Hamburg. Autor Arno Luik hätte früher für den Abriss der riesigen Statue in Hamburg plädiert – heute sieht er das anders.
Als ich vor knapp 40 Jahren von Süddeutschland nach Hamburg umzog (man könnte sagen: Ich war ein Wirtschaftsflüchtling aus Schwaben, Gruner + Jahr boten damals noch verführerische Arbeitsplätze), fielen mir einige Dinge in der Hansestadt auf: Es gab damals fast keine Straßencafés, keine Straßenkneipen, keine Wirtschaften, die im Freien Wein, Kaffee ausschenkten, keine Restaurants, die draußen gar Essen servierten – na ja, fast keine.
Heute sitzen die Hamburger sogar bei kühlem Schietwetter vor der Tür und tun so, als ob das klasse sei. Und die Hamburger hatten damals auch noch überhaupt keine Ahnung, wie man Weiß-/Weizenbier trinkt: nicht aus Flaschen, was einige hanseatische Freunde bei meiner Einstandsparty versuchten – bis der Schaum ihnen aus Mund und Nase quoll.
Bismarck-Denkmal: Erinnerung an undemokratische Politik
Und noch etwas verblüffte mich damals: ein unförmiges, wuchtiges Betonungetüm über dem Hafen, einfach hässlich. Ich erfuhr, dass dieses Trumm Bismarck darstellt, dass die Hamburger den sogenannten Reichsgründer weg von ihrer Stadt Richtung Meer blicken ließen, weil sie als Republikaner irgendwie mit dem monarchistischen Reaktionär haderten. Eine Geschichte, die so wahrscheinlich nicht stimmt, denn viele Städte an Flüssen oder Meeren lassen ihre „Helden“ in die Ferne blicken, dorthin, wo es Märkte, Kolonien, Länder zu erobern gibt; eines der bekanntesten dieser Art ist wohl das in Lissabon, „Heinrich dem Seefahrer“ gewidmet. Übrigens ähnlich unästhetisch wie das Hamburger Bismarck-Betonwerk.
Ich war bisher nur einmal, viele Jahre ist es her, beim Bismarck-Denkmal – damals ein recht schmutziger Versammlungsort für Kippen, Bierflaschen, Spritzen, Großstadtmüll aller Art.
Abreißen von Denkmälern sorgt nicht für Aufklärung
Damals hätte ich gesagt, wie so viele sich darüber ärgernde Bürger: Jagt dieses Ding, dieses Symbol für eine undemokratisch-imperial-brutale Politik (Sozialistengesetze! Kriege! Kolonien!) in die Luft!
Aber heute sage ich, wie Gott sei Dank so viele in der Stadt, gerade heute, wo es en vogue ist, Denkmäler zu schleifen: Lasst das Ding stehen. Nutzt es zur Erklärung der Geschichte! Nutzt es so, wie das Kriegs- und Antikriegsdenkmal am Dammtor-Bahnhof. Auch da war ich – wie die rebellischen Studenten in den späten 60ern, frühen 70ern des vergangenen Jahrhunderts – dafür, dass der martialische Krieger-Koloss gesprengt wird. Dass er spurenlos entsorgt wird. Doch mit diesem Rausreißen löst man nicht die heftigen Widersprüche unserer Geschichte. Dieses Auslöschen ist das Gegenteil von Aufklärung.
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Mahnmal am Dammtor kann zum Nachdenken anregen
Neulich hatte ich Besuch aus Süddeutschland, junge Menschen. Sie stiegen am Dammtor aus dem Zug. Sie sahen das Monstrum, die Verherrlichung des Heldentods, diese kantigen Soldaten, bereit „fürs Vaterland“ in den Tod zu ziehen, das nicht fertiggestellte antifaschistische Mahnmal von Alfred Hrdlicka direkt daneben.
Sie blieben fast eine halbe Stunde bei diesem verstörenden Erinnerungsensemble, googelten auch nach Antworten, die ihnen das Mahnmal leider nicht gibt. Etwa Antworten auf diese Fragen: Warum wurde das Gegendenkmal nicht fertiggestellt? Wer war dagegen? Scheiterte es an Geld? Auf sie hatte das Antikriegsdenkmal, so ähnlich sagten sie es, gerade, weil es nicht fertiggestellt wurde, eine beklemmende Aktualität, „weil derzeit Rüstung, Panzer, Kanonen wieder in den Alltag zurückkehren“. Weil besonders bei einer Friedenspartei a. D. das Militärische eine bis vor Kurzem undenkbare Renaissance erlebt.
Im Bismarck-Denkmal ist ein Luftschutzbunker eingebaut
Dieses Denkmal ruft ja fast verzweifelt: Denk mal! Die Nazis ließen vor dem Krieg, vor dem Feuersturm über Hamburg im Bismarck-Denkmal einen Luftschutzbunker einbauen – soll der vielleicht demnächst wieder aktiviert werden? Durchaus denkbar – heute, in diesen aus den Fugen geratenen Zeiten.
Außenministerin Annalena Baerbock schwärmte ja neulich bei ihrem Finnlandbesuch von den riesigen Bunkerbauten unter den dortigen Städten, das sei „intelligente Stadtplanung“.Wirklich? Die vielen Bunker in Hamburg haben zigtausendenfachen Tod im Zweiten Weltkrieg nicht verhindert. Denk mal!