Barack Obama erklärt den Extremisten den Krieg. Kampfjets und Drohnen greifen IS-Stellungen an. Hunderttausende im Irak sind auf der Flucht vor der Terrormiliz. Die Islamisten kidnappen Frauen.
Washington/Erbil/Berlin. Erstmals seit Beginn der Gräueltaten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak haben die USA Luftangriffe gegen die Extremisten geflogen. Nachdem zunächst zwei Kampfjets der US-Luftwaffe Artilleriegeschütze der Terroristen bombardiert haben, griffen in einer zweiten Angriffswelle Kampfflugzeuge und eine Drohne einen Konvoi und Stellungen der IS an, teilte Pentagonsprecher John Kirby am Freitag mit. Mit den Geschützen seien kurdische Kräfte nahe der Stadt Erbil angegriffen worden. Auch US-Soldaten hätten sich in der Nähe befunden.
Derweil sind mehrere Hundert jesidische Frauen nach Angaben der irakischen Regierung von Kämpfern der Terrorgruppe Islamischer Staat gefangen genommen worden. Die Frauen seien allesamt unter 35 und zum Teil in Schulen der Stadt Mossul eingesperrt, sagte ein Sprecher des irakischen Menschenrechtsministeriums, Kamil Amin, der Nachrichtenagentur AP. Das Ministerium erfuhr demnach von den Familien der Frauen, dass diese verschleppt worden waren.
Zehntausende Mitglieder der religiösen Minderheit der Jesiden waren von den Extremisten aus der Stadt Sindschar nahe der syrischen Grenze vertrieben worden und hatten in den Bergen Unterschlupf gesucht. US-Frachtflugzeuge warfen dort am Freitag Wasser und Essen für die Flüchtlinge ab.
US-Präsident Barack Obama hatte die am Freitag begonnenen Luftschläge zum Schutz amerikanischer Militärs und bedrohter Minderheiten im Nordirak genehmigt. In einer Ansprache im Weißen Haus kündigte er zugleich einen Hilfseinsatz für die Flüchtlinge im Nordirak angekündigt. Seit der Eroberung der nordirakischen Stadt Mossul durch die IS-Milizen im Juni sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht.
Zugleich verstärkten kurdische und irakische Einheiten ihre Angriffe auf die Dschihadisten. Zehntausende Angehörige der jesidischen und christlichen Minderheiten versuchten weiter, sich vor den äußerst brutalen Dschihadisten in Sicherheit zu bringen. Die Uno bereitetet einen humanitären Korridor für die Hilfsbedürftige vor.
Zwei F18-Kampfjets hätten 220 Kilogramm schwere, lasergelenkte Bomben auf eine mobile Artillerieeinheit abgeworfen, erklärte das Pentagon. „(Die extremistische Gruppe) IS hat diese Artillerie benutzt, um kurdische Kräfte zu bombardieren, die Erbil verteidigen und wo sich US-Personal befindet.“ Laut CNN wurden die Angriffe mit Kampfjets vom Flugzeugträger „George H.W. Bush“ geflogen, der bereits im Juni in den Persischen Golf verlegt worden war.
Zuvor hatte der Uno-Sicherheitsrat in New York alle Staaten aufgerufen, die Regierung in Bagdad gegen die Extremisten zu unterstützen. „Wir sind empört, dass Zehntausende Menschen zur Flucht gezwungen wurden“, hieß es in der Erklärung. Menschen würden nur wegen ihrer Volkszugehörigkeit, ihres Glaubens oder ihrer politischen Ansichten verfolgt und ermordet. „Alle Seiten müssen zusammenarbeiten, um Iraks Souveränität, Einheit und Unabhängigkeit zu sichern.“
Die Entscheidung zum Angriff war nach der Ermächtigung des Oberbefehlshabers der US-Streitkräfte, Präsident Barack Obama, gefallen. Dieser hatte die Luftschläge am späten Donnerstagabend zum Schutz amerikanischer Militärs und bedrohter Minderheiten im Nordirak genehmigt. Bei seiner Ansprache im Weißen Haus hatte er zugleich einen Hilfseinsatz für die Flüchtlinge im Nordirak angekündigt.
