Guten Appetit, doch sprachhistorisch stimmt das nicht. Ein Blick auf die Folgen der Volksetymologie.

Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle zu erklären versucht, dass der Wunsch nach einem „guten Rutsch“, der zu Silvester allerorten ausgetauscht wurde, ursprünglich nichts mit dem Rutschen, Ausrutschen oder Hinfallen zu tun hatte. Warum auch sollte ein Sturz gut sein? Selbst derjenige und diejenige, der oder die am Jahresende um Mitternacht leicht benebelt die Standfestigkeit verloren hat, betritt das neue Jahr nicht in guter Verfassung, sondern taumelt hinüber.

Dieser Rutsch ist ein sprachliches Missverständnis. Er geht auf das hebräische Wort „rosch“ in der Bedeutung „Anfang“ zurück, das durch das Jiddische, durch die Sprache der osteuropäischen Juden, weit in den deutschen Landen (und vor allem in Berlin) verbreitet worden ist. Es handelte sich also um einen Segenswunsch für einen guten Anfang des neuen Jahres.

Allerdings konnten die nicht eingeweihten Leute den fremden Begriff nicht deuten und verballhornten ihn phonetisch zum deutschen „Rutsch“. Aus der Etymologie, der wissenschaftlichen Wortherkunft, wurde eine Volksetymologie der Umgangssprache mit eigener Deutung und Bedeutung. Ernsthafte Germanisten bezeichnen eine solche Wandlung als Sprachirrtum, Missverständnis, Vorurteil oder Denkfehler.

Solche populären „Denkfehler“ gibt es überaus häufig

Solche populären „Denkfehler“ gibt es überaus häufig. Sie betreffen die Bezeichnung von Lebewesen und Sachen, aber auch von Redensarten, Floskeln oder Paarformeln. Eine Bratwurst heißt so, weil sie gebraten wird. Das könnte Ihnen jedes Kind erklären. Doch diese Herleitung ist falsch. Eine Bratwurst heißt „Bratwurst“, weil sie aus Fleisch ist, und zwar das lange vor der veganen Bewegung. Den Wörtern „Braten“ oder „Bratwurst“ liegt das althochdeutsche „brato“ bzw. das mittelhochdeutsche „brate“ zugrunde, was „schieres Fleisch“ bedeutet. In „Wildbret“ ist die ursprüngliche Bedeutung noch bewahrt. Das Verb „braten“ hingegen kommt von ahd. „bratan“, und das heißt „erhitzen“. Die Wörter „brühen“ und „brennen“ sind davon abgeleitet.

Ich weiß, es käme kein zwangloses Gespräch zustande, wenn ein überstudierter Besserwisser dauernd seine etymologischen Anmerkungen dazwischenwürfe. Doch Namen können täuschen. Eine Meerkatze ist keine Katze, eine Walnuss eine welsche Nuss und eine Erdbeere keine Beere. Bei der Meerkatze handelt es sich um einen Affen und beim Meerschweinchen um ein Nagetier, die nur deshalb das Meer als Bestimmungswort führen, weil sie ursprünglich mit den Seefahrern „über das Meer“ aus Südamerika zu uns gekommen sind.

Der Meerrettich, ahd. mēr(i)rātich, bedeutete nichts anderes als „großer Rettich“ („mehr“), wurde dann aber volksetymologisch ebenfalls auf das Meer bezogen. Er soll wohl im gleichen oder gar in demselben Schiff wie Affe und Schweinchen „übers Meer“ gekommen sein, was nicht stimmt.

Auch Floskeln und Redensarten wurden im Laufe der Zeit „aufgefrischt“

Nicht nur Einzelwörter, sondern auch Floskeln und Redensarten wurden im Laufe der Zeit „aufgefrischt“. Opa guckt aus dem Fenster und meldet wenig erfreut: „Tante Frieda kommt mit Kind und Kegel um die Ecke!“ Er meint, dass die Verwandtschaft in voller Stärke im Anmarsch ist. Der Ausdruck „Kind“ bedeutet ein Pars pro Toto (Teilbegriff für das Ganze) und der „Kegel“ offenbar ein Synonym (Wort ähnlicher Bedeutung) für die Ausrüstung, die die Truppe mit sich schleppt. Das ist falsch!

Als „kegel“ wurde mittelhochdeutsch ein uneheliches Kind bezeichnet, das nicht die gleichen Rechte wie die ehelichen Kinder hatte. Diese Bedeutung ist heute nur noch in der Paarformel „Kind und Kegel“ erhalten, die zwar gesellschaftspolitisch überholt scheint, aber sprachlich als Stabreim auf „K“ leicht über die Zunge geht.

Es stellt sich die Frage, woher die hanseatischen Kaufleute den Tabak hatten, denn sie betrieben einen einträglichen Handel mit „Rauchwaren“ aus Russland, obwohl das Gewächs zur Blütezeit der Hanse noch gar nicht nach Europa gelangt war. „Rauchwaren“ haben hochsprachlich nichts mit dem Rauchen oder Räuchern zu tun, sondern bezeichnen unbehandelte Tierfelle, die der Kürschner zu Pelzen verarbeitet. Der Name kommt von mhd. „ruoch“ (rau[h]), womit die Oberflächenstruktur der rohen Felle gemeint ist.

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