Ein Freund in Melbourne darf wegen Corona täglich nur eine Stunde ins Freie. Und viele Deutsche regen sich über die Masken auf!

Gestern habe ich mit einem Bekannten aus Australien geschrieben. Wir haben uns vor etwas über einem Jahr auf einer Pressereise in den USA kennengelernt und halten seitdem Kontakt. Ollie wohnt mit seiner Familie in Melbourne. Die fünf Millionen Einwohner große Stadt befindet sich seit Anfang August zum zweiten Mal im Lockdown.

Ollie berichtete mir, dass er tagsüber nur eine Stunde das Haus verlassen dürfe, um im Umkreis von fünf Kilometern einkaufen zu gehen oder Sport zu machen. Von acht Uhr abends bis fünf Uhr morgens gelte eine strikte Ausgangssperre. Die Maßnahmen dauern mindestens bis zum 13. September.

Corona-Lockdown: "Wie ist die Lage in Deutschland?"

Ollie ist gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Viel von der Welt zeigen konnte er seiner kleinen Tochter bisher nicht. „So langsam bin ich etwas müde vom