US-Militär hat grünes Licht für weitere Angriffe
„Wie der Präsident klargemacht hat, wird das Militär der Vereinigten Staaten weiterhin direkte Maßnahmen gegen IS ergreifen, wenn sie unser Personal und unsere Einrichtungen bedrohen“, teilte das Pentagon mit. Das Militär habe „grünes Licht“, um bei einer Bedrohung der Flüchtlinge weitere Angriffe zu starten, berichtete CNN.
Frankreich begrüßte das Eingreifen der USA. Frankreich sei bereit seinen Teil dazu beizutragen, um gemeinsam mit den USA und anderen Partnern dem Leiden der Zivilbevölkerung ein Ende zu bereiten. Mögliche Maßnahmen würden geprüft, hieß es in der Mitteilung aus dem Élyséepalast ohne weitere Erläuterungen.
Steinmeier: Islamischer Staat hochgefährlich
Die Bundesregierung stellte 2,9 Millionen Euro für die Bewältigung des Flüchtlingsdramas zur Verfügung. Weitere Hilfen seien möglich, hieß es. Die Ermordung, systematische Vertreibung oder Zwangskonversion von Christen, Jesiden und anderen religiösen Minderheiten durch die Terroristen bedeute eine „neue Dimension des Schreckens“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Das jüngste Vorgehen von IS zeige, wie hochgefährlich dieses Gruppe für Frieden und Stabilität in der gesamten Region seien. Zu den US-Luftschlägen nahm er zunächst nicht Stellung.
Vor den amerikanischen Luftangriffen hatten bereits drei US-Frachtflugzeuge und zwei Kampfjets 8000 Fertigmahlzeiten und 20.000 Liter Wasser über dem Sindschar-Gebirge im Nordirak abgeworfen. Damit sollte den Tausenden Jesiden und Christen, die sich aus Angst vor Verfolgung und Gewalt vor den sunnitischen Extremisten verstecken, geholfen werden. Auch Großbritannien schickte Flugzeuge, um Lebensmittel abzuwerfen.
50.000 Jesiden tagelang eingeschlossen
Nach Angaben der kurdischen Nachrichtenseite „Rudaw“ waren nach ihrer Flucht vor den Dschihadisten rund 50.000 Jesiden tagelang in dem Gebirge eingeschlossen. Mindestens 70 Menschen seien bereits an Unterversorgung gestorben. Viele würden sich inzwischen von Blättern ernähren, berichten demnach Augenzeugen. Einem Bericht des kurdischen Nachrichtenportals „Basnews“ zufolge konnten kurdische Soldaten inzwischen eine große Zahl der Flüchtlinge in Sicherheit bringen.
Auch die irakische Luftwaffe hatte zuvor laut örtlichen Medienberichten ihre Angriffe auf IS-Stellungen verstärkt. Bereits in der Nacht zum Freitag seien bei Luftschlägen 130 Dschihadisten in der Region von Mossul getötet worden, berichtete „Basnews“. Die unabhängige irakische Nachrichtenseite „Sumaria News“ meldete, dass mehr als 105 IS-Kämpfer bei einem Angriff auf die Stadt Sindschar getötet und verletzt worden seien.
Papst Franziskus schickt derweil einen hochrangigen persönlichen Gesandten zu den Christen aus der Region. Wie der Vatikan mitteilte, soll der Kardinal und Irakkenner Fernando Filoni den verfolgten Menschen dort die Solidarität der Kirche und des Kirchenoberhaupts vermitteln. Franziskus hatte die Staatengemeinschaft in einem flammenden Appell zu einem verstärkten Einsatz für die von Gewalt und Vertreibung betroffenen Menschen im Nordirak aufgerufen.
Die Lufthansa und andere internationale Fluggesellschaften sagten unterdessen alle Flüge nach Ebril ab. Lufthansa und Austrian Airlines würden die Stadt aus Sicherheitsgründen zunächst bis zum 11. August nicht mehr anfliegen.