Hamburg. Abendblatt-Kolumnist Hajo Schumacher entdeckt in Kämpfen von Politikern einige Parallelen zum Boxen. Roh, offen und transparent.

Vor 50 Jahren durfte ich Knirps ausnahmsweise nachts vor den Fernseher. Nein, nicht wegen der Mondlandung, die war zwei Jahre zuvor, sondern für etwas sehr Irdisches: den Kampf des Jahrhunderts, Muhammad Ali gegen Joe Frazier, im Madison Square Garden. Eigentlich bescheuert: Zwei hauen sich so lange aufs Maul, bis einer nicht mehr kann, die Welt schaut zu, und hinterher vertragen sich die beiden wieder, halbwegs.

Politik ist wie Boxen. Die einen halten die Duelle dort für sinnlose Gewalt, die anderen für eine archaische Kunstform. Finten, Tänzeln, Lauern, unbändige Kraft, rockyhaftes Einstecken, großes Theater. Künstliche Intelligenz hin, Achtsamkeit her – das menschliche Miteinander gipfelt immer wieder im Duell, ob mittags auf der Dorfstraße, über 100  Meter bei Olympia oder eben bei der Kanzlerkandidatur der Union.

Parteichefs kämpfen um denselben Posten

Der kulturelle Vorteil der Demokratie gegenüber der Steinzeit besteht darin, dass der Mensch nicht dreimal täglich um sein Leben kämpft. Im Rechtsstaat befiehlt normalerweise die Stärkere dem Untergebenen. Was aber, wenn es keine Regeln gibt und zwei nahezu gleich starke Parteichefs und Ministerpräsidenten auf denselben Posten wollen? Dann ab in den Ring, um Mehrheiten zu gewinnen, in Umfragen, der Fraktion, den Medien und hinter den Kulissen, wo teure Bündnisse geschlossen werden. Polit-Boxen halt.

Ego-Show, Machtkampf, ausgerechnet in der Pandemie – angeekelt können wir das Raufen ablehnen. Aber genau dieser Kampf zeigt doch, dass nichts abgesprochen ist im oft durchchoreografierten Politgeschäft. Roh und offen und ehrlich und so transparent, wie Politik es zulässt, zeigen da zwei ihre Talente, ganz allein.

Politische Machtkämpfe als Festtage

Wer durch die zwölfte Runde taumelt, hat kein Manuskript und hört das Flüstern der Imageberater nicht. Warum politische Machtkämpfe nicht als Festtage feiern, so wie andere Finals auch – solange die Kämpfenden sich hinterher sportlich verhalten. Und das Publikum lernt was: So wie einer heute für sich kämpft, wird er morgen mit Putin, Erdogan und all den anderen ringen.