Wie eine 94-jährige Schwarze Amerika einen neuen Feiertag beschert und an die mühsame Befreiung der Sklaven erinnert.

Kennen Sie Opal Lee? Wenn nicht, empfehle ich die 94 Jahre alte pensionierte Lehrerin aus Fort Worth in Texas genauer in Augenschein zu nehmen. Ohne Frau Lee hätte Amerika wahrscheinlich keinen neuen landesweiten Feiertag bekommen. Es geht um „Juneteenth“. Der Tag markiert den 19. Juni 1865 („june nineteenth“). Damals erfuhr rund eine Viertel Million Sklaven in Texas von einer entscheidenden Weichenstellung. „Das Volk von Texas wird darüber informiert, dass alle Sklaven frei sind“, erklärte der weiße General Gordon Cranger vor der Kaserne von Galveston. Die Nachricht kam selbst für Postkutschen-Zeitalterverhältnisse reichlich spät – zweieinhalb Jahre danach.

Die von Präsident Abraham Lincoln angeordnete Abschaffung der Sklaverei datiert auf den 1. Januar 1863. Opal Lee hat sich die Zeitverzögerung auf ganz besondere Weise zu eigen gemacht. Nach jahrzehntelangem Werben auf lokaler und regionaler Ebene ging sie ab 2006 von Forth Worth in Etappen nach Washington DC. Damit „Juneteenth“ endlich Nationalfeiertag wird. So wie der Unabhängigkeitstag am 4. Juli. Die Strapazen der alten Dame, die fast drei Millionen Unterschriften für ihre Petition sammelte, waren nicht umsonst.

Biden unterzeichnet Gesetz für Feiertag zum Sklaverei-Ende

Präsident Joe Biden unterzeichnete jetzt ein Dokument, das die Bemühungen von Lee und vielen anderen Aktivisten in Gesetzeskraft gießt. Der 19. Juni ist seit Ende vergangener Woche landesweiter Feiertag in den USA. Fortan wird an den „schrecklichen Tribut“ erinnert, „den die Sklaverei vom Land forderte und weiterhin fordert“, sagte Biden bei einer bewegenden Zeremonie im Weißen Haus. Vor Ehrengast Opal Lee, die er die „Großmutter der Bewegung“ nannte, ging der Präsident demütig auf die Knie. Biden sprach davon, dass „große Nationen ihre schmerzhaftesten Momente nicht ignorieren“.

Ein Akt, der unter der Vorgänger-Regierung von Donald Trump undenkbar gewesen wäre. Im vergangenen Jahr wollte Trump in Tulsa/Oklahoma ausgerechnet am 19. Juni eine Wahlkampf-Veranstaltung abhalten. Was ihm als Geschichtsvergessenheit und bewusste Provokation ausgelegt wurde. Am Schauplatz ereignete sich vor 100 Jahren das schlimmste Pogrom in der US-Geschichte. Über 300 Schwarze wurden von einem weißen Mob getötet.

Opal Lees Lebensziel hat sich erfüllt

Diesmal stimmten 415 Abgeordnete im Repräsentantenhaus für die symbolisch hoch aufgeladene Geste, „Juneteenth“ auf eine Stufe mit Weihnachten, Thanksgiving oder den Geburtstagen von Präsident George Washington oder der Bürgerrechts-Ikone Martin Luther King zu stellen. Nur 14 Konservative, tausendprozentige Trump-Fans wie Mo Brooks aus Alabama, verweigerten sich. Im 100-köpfigen Senat war der Zuspruch sogar einhellig. Was bei der chronischen Zerstrittenheit von Republikanern und Demokraten eine absolute Rarität ist.

Opal Lee bekam feuchte Augen, als Joe Biden den präsidialen Füllfederhalter zur Unterschrift auf das Papier setzte. Ihr Lebensziel, dass sich Amerika an das offizielle Ende einer seiner Ursünden erinnert, war erfüllt. Die geistig hellwache Seniorin macht sich keine Illusionen darüber, was den Erfolg begünstigt hat. Ausgelöst durch den von einem weißen Polizisten in Minneapolis getöteten Schwarzen Georg Floyd hat sich das Streben der „Black Lives Matter“-Bewegung nach schonungsloser Analyse der auf Rassismus gründenden US-Gesellschaft bis in den letzten Winkel durchgesetzt. Dabei fiel auf, dass „Juneteenth“, obwohl in den meisten Bundesstaaten seit Langem als Feiertag im Kalender fixiert, eine Nischenveranstaltung ist. Viele Weiße wissen laut Umfragen bis heute nicht, dass es den Feiertag überhaupt gibt.