Eine neue Buslinie verbindet Eimsbüttel mit dem Elbstrand. Wichtiger wäre die Bereitschaft aller, das unbekannte Hamburg kennenzulernen.
Die Idee ist bestechend – ein Bus direkt aus dem dicht besiedelten Eimsbüttel an den Elbstrand, das hatte noch gefehlt. Das Umsteigen am Bahnhof Altona entfällt, der Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr wird bequemer. Und nebenbei können Hochbahn und Verkehrswendesenator Anjes Tjarks (Grüne) ein bisschen PR in eigener Sache machen – das ist nicht nur an der Pressekonferenz, sondern auch am bunten Bus und dem marketingorientierten Namen „Beach-Express“ erkennbar. Klappern gehört zum Handwerk.
Und doch schleicht sich an diesem Punkt ein leises Unbehagen ein. Denn der Beach-Express führt in bunten Farben vor Augen, was viele Hamburger seit Längerem spüren: Es gibt in der Wahrnehmung von Politik, Institutionen und leider auch der Medien eine Fixierung auf manche In-Stadtteile und Szeneviertel, die der Stadt nicht guttut. Hamburg ist mehr als Eimsbüttel, Eppendorf und Ottensen.
Hamburgs Politik hat eine beschränkte Wahrnehmung
Die SPD hatte das im Wahlkampf erkannt, zumindest hatte sie es flott formuliert: „Die ganze Stadt im Blick“ lautete das Versprechen, das Bürgermeister Peter Tschentscher ins Amt trug. Inzwischen beschleichen viele Bürger Zweifel, ob der Slogan wirklich mit Inhalt gefüllt wird. Da geht es um viel mehr als um den Beach-Express, den sich wohl auch viele Dulsberger oder Billstedter wünschen würden. Es geht um die Konzentration auf die Innenstadt und ihre alster- und elbnahen Wohnlagen, es geht um eine beschränkte Wahrnehmung der Stadt, einen Altbaublick auf Hamburg. Nicht nur das Sein bestimmt das Bewusstsein, auch das Da-Sein.
Die Entscheider, Meinungsmacher und Multiplikatoren haben aufgrund ihrer Wohnlage einen exklusiven Blick auf die Welt. Die Pandemie hat das in bitterer Weise offengelegt. In den ersten Monaten gingen die sozialen Verwerfungen durch Corona und Lockdown in weniger privilegierten Stadtteilen in der öffentlichen Wahrnehmung völlig unter. Wie wusste schon Bert Brecht: „Denn die einen sind im Dunkeln / Und die anderen sind im Licht. / Und man sieht nur die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“
Wahrnehmung unterscheidet sich je nach Stadtteil
Längst scheint das Licht in den Szenevierteln. In der grünen Republik haben grüne Stadtteile einen natürlichen Vorsprung, hier leben Politiker, Journalisten, Kreative und Künstler. Oft bleiben sie unter sich: Ihre Sichtweise auf die Welt bekommt damit etwas Allgemeingültiges – ohne allgemeingültig zu sein. Wer in Eimsbüttel wohnt, hält angesichts fehlender Parkplätze die Fahrradoffensive für logisch – wer in Sasel oder den Vier- und Marschlanden lebt, sieht es anders. Wer in Ottensen lebt, freut sich über eine Verdrängung der Autos über Anwohnerparkplätze – wer aus Lurup als Arbeitnehmer dorthin pendelt, hat einen andere Wahrnehmung.
Die Krise der Unverpackt- und Bioläden bewegt die Szenestadtteile, auf Finkenwerder wäre man froh, überhaupt einen Bioladen zu haben. In Eppendorf ärgert man sich über die Rollerflut, in Berne fände man gern einen einzigen. Und der vermeintliche Untergang der Mönckebergstraße bekommt eine bizarre Note, wer die Krise der Wandsbeker Chaussee oder der Lüneburger Straße kennt.
In den vergangenen Jahren hat sich diese Entmischung der Gesellschaft, die Soziologen Segregation nennen, noch verschärft. Was in Lemsahl-Mellingstedt und Rönneburg passiert, was Steilshoop bewegt, dringt zu wenig auf das Radar der Stadtgesellschaft. Stattdessen bleibt man unter sich, befasst sich mit seinen Problemen. Szenestadtteile haben es leichter, sich Gehör zu verschaffen und erhört zu werden. Damit aber schwindet der Zusammenhalt der Stadtgesellschaft. Wichtiger noch als der Beach-Express wäre die Bereitschaft aller, das unbekannte Hamburg kennenzulernen.
Dafür eignet sich jeder Linienbus.