Hamburg. Erst bat Hamburg die über 80-Jährigen, sich impfen zu lassen. Jetzt scheitern Tausende beim Versuch, einen Termin zu erhalten.

Ein Kommentar auf der Titelseite des Hamburger Abendblatts ist eine Seltenheit. Heute ist er aber aus Sicht der Redaktion mehr als nötig: Denn was sich da gerade rund um die Impfungen gegen Corona abspielt, auf die mehr als 100.000 Hamburgerinnen und Hamburger über 80 Jahren dringend warten, ist mindestens eine Zumutung, eher ein Skandal.

So kann man mit älteren Menschen nicht umgehen.

Tausende sitzen seit Wochen immer und immer wieder vor dem Computer oder dem Telefon und versuchen, einen Termin im Impfzentrum zu bekommen. Meist fliegen sie aus der Leitung, und wenn sie durchkommen heißt es oft, viel zu oft: nichts mehr da, alles weg.

Sorge, keinen Impftermin zu bekommen

So wie es Abendblatt-Leser Frank Domke beschreibt, geht es vielen: „Als 80-Jähriger gehöre ich zur Gruppe der Impfberechtigten, und es soll ja wieder freie Impftermine geben. Also, kurz nach 8 Uhr schnell mein Tablet geöffnet und die angesagte Adresse, zunächst ver­geblich (mehrere Systemabbrüche, etc.), dann aber doch erfolgreich aufgerufen und die beiden Buchungscodes erhalten, dann gleich die Ernüchterung: Heute keine Impftermine mehr, versuchen Sie es morgen wieder. Trotzdem alle zwei Stunden erneut versucht, mit dem gleichen Ergebnis …“

Das ist zermürbend, das zerrt an den Nerven. Eine andere Leserin erzählt, dass sie Beruhigungsmittel nehmen müsste, ihr Mann hat inzwischen mehr als 50-mal bei 116 117 angerufen: „Ich habe wirklich Sorge, dass wir überhaupt noch einen Termin erhalten.“

Politische Bankrotterklärung

Diese Sorge ist unberechtigt, aber sagen Sie das mal einer 82-Jährigen, die vor Wochen von der Stadt einen Brief mit der Bitte erhalten hat, sich impfen zu lassen; die jeden Tag lesen muss, dass ihre Altersgruppe die in der Pandemie am stärksten gefährdete ist; die vielleicht Kinder und Enkel seit einem Jahr nicht gesehen hat. Das Letzte, was diese Menschen jetzt brauchen, ist noch mehr Unruhe und Unsicherheit in ihrem Leben. Und dann dieses unnötige Impfchaos.

Was Leser bei der Vergabe von Impfterminen erleben

Es ist zum Verrücktwerden, zum Heulen, und Letzteres tun wahrscheinlich nicht wenige der Betroffenen. Sie müssen sich wirklich – wie sagt man vornehm? – verhohnepiepelt vorgekommen sein, als am Montag die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten den groß angekündigten Impfgipfel mit der Botschaft beendete, dass man nun nicht mehr zurück-, sondern nur noch nach vorn gucken solle. Das ist eine politische Bankrotterklärung.

Schwerwiegende Fehler

Wer so etwas sagt, gibt schlicht zu, dass ihm in der Vergangenheit schwerwiegende Fehler unterlaufen sind. Leider ist das auch genau so, und darüber müssen wir, die Bürgerinnen und Bürger, mit den Politikerinnen und Politikern spätestens jetzt mal offen sprechen.

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Die Aufgabenteilung bei der Bekämpfung der Pandemie war doch wie folgt: Wir, die Bürger, reduzieren unsere Kontakte, unterrichten und arbeiten zu Hause, tragen FFP2-Masken und lüften, so oft es geht. Dafür kümmert sich die Politik darum, dass ein Impfstoff, wenn er denn entwickelt ist, so schnell und effizient wie möglich unters Volk gebracht wird.

Deutsche Politik hat nicht so geliefert wie andere Regierungen

Das klingt nach dem leichteren Job – war es aber nicht. Denn während wir, die Bürger, mit Disziplin die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner immerhin wieder unter 100 gedrückt haben – ein im internationalen Vergleich guter Wert –, hat die deutsche Politik in Sachen Impfen bei Weitem nicht so geliefert wie die Regierungen anderer Staaten.

Tschentscher stellt Impfversprechen bis Sommer infrage:

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Man kann versuchen, das schönzureden, so nach dem Motto: Seien wir doch froh, dass überhaupt so schnell Impfstoffe entwickelt worden sind. Allein, es funktioniert nicht. Und es reicht nicht, jetzt „nur noch nach vorn“ zu blicken, als könne die Aussicht auf eine bessere Zukunft die Qualen der Gegenwart heilen.

