Hamburg. Endlich beginnt ein aufregendes, noch sehr unberechenbares Kapitel in der Geschichte der Kulturstadt Hamburg.

Getränke am Sitzplatz serviert, ein Sektchen für jeden, gingen alle aufs Haus. Weder bei den Eröffnungskonzerten noch beim G-20-Konzert gab es diese Art Kundendienst im Großen Saal der Elbphilharmonie. Andererseits, wann, wenn nicht jetzt? Und wer bei dieser netten Geste ans Schöntrinken eines Elends namens Corona denkt, soll sich schämen. Denn nun beginnt – endlich! – ein beglückendes, verstörendes, aufregendes, noch sehr unberechenbares Kapitel in der Geschichte der Kulturstadt Hamburg. Die Überschrift: Spielen auf Sicht; machen, was geht. Und dafür sorgen, dass möglichst bald immer mehr geht.

Dass weite Teile nicht nur der örtlichen Kulturlandschaft, allen energischen Hilfsfinanzierungen zum Trotz, bald ein rauchendes Trümmerfeld sein können, ist nach wie vor nicht allen bewusst. Wie viel für den sozial-moralischen Gefühlshaushalt unserer Gesellschaft auf dem Spiel steht, falls noch mehr Kultur noch weiter unter die Räder kommt, ebenfalls nicht. Was jetzt einmal schließen muss, wird weg sein.

Die Kultur ist in einer monströsen Krise

In den vergangenen Jahren, angeschoben vor allem durch die Elbphilharmonie, ist Kultur in dieser klassischen Handelsstadt noch mehr zum Eins-a-Konsumgut geworden. Viele Einheimische haben ins Herz geschlossen, was ihnen vorher noch gar nicht bewusst war. Viele Touristen kamen und kommen inzwischen vorsichtig wieder. Etliche Hotels wurden gebaut und füllen sich nun hoffentlich, ebenso wie die vorhandenen. Und wenn etwas dazu beitragen wird, dass wieder mehr Menschen nach Hamburg kommen wollen, dann eher nicht die Feinheiten des professionellen Containerstapelns oder die stillen Freuden des Sanitärfachhandels. Hamburg lebte prima von und mit Kultur, auch wenn Qualität und Nutzen mitunter etwas zu sehr nach wirtschaftlichen Kennzahlen bewertet wurden. Sie muss sich nicht rentieren wie eine gut geölte Autowerkstatt. Sie muss auch nicht gefallen, erst recht nicht jedem, oder immer Sinn haben oder machen. Aber sie muss sein, um uns zu zeigen, was wir nicht wissen, was wir wollen, verachten, lieben. Was wir sind oder sogar sein könnten.

Gerade eben erst war zu lesen, die deutsche Wirtschaft habe die Talsohle womöglich schon durchschritten, es ginge bald wieder aufwärts, schneller als erwartet. Erstaunlich. Alles fast halb so wild also, dieses Corona, könnten manche nun glauben, und überhaupt: Die Filme und Serien kommen längst für eine Handvoll Euros aus dem Internet, die Musik aus dem Smartphone, das Lesen ganzer Bücher ist eh überbewertet. Und diese putzigen Künstler lassen sich doch alle gern mit einer Runde Applaus entlohnen und einem angenehm kostenneutralen Schulterklopfen. Weit gefehlt, das alles. Die Kultur ist in einer monströsen Krise. Ohne Hilfe, sehr viel Hilfe über lange Zeit, wird sie nicht überleben.

Großartige Sätze von Kultursenator Carsten Brosda

Wo in Hamburg eine Eröffnung mit Mikrofon-Anschluss ist, ist Kultursenator Carsten Brosda als Sinnspruch-Lieferant meist nicht weit. In der Elbphilharmonie, nach dem Schlussakkord, sagte er am Dienstag ganz einfache, ganz großartige Sätze über das bewusstseinserweiternde Potenzial von Kultur: „Jeden Abend merkt man, wie beglückend das ist.“ Und er sagte auch, an alle Zweifelnden gerichtet: „Wir wollen deutlich machen: Es ist nicht gefährlich, in einen Konzertsaal zu gehen.“

Will meinen: Es wäre, schon auf kürzere Distanz, viel gefährlicher ohne Kultur. Glauben Sie nicht? Kaufen Sie sich eine Karte für ein Elbphilharmonie-Konzert, das geht jetzt einfacher als jemals zuvor seit 2017, für eine Theater-Aufführung, ein Kino, ein Museum. Oder ein Buch. Die Kulturszene wird Sie dafür lieben. Sie werden danach vielleicht ein ganz kleines bisschen ärmer sein. Aber auch ungleich reicher.