Hamburg. Vor 30 Jahren gewann Boris Becker erstmals in Wimbledon. Finalgegner Kevin Curren erinnert sich an das legendäre Finale.
Kevin Curren wird vielleicht eine Runde Golf spielen, ansonsten hat er an diesem Dienstag nichts Besonderes vor. Der 7. Juli 2015, er ist für den 57 Jahre alten Südafrikaner ein Tag wie jeder andere. „Wenn ich damals gewonnen hätte, dann wäre das vielleicht anders. Aber so bedeutet mir das Datum überhaupt nichts“, sagt Curren. Wenn er damals gewonnen hätte, vor genau 30 Jahren auf dem heiligen Rasen in Wimbledon im Finale gegen Boris Becker, anstatt 3:6, 7:6, 6:7 und 4:6 zu verlieren, dann hätte er sich wahrscheinlich kaum retten können vor Medienanfragen in den vergangenen Wochen. Aber dass sich nun immerhin einige deutsche Journalisten für ihn interessierten, das hat Kevin Curren amüsiert. Weil es ihm, mit vielen Jahren Abstand zu seinem Leben als Tennisprofi, noch einmal deutlich machte, was er erreicht hat in seiner Sportlerkarriere. Und dass man auch mit Niederlagen Geschichte schreiben kann.
Dieses ungute Gefühl, dass ihm sein erster Grand-Slam-Triumph noch vom Schläger rutschen könnte, beschlich den damals 27-Jährigen schon, als er mit Becker auf den Centre-Court hinaustrat. „Ich hatte den Eindruck, dass der Junge genau wusste, was er wollte. Boris hatte keine Angst, er schien nicht aufgeregt. Im Gegenteil, er war sehr selbstbewusst. Ich dachte: Mann, der ist doch erst 17 und trotzdem so cool!“, sagt Curren, den das Abendblatt auf einer seiner Golfreisen in Südafrika auf dem Mobiltelefon erreichte. Nachdem er vor Kurzem sein Golf- und Tennisresort verkaufte und sein Geld in Firmen investierte, die in Afrika Bodenschätze abbauen, hat er viel Zeit, um sein Handicap 0 zu pflegen. Curren spielt auf der südafrikanischen Amateurtour, gilt als einer der besten Ü-50-Golfer des Landes.
1985 galt er als einer der besten Tennisprofis der Welt. In Wimbledon hatte Curren auf dem Weg ins Finale nur einen einzigen Satz abgegeben, er hatte nacheinander den Schweden Stefan Edberg und die US-Superstars John McEnroe und Jimmy Connors vom Platz geschossen. Und so gab es kaum jemanden, der glaubte, dass sich der damalige Weltranglistenneunte von einem 17 Jahre alten Außenseiter stoppen lassen würde. Currens Problem war, dass einer der wenigen Zweifler er selbst war. „Ich hatte Boris im Februar 1985 zum ersten Mal getroffen, wir haben bei einem Turnier in Atlanta gemeinsam trainiert. Damals war er sehr inkonstant, hat viele Fehler gemacht. Aber ich habe schon dort seinen Willen gespürt und gesehen, dass er alles draufhatte, was man brauchte, um erfolgreich zu sein. Deshalb wusste ich, wie gefährlich er ist“, sagt er.
Das Vertrauen in die eigene Stärke, das Becker mit seinen Fünfsatzsiegen über Joakim Nyström und Tim Mayotte aufgebaut hatte, spürte Curren schon in den ersten Ballwechseln des knapp dreieinhalbstündigen Finales. „Er spielte wie einer, der nichts zu verlieren hat, weil er wusste, dass er noch viele Chancen bekommen würde, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen“, sagt Curren. „Ich dagegen wusste, dass es vielleicht meine einzige Möglichkeit bleiben würde. Ich hatte mir vorgenommen, mein Spiel ruhiger zu spielen und nicht so viel zu riskieren wie in den Partien gegen McEnroe oder Connors. Das war falsch, denn so habe ich ihn ins Spiel kommen lassen.“
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Dass Becker das Match mit einem unretournierbaren Aufschlag beendete, hatten viele damals für sinnbildlich erachtet. Curren sieht das anders. „Es stimmt, dass Boris mich mit seinem Service überraschte, vor allem sein zweiter Aufschlag kam hart und präzise. Aber auf Rasen brauchst du mehr als einen guten Aufschlag, du musst stark retournieren und dich gut bewegen können. Boris hatte dieses Gesamtpaket, obwohl er erst 17 war. Er war seiner Zeit einfach weit voraus.“
Die Niederlage gegen Becker war für Kevin Curren ein tiefer Einschnitt in die Karriere. „Auch wenn ich danach noch einige gute Turniere gespielt habe, habe ich nie wieder ein Grand-Slam-Finale erreicht. Für mich war dieser Nachmittag in London so, als hätte ich den Mount Everest bestiegen und wäre an der letzten Kuppe mit Blick auf den Gipfel abgestürzt“, sagt er. Zwei- oder dreimal hat er sich die Aufzeichnung des Finales noch angeschaut, „einfach weil ich wissen wollte, ob ich irgendetwas hätte besser machen können. Aber es war, das muss ich zugestehen, einfach sein Tag“, sagt er.
Viele Jahre hat Curren, der 1985 die US-Staatsbürgerschaft angenommen hatte, sein Haus in Texas aber vor neun Jahren verkauft hat und seitdem wieder in seiner Heimat Südafrika lebt, an der Schmach gelitten. „Ich brauchte lange, bis ich erkannte, dass ich gegen einen der größten Champions, die es im Tennis gab, verloren hatte und dass es viele Tennisspieler auf der Welt gibt, die ihr Leben lang davon träumen, ein Wimbledonfinale spielen zu dürfen.“
Vielleicht wäre das Verarbeiten leichter gefallen, wenn ihm eine erfolgreiche Revanche vergönnt gewesen wäre. „1990 verlor ich in Wimbledon im Viertelfinale in fünf Sätzen gegen Goran Ivanisevic. Im Halbfinale hätte Becker gewartet. Aber ich habe es versemmelt, und so habe ich nie gegen ihn
gewonnen, weder bei kleineren Turnieren noch bei Schaukämpfen.“
Nach seinem Karriereende 1993 suchte Curren Abstand, war zwar von 2002 an drei Jahre Daviscup-Teamchef in Südafrika, hat seitdem aber mit dem Tennis komplett abgeschlossen. Er hat keine Erinnerungsstücke zurückbehalten, „die Erinnerungen sind nur in meinem Kopf und auf ein paar Fotos“, sagt er. Nach Wimbledon kehrt er ohne negative Gefühle zurück, zuletzt war er 2013 dort. Beckers Weg als Trainer des serbischen Weltranglistenersten Novak Djokovic verfolgt er aus der Ferne, tauschen möchte er mit dem Mann, der ihm seinen Traum stahl, nicht. „Jeder lebt sein Leben, ich bin mit meinem sehr zufrieden“, sagt er.
Boris Becker wird heute auch nicht feiern. „Ich bin keiner, der in der Vergangenheit rumwühlt, ich lebe im Hier und Jetzt und schaue in die Zukunft“, sagt der Leimener. Wenigstens das hat er mit Kevin Curren gemeinsam.