Muss Hamburg einen eigenen Weg einschlagen?

Es wäre ein Skandal im Skandal, wenn die Politik die Bürger, und aktuell die über 80-Jährigen, ihrem Schicksal wie in den vergangenen Wochen überlassen würde. Mit einer Telefonnummer 116 117, die hoffnungslos überlastet ist und das weiter sein wird, mit einer Onlinevergabe, die für viele ältere Menschen zu kompliziert ist, und mit Ansagen, die gleichzeitig wütend und traurig machen. Das darf nicht so weitergehen, da muss es andere Lösungen geben.

Notfalls muss Hamburg das bundesweit vorgegebene Prozedere eben verlassen und einen eigenen Weg einschlagen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat mit seiner klaren Kritik an der von Berlin gesteuerten Impfkampagne am Wochenende einen Anfang gemacht, und das war gut so.

Was würde Helmut Schmidt jetzt tun?

 Denn der Anteil, den Hamburg an dem Schlamassel hat, ist deutlich kleiner, als die Betroffenen den Eindruck gewinnen können. Die Stadt hat sich, wie alle anderen Länder, bei der Impfstrategie auf die Bundesregierung und die EU verlassen und ist bitter enttäuscht worden. Was ein Grund für die aktuelle Situation ist, aber keine Ausrede für ausbleibendes Handeln werden darf.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

„Was würde Helmut Schmidt jetzt tun?“ war vor Kurzem die Überschrift über einem Artikel, in dem es um dessen unkonventionelle, zupackende Politik als Hamburgs Polizeisenator während der Flutkatastrophe 1962 ging. Schmidt interessierte nicht, was andere Politiker oder gar der Bund von ihm denken würden – er kümmerte sich einzig und allein um die Menschen in Not.

So macht man das. So wie zuletzt in der Pandemie macht man es nicht.

Hamburgs Corona-Regeln:

Die aktuellen Corona-Regeln für Hamburg im Überblick

  • Alle Regeln, die im Rahmen der Eindämmungsverordnung bis zum 10. Januar gelten sollten, werden grundsätzlich bis zum 14. Februar verlängert – ein Großteil des Einzelhandels bleibt geschlossen, bestellte Waren dürfen aber abgeholt werden. "Körpernahe Dienstleistungen" wie Friseure, Nagel-, Massage- und Tattoo-Studios dürfen nicht angeboten werden. Auch Kultur- und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit bleibt verboten.
  • Kontaktregeln Angehörige eines Haushalts dürfen sich nur noch mit einer weiteren Person treffen. Ausnahmen für Kinder gibt es nicht.
  • Die Maskenpflicht wird angepasst: Stoffmasken reichen in den meisten Fällen nicht mehr aus. Stattdessen müssen medizinische Masken (mindestens OP-Masken, auch FFP2- oder KN95-Masken sind möglich) getragen werden. Bis zum 1. Februar gilt eine Übergangsphase, danach werden Verstöße mit Bußgeldern geahndet.
  • Kitas und Schulen: Die Präsenzpflicht an den Schulen bleibt aufgehoben, stattdessen soll so weit wie möglich Distanzunterricht gegeben werden. Kinder sollen – wann immer möglich – zu Hause betreut werden. Die Kitas wechseln in die "erweiterte Notbetreuung". Die privat organisierte Kinderbetreuung in Kleingruppen bleibt gestattet.
  • Arbeitgeber sind angehalten, so weit wie möglich ein Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen. Zusätzlich soll eine neue Bundesverordnung Arbeitgeber dazu verpflichten, Homeoffice anzubieten, so weit das möglich ist. Betriebskantinen dürfen nur öffnen, wenn sie für den Arbeitsablauf zwingend erforderlich sind.
  • Sollte die Sieben-Tage-Inzidenz auf einen Wert über 200 steigen, müsste eine Ausgangsbeschränkung erlassen werden, die den Bewegungsradius auf 15 Kilometer rund um den Wohnort einschränkt. Wie genau diese Regel in Hamburg angewandt würde, ist noch nicht bekannt – der Senat will darüber entscheiden, sollte sich die Inzidenz dem Grenzwert annähern.
  • Senioren- und Pflegeeinrichtungen sollen mehrmals pro Woche Personal und Besucher testen. Das war in Hamburg schon verpflichtend und gilt nun bundesweit.
  • Zwei-Test-Strategie bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten: Ein Corona-Test direkt nach der Einreise ist verpflichtend, die zehntägige Quarantäne kann frühestens fünf Tage nach der Einreise durch einen weiteren Test verkürzt werden. Die Kosten für die Tests werden nicht übernommen.