Hamburg. Vor elf Jahren versagte die Stadt beim Streuen der Straßen und Gehwege. Und jetzt?
Das Wetter kann eine hochpolitische Sache sein. Wer daran zweifelt, soll nur einmal die Presseerklärungen der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und
Agrarwirtschaft aufmerksam lesen. Anfang vergangener Woche war da geschrieben: „Neuer Wetterrekord: Seit zwei Jahren hat Hamburg keinen Tag mit Dauerfrost erlebt – das ist die längste Periode ohne sogenannte Eistage seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.“
Eine durchaus spannende Information, wenn nicht exakt drei Wochen zuvor, am 4. Januar, dieselbe Behörde ihren Wetterrückblick mit derselben Botschaft vermeldet hätte: „Brisant“ sei die Tatsache, dass man derzeit die längste Zeit ohne Eistage beobachte. „Es ist deutlich, dass der Klimawandel unseren Alltag mehr und mehr berührt“, warnte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). „Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere Anstrengungen deutlich verstärken.“ In seiner Wetterbilanz hieß es, der letzte Tag mit Dauerfrost liege genau 710 Tage zurück. „Zum Vergleich: Der alte Rekord lag bei 421 Tagen.“
Wetterkapriolen taugen nicht als Beweis für Klimawandel
Drei Wochen später rechnete die Behörde noch einmal nach: Da waren es 731 Tage ohne Dauerfrost. „Wieder ein Wetterrekord, zwei Jahre ist Hamburg jetzt ohne Dauerfrost“, klagte Senator Kerstan. „Die Statistik der Eistage bestätigt deutlich, dass es immer wärmer wird.“ Und twitterte hinterher: „Auf diesen Rekord hätte ich gerne verzichtet.“ Wirklich? Am 25. Januar hatte der Wetterbericht schon Dauerfrost in Aussicht gestellt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Nun widerlegt die jetzige Kältewelle den Klimawandel keineswegs – aber genauso wenig taugen andere Wetterkapriolen als Beweis dafür, dass es wärmer wird. Dafür muss man langfristig auf Klimadaten schauen: Da ist der Trend, wie die Behörde auch zeigt, eindeutig: Die Anzahl der Eistage sank in den vergangenen drei Jahrzehnten auf 13,3 Tage – zwischen 1961 und 1990 waren es noch 20,6 Tage.
Wetter führt die Politik häufig aufs Glatteis
Aber das Wetter führt die Politik häufig aufs Glatteis: Unvergessen ist der Eiswinter 2010, der ein politisches Versagen offenbarte: Damals gelang es dem schwarz-grünen Senat über Wochen nicht, die vereisten Hamburger Straßen zu räumen. Chirurgen mussten im Januar und Februar 16-Stunden-Schichten schieben, Hunderte Verletzte warteten auf Operationen, Betten wurden in Klinikfluren aufgestellt. Die Unfallchirurgie im UKE behandelte im Februar dreimal so viele Patienten wie im Jahr zuvor. Zu Spitzenzeiten lagen dort 140 Glatteisopfer, die meisten mit gebrochenen Unterarmen und Sprunggelenken.
Der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) versprach auf dem Presseball, im nächsten Winter besser vorbereitet zu sein. Die Straßen blieben weiter vereist – mit einer Ausnahme: In einer abgelegenen Gasse in Groß Borstel klappte die Räumung, weil ein Anwohner interveniert hatte. Das war der damalige Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU), der daraufhin zurücktreten musste. Nach dem Eisdesaster kippte die politische Stimmung in der Stadt: Erstmals überholte die SPD im Frühjahr 2010 die Union. Ein Jahr später errang Olaf Scholz für die Hamburger Sozialdemokraten mit einem einfachen Versprechen die absolute Mehrheit: ordentliches Regieren.
Ältere Menschen müssen Hals und Kragen riskieren
Daran musste ich denken, als ich nun über die vereisten Straßen der Stadt schlitterte. Wie vor elf Jahren deuten viele Anwohner ihre Streupflicht neudeutsch cool – bis jemand stürzt. Die Straßen sehen oft ähnlich aus. Zwar ist die Lage besser als 2010, aber lange nicht gut. Wären die Wege rechtzeitig geräumt worden, wäre der Schnee längst weggetaut. So aber taut der Matsch immer wieder an und gefriert. Ältere Menschen müssen bei jedem Gang vor die Haustür Oberschenkelhals und Kragen riskieren – in Zeiten von Corona eine doppelte Zumutung.
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Interessanterweise blieb auch die Fahrradstadt Hamburg im Schnee stecken. Zwar wurden mancherorts Wege geräumt, andere Straßen hingegen, die als Veloroute eigentlich die Menschen zum Umstieg aufs Rad bewegen sollen, wurden überhaupt nicht vom Eise befreit. Was aber bringt eine Verkehrswende, wenn schon wenige Zentimeter Schnee sie ins Schlittern bringen?
Vielleicht hat sich die Verkehrsbehörde zu sehr auf die Kollegen in der Umweltbehörde verlassen. Wer eifrig eisfreie Tage zählt, rechnet nicht mehr mit dem Winter. Und wenn er dann kommt, ist man schlecht vorbereitet.