdächtige sei am 10. Mai 2015 in Berlin gewesen, verlautete am Sonnabend aus französischen Ermittlerkreisen. Von dort aus sei er in die Türkei weitergereist.
Die für Terrorismus zuständige Pariser Staatsanwaltschaft zog den Fall an sich, machte zunächst aber keine Angaben zum Motiv des Täters. Belgiens Premierminister Charles Michel hatte bereits am Freitag von einem Terrorakt gesprochen, und auch Cazeneuve nannte den Mann in seiner Rede einen Terroristen - im anschließend verbreiteten Redetext fehlte dieses Wort allerdings.
Kalaschnikow, Pistole und zehn Magazine bei sich
Der Verdächtige selbst bestritt im Verhör terroristische Absichten, wie die AFP unter Berufung auf Polizeikreise meldete. Die Ermittler hielten seine Angaben aber nicht für glaubwürdig. Der Mann wurde am frühen Sonnabendmorgen in einen Vorort von Paris gebracht und kann zunächst bis zu 96 Stunden in Gewahrsam gehalten werden. Er hatte in dem Zug neben der Kalaschnikow auch eine Pistole und zehn Magazine bei sich.
Der Thalys war nach einem Halt in Brüssel gerade im belgisch-französischen Grenzgebiet unterwegs, als ein Franzose auf dem Weg zur Zugtoilette plötzlich dem Mann mit der Kalaschnikow gegenüberstand. Der Fahrgast versuchte, ihn zu überwältigen, dabei fielen nach Angaben Cazeneuves mehrere Schüsse.
Zwei amerikanische Soldaten kamen zu Hilfe: „Wir haben einen Schuss und berstendes Glas gehört“, beschrieb Alek Skarlatos die Szene vor Journalisten. Lange überlegt hat Alek Skarlatos nicht, als er einen Schuss hörte. Er habe sich kurz geduckt, erzählt er. Dann schaute er seinen Freund Spencer Stone an und sagte: „Let’s go.“ Die beiden Militärs in Zivil sprangen auf und stürzten sich auf den Schwerbewaffneten.
Gemeinsam zwangen sie den Täter zu Boden. Weitere Fahrgäste - ein amerikanischer Student und ein 62-jähriger Brite - schlossen sich ihnen nach eigenen Angaben an. „Wir haben ihn letztlich gefesselt, aber dann hat er währenddessen tatsächlich ein Messer gezogen und Spencer geschnitten“, sagt der Brite Chris Norman dem Sender ITV. Schließlich hätten sie den Mann bewusstlos geschlagen, erzählt Skarlatos.
Ein Mann wurde von einer Kugel getroffen, für die übrigen Passagiere ging die Attacke glimpflich aus. Skarlatos erzählt später dem Sender Sky News, er habe eine Fehlfunktion an der Kalaschnikow bemerkt - Glück im Unglück.
Der US-Sender CNN verbreitete ein Video, das den Schützen mit gefesselten Armen auf dem Boden des Zugs zeigen soll. Einer der Amerikaner wurde mit einem Cutter-Messer verletzt. Ein Schuss traf einen Franko-Amerikaner an seinem Platz. Beide schweben nicht in Lebensgefahr. Der Vorfall geschah gegen 17.45 Uhr.
„Furchtbares Drama“ verhindert
Die Fahrgäste hätten damit möglicherweise ein „furchtbares Drama“ verhindert, sagte Cazeneuve. In sozialen Netzwerken feierten Nutzer sie als Helden, auch US-Präsident Barack Obama lobte den Mut der Männer. Der französische Präsident François Hollande will sie in den kommenden Tagen im Élyséepalast empfangen.
Frankreich war in den vergangenen Monaten wiederholt Ziel von Terroranschlägen oder -plänen mit islamistischem Hintergrund. Im Januar schockierten die blutigen Attacken auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt das Land. In der Region Paris gilt die höchste Terrorwarnstufe.
Der französische Inlandsgeheimdienst DGSI hatte den mutmaßlichen Islamisten nach der Information durch die Spanier im Februar 2014 in seine Kartei aufgenommen. Nach bisherigen Erkenntnissen soll er im vergangenen Jahr in Spanien und 2015 in Belgien gelebt haben. Die belgische Staatsanwaltschaft eröffnete ebenfalls ein Verfahren und will eng mit den Franzosen zusammenarbeiten.
In Thalys-Zügen patrouillieren nach der Attacke nun Polizisten. Zurzeit seien dies französische Sicherheitskräfte, es werde aber auch erwogen, belgische und niederländische Polizisten einzusetzen, sagte eine Sprecherin der belgischen Bahngesellschaft SNCB der Nachrichtenagentur Belga.