Den Notruf der Ärzte ernst nehmen? Oder hat die Jugend ein Recht auf Unvernunft? Abendblatt-Redakteur Sven Kummereincke hat zwei Meinungen.
Beim Thema Böllerverbot schlagen bei Sven Kummereincke zwei Herzen in seiner Brust: Deshalb meldet sich unser Redakteur an dieser Stelle doppelt zu Wort – einmal als sein jüngeres Alter Ego.
Pro: Ich will dieses Silvester endlich wieder böllern dürfen
Es reicht. Ich habe diese ewige Heuchelei endgültig satt. Nach diesen fast drei vor allem für meine Generation wirklich beschissenen Corona-Jahren (darf man das im Abendblatt schreiben?) herrscht endlich wieder so etwas wie Normalität. Silvester steht an, die Party des Jahres. Bei meiner letzten war ich 15. Und schon kommen sie wieder um die Ecke, die (meist) grauhaarigen Bedenkenträger, und wollen Böller und Raketen am liebsten wieder verbieten. Wegen des Umweltschutzes, der Lärmbelästigung, der Ethik („Brot statt Böller“) und ganz aktuell wegen der überlasteten Krankenhäuser.
Fangen wir doch mal mit der Luftverschmutzung an. Ja, die entsteht beim Böllern. Allerdings nur ein Bruchteil von dem, was allein diesen Winter zusätzlich durch die Kaminofenrohre geballert wird, weil die halbe Republik Panik vor der Gasrechnung hat. Da waren dann sogar Briketts ausverkauft.
Dann der Lärm. Diese Stadt macht das ganze Jahr einen Wahnsinnskrach (Flughafen, Schiffe, Autos, Züge, Fabriken ...) – da darf man einmal im Jahr vielleicht auch mal anders Lärm machen. Ethikdebatten können wir auch gerne führen – nur sollten die sogenannten Erwachsenen, die uns diesen fast zerstörten Planeten mit Milliarden Armen darauf hinterlassen haben, vielleicht lieber eines tun: beschämt schweigen.
Und dann die Krankenhäuser. Also die Einrichtungen, die einen Gutteil ihrer Kapazitäten darauf verwenden, völlig sinnlose Operationen durchzuführen, nur weil eine Krankenkasse es bezahlen muss. Über ein System, das immer irgendeine Krise hat, sollte man vielleicht mal lieber grundsätzlich nachdenken.
Einmal im Jahr gibt es für ein paar Stunden ein klein wenig Anarchie. Und die werde ich ausnutzen. Ich werde Party machen. Ich werde Dutzende Raketen und noch viel mehr Böller zünden. Und es ist mir völlig egal, was SUV-fahrende Vielflieger und andere Scheinheilige davon halten.
Ich weiß, dass Böllern nicht „vernünftig“ ist – ich bin jung, nicht blöd. Aber es macht Spaß. Und den will ich dieses Jahr verdammt noch mal haben. Ihr hattet euren – jahrzehntelang. Und oft genug auf Kosten meiner Generation.
Kontra: Es gibt keinen vernünftigen Grund, Sprengstoff zu legalisieren
Es wäre eine so elegante Gelegenheit gewesen: Zwei Jahre lang gab es ein breit akzeptiertes, generelles Verbot von Feuerwerkskörpern in Deutschland. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass es größere Widerstände gegeben hat. Da hätte man sagen können: Hat sich bewährt, wir bleiben dabei.
Wenn man mal in Ruhe darüber nachdenkt, wird erst klar, wie absurd das eigentlich ist. Einmal im Jahr ist es für ein paar Tage ganz offiziell erlaubt, Sprengstoff zu kaufen. Zur Explosion gebracht werden darf dieser Sprengstoff dann ausschließlich am 31. Dezember – also ausgerechnet an dem Tag, an dem mit Abstand am meisten Alkohol konsumiert wird.
Das Ergebnis lässt sich dann massenhaft in den Krankenhäusern besuchen. Und manchmal auf den Friedhöfen. Und das alles im Namen der Tradition.
Dabei ist die Situation objektiv betrachtet aktuell keineswegs entspannter als vor einem oder zwei Jahren. Dr. Michael Wünning, der am Hamburger Marienkrankenhaus das Zentrum für Notfall- und Akutmedizin leitet, weist zu Recht darauf hin, dass auch jetzt Ausnahmezustand in den Krankenhäusern herrscht. Denn kaum ist die Corona-Welle (zumindest vorerst) überstanden, sind die Kliniken wieder überlastet, weil massenhaft Patienten mit Atemwegserkrankungen eingeliefert werden.
Chaotische Zustände in den Notaufnahmen sind also programmiert. Und das ohnehin seit Jahren über alle Maßen beanspruchte Krankenhauspersonal muss mit dieser Situation fertig werden. All das ließe sich so leicht vermeiden.
Nun will ich nicht scheinheilig sein. Auch wenn ich in diesem Jahrhundert noch keinen Cent für Böller oder Raketen ausgegeben habe, will ich nicht leugnen, dass das in meiner Jugend ganz anders war. Schon Wochen vor Silvester habe ich genau kalkuliert, wie viele Böller welcher Größe ich mir würde leisten können. Ich war wirklich fasziniert und habe meine pyromanischen Neigungen voll ausgelebt.
Ich bin nie ernstlich verletzt worden. Doch zur Wahrheit gehört eben auch: Oft hatte ich einfach nur großes Glück. Doch es sollte kein Glücksspiel sein, ob man noch alle zehn Finger und ein Gehör hat. Lassen wir den Unsinn.