Hamburg. Auch Hamburgs Unternehmen leiden unter Fachkräftemangel. Auch wegen eigener Fehler.
Es ist schon seltsam, was sich derzeit auf dem Arbeitsmarkt abspielt. Die stark gestiegenen Energiepreise führen bei fast allen Unternehmen zu Kostenexplosionen, wegen der hohen Inflation ist die Nachfrage der Kunden eher mau und die Lieferkettenprobleme infolge der Corona-Pandemie belasten die Wirtschaft weiterhin. Und dennoch zeigt sich der Arbeitsmarkt robust – auch in Hamburg.
Die Zahl der Erwerbslosen in der Stadt ist im Jahresvergleich kaum gestiegen, die großen Unternehmen haben ihr Personal in den vergangenen Monaten sogar aufgestockt. Besonders positiv: Fast 90 Prozent der 200 größten Unternehmen in der Stadt wollen nach der aktuellen Abendblatt-Umfrage im nächsten Jahr die Zahl ihrer Beschäftigten halten oder sogar erhöhen – trotz Wirtschaftskrise. Wie kann das sein?
Hamburger Arbeitsmarkt – hausgemachte Probleme
Der Arbeitsmarkt hat sich von der konjunkturellen Entwicklung abgekoppelt. In nahezu allen Branchen werden Arbeitskräfte händeringend gesucht. Gastronomen benötigen Köche, die sich während der Pandemie stressärmere und besser bezahlte Jobs gesucht haben. Der Mangel an Pflegekräften ist längst chronisch geworden und spitzt sich mit Blick auf die Überalterung unserer Gesellschaft weiter zu. Ingenieure werden gefühlt seit Jahrzehnten gesucht, ohne dass nachhaltige Lösungen in Sicht sind.
Das Handwerk stöhnt über Nachwuchssorgen, weil junge Menschen lieber den vermeintlich lukrativeren Weg des Studiums wählen, statt sich ölige Hände in einer Werkstatt zu holen. Die Liste der Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ließe sich endlos fortsetzen. Egal ob alt oder jung: Wer Lust hat zu arbeiten, dem stehen heutzutage so viele Türen offen wie seit den 1950er Jahren nicht mehr.
Die demografische Entwicklung ist ein Treiber dieser Entwicklung. Zu wenige Babys treffen auf zu viele Menschen, die immer älter werden; da ist eine Schieflage am Arbeitsmarkt programmiert. Und sie wird zu einer großen Herausforderung für unser Zusammenleben, belastet die ohnehin chronisch unterfinanzierten Sozialsysteme. In den kommenden Jahren wird der deutsche Arbeitsmarkt so viel Knowhow verlieren wie nie zuvor. Allein in Hamburg müssen bis 2034 mehr als 175.000 Fach- und Führungskräfte, die in Rente gehen, ersetzt werden.
Krise am Arbeitsmarkt ist teils eine von den Firmen hausgemachte
Auch wenn die Unternehmen sich nun bemühen, ihr Personal zusammenzuhalten. Zur Wahrheit gehört: Die Krise am Arbeitsmarkt ist zum Teil eine von den Firmen hausgemachte. Statt langfristig zu denken und zu handeln, haben nicht wenige Unternehmen auf kurzsichtige Jobabbau-Programme gesetzt. Um Anteilseigner zufrieden zu stellen und Aktienkurse nach oben zu treiben, überboten sich vor allem börsennotierte Konzerne mit teuren Abfindungsprogrammen, großzügigen Vorruhestandsregelungen und staatlich unterstützten Altersteilzeitmodellen. Eine fatale Entwicklung, die sich nun rächt. Bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen ihre Lektion gelernt haben und der ausschließliche Blick auf den kurzfristigen Profit der Vergangenheit angehört.
Erfahrene Arbeitskräfte über das eigentliche Rentenalter hinaus zu beschäftigen, diese neue Art der Stellenbesetzung kann nur ein winziger Baustein der künftigen Jobstrategie sein. Denn noch immer gibt es – auch in Hamburg – viel zu viele Erwerbslose, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhalten. Sie zu qualifizieren, fit zu machen für die Zukunft – daran führt kein Weg vorbei. Und an modernen Zuwanderungsregeln, die dafür sorgen, dass mehr qualifiziertes Personal aus dem Ausland zu uns kommt, auch nicht.