Hamburg. Ein reichlich nostalgischer Rückblick eines alternden Journalisten zwischen Bratwurst und Kolumnen.

Die Überschrift meiner letzten Kolumne an dieser Stelle lautete „Die Bratwurst ist zum Braten da“. Eine wahrlich banale Aussage, die auf den ersten Blick die Reputation einer Großstadtzeitung zu beschädigen scheint. Wer jedoch dahinter ein Grillrezept aus der Imbissbude vor dem Supermarkt vermutet hat, hätte besser einen zweiten Blick riskiert. Aus der Unterzeile, die mit der Schlagzeile eine Einheit bildet, wurde deutlich, dass die Bratwurst womöglich gar nicht vom Braten kommt, sondern worthistorisch (etymologisch) eine „Wurst aus Fleisch“ ist, aber beim täglichen unwissenschaftlichen Gebrauch missverstanden und umgedeutet wurde (volksetymologisch).

Eine Überschrift soll neugierig machen und die Leser in den Artikel hineinlocken, soll möglichst einen metaphorischen (bildlichen) Bezug zum Inhalt haben und muss, was von Außenstehenden meistens übersehen wird, in einer vorgegebenen Schriftgröße in die Spaltenbreite hineinpassen. Eine Zeitung besteht nicht nur aus Überschriften, sondern im Kern aus Inhalt, der aber die Verpackung guter Überschriften benötigt.

Wir sind keine Schriftsteller, geschweige denn Dichter

Ich habe in meinen 65 Jahren als Journalist Kollegen und Kolleginnen gesehen, die knobelten an einer Schlagzeile länger als am Text. Wir sind Journalisten und (zahlenmäßig) noch häufiger Journalistinnen, die etwas mitteilen wollen, weil sie es ihrem Wesen nach mitteilen müssen. Den Beruf des Journalisten kann man nicht erlernen – als Journalist wird man geboren, oder man wird es nie. Der scharfzüngige Karl Kraus sagte: „Im Anfang war die Presse, und dann erschien die Welt.“

Wir sind keine Schriftsteller, geschweige denn Dichter. Ein Schriftsteller ist laut Günter Grass jemand, dessen Intelligenz nicht groß genug ist, um mit dem Schreiben aufhören zu können. Siegfried Lenz ergänzte: Ein Schriftsteller ist ein Mensch, den niemand zwingt, das zu sein, was er ist. Meine Steuerberaterin war noch nüchterner, als ich mich über eine deftige Nachforderung des Finanzamtes beklagte: „Dann hören Sie doch mit Ihrer Schreiberei auf!“

Ich bin Rentner, Pensionär eines großen Medienkonzerns und Sprachautor aus Freude und Leidenschaft. Vielleicht ist meine Eloge auf meine Beschäftigung angesichts von Zeitenwende und Internet ein wenig zu nostalgisch ausgefallen, doch ich will nicht aufhören, schon gar nicht aus steuerrechtlichen Gründen. Sie lesen gerade die 924. Folge meiner „Deutschstunde“ in summa aus Hamburg und Berlin, und ein paar mehr sollten es schon noch werden. Dennoch muss ich eine Bitte wiederholen, die ich bereits mehrmals geäußert habe: Ich bin Sprachautor, aber keine Sprachauskunft. Es ist ja schön, dass Sie sich meiner selbst bei leichten Fragen erinnern, die meistens nicht das Geringste mit meiner aktuellen Kolumne zu tun haben, aber ich komme gegen die Menge der Einsendungen nicht mehr an. Ich danke für Ihr Vertrauen in meine Kompetenz, bitte aber um Verständnis, dass ich die Hunderte von unbeantworteten Mails in meinem privaten Postfach nicht mehr beantworten werde.

Andererseits drücke ich doch auf den „Antwort“-Button, wenn ich einen Familienstreit offenbar kurz vor dem Scheidungsanwalt schlichten muss, weil Mann und Frau sich nicht über die Schreibweise von „wart“ oder „ward“ einigen können. Heißt es nun „Ihr wart in Hamburg“ oder „Ihr ward in Hamburg“? Hier ist „wart“ richtig, eine Präteritum-Form von „sein“. Die Form „ward“ hingegen ist die ursprüngliche Flexion der 1. und 3. Person Singular Indikativ Präteritum von „werden“: Es werde Licht, und es ward Licht! Heute sagen wir besser „wurde“ dazu.

Es war ebenso leichtsinnig wie provokant von mir, im ersten Satz von meiner „letzten“ Kolumne zu schreiben. Ich kenne die sechs oder sieben Einsender, die zuschnappen und „letzte“ nur auf das Ende einer Reihe beziehen werden. Für manche Leute wäre es offenbar zu schön, im Zeitalter des Endes aller Generationen auch die „Deutschstunde“ an die Vergangenheit zu kleben. Doch die Bedeutung von „letzte“ bezieht sich hier auf das gerade Vergangene, auf das unmittelbar vor der Gegenwart Liegende, das noch eine Fortsetzung in der Zukunft haben wird: das letzte Jahr, der letzte Dienstag.

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