Warme Worte reichen in der Krise nicht – Veranstaltungskonzepte müssen ernsthaft geprüft werden.

Ein Jahr ist es nun schon her, dass überall im Land erstmals der Lockdown-Vorhang fiel. Dass Konzerthäuser und Clubs, Theater und Museen, Kinos und Stadtteilkulturzentren schließen mussten. Auch in Hamburg gingen dem bewegte Tage voller Unsicherheit voraus.

Mit einer tatsächlichen Schließung habe man gar nicht gerechnet, erinnert sich Kamp­nagel-Chefin Amelie Deuflhard. Und Pianist Brad Mehldau, der das letzte Konzert in der Elbphilharmonie gab, dachte damals noch, nach ein oder zwei Monaten werde gewiss wieder Normalität einkehren, werde alles wieder öffnen, das kulturelle Leben wie gewohnt weitergehen. Welch Irrtum.

Ein Jahr Lockdown in Hamburg – auch für die Kultur

Tatsache ist: Auch nach einem Jahr Lockdown, der in Hamburg lediglich von einigen Monaten der Teilöffnung unterbrochen war, flackert das Hoffnungslicht am Ende des Pandemie-Horizonts nur sehr verhalten. Zwar können Museen, Galerien und Buchhandlungen inzwischen wieder Besucher oder Kundinnen empfangen, aber das war es dann auch schon. Geradezu mantraartig wird von der Politik beschworen, man wolle und müsse „die Kultur jetzt immer sofort mitdenken“, aber was folgt den Worten eigentlich?

Klar, die Hilfsprogramme sind milliardenschwer, und gerade in Hamburg ist mit Kultursenator Carsten Brosda ein unermüdlicher und offensiv Hoffnung spendender Kämpfer für die Kulturschaffenden im Amt – doch gegen die an entscheidender bundespolitischer Stelle offensichtlich weiterhin vorherrschende Haltung, Kultur sei zwar ganz schön, im Vergleich zu Gartencentern und Kosmetikstudios aber nur so mittelwichtig, ist schwer anzukommen.

Leben ohne Musik und Theater möglich?

Lange vor Corona hatte die Hamburger Philosophie-Professorin Birgit Recki im Abendblatt-Gespräch die Frage beantwortet, ob für uns Menschen ein Leben ohne Musik und Theater, ohne Literatur und Film dauerhaft möglich sei. Ihre Haltung war ganz klar: „Die Bedürfnisse, die da zum Ausdruck kommen, sind ebenso wichtig wie die elementaren Bedürfnisse – also etwa essen und schlafen. Es wäre kein menschliches Leben, wenn wir auf die Erfüllung der absolut existenziellen ,Grundbedürfnisse’ beschränkt wären. In dem Fall würden ganze Dimensionen menschlicher Lebensentfaltung ausfallen.“

Es sei ein Zeichen „großer Unempfindlichkeit“ zu behaupten, auf diese kulturellen Ausdrucksformen könne man verzichten und sich auf „das Wesentliche“ konzentrieren. Natürlich gibt es auch in der Pandemie Bücher, CDs und Netflix, aber gegen das unmittelbare Live-Erlebnis, das einen im besten Fall durch die ganze Woche tragen kann, ist das eben nur ein schwacher Ersatz.

Veranstaltungskonzepte finden kaum Beachtung

Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, die sehr reale Corona-Gefahr herunterzuspielen oder sorglos zu werden. Doch die gebotene Vorsicht darf eben auch nicht dazu führen, dass engagiert erarbeitete Veranstaltungskonzepte, die häufig sehr differenziert und in ihren Modellen der jeweiligen Infektionslage angepasst sind, kaum Beachtung finden – nur weil es einfacher ist, beispielsweise Konzerte grundsätzlich zu verbieten.

Niemand erwartet ernsthaft im Sommer Festivals mit mehreren Zehntausend Besucher – die meisten sind ja ohnehin bereits abgesagt –, aber mehr als eine bequeme Minimallösung für die Kultur sollte doch drin sein. Um das Bedürfnis, besser: die tiefe Sehnsucht nach Live-Kultur zu stillen, reicht es ein Jahr nach dem Beginn des ersten Lockdowns einfach nicht mehr, sie „immer auch mitzudenken“.

Es muss mehr geschehen. Das jetzt angekündigte Berliner Pilotprojekt, das auf Testungen am Veranstaltungstag setzt, ist ein erster Schritt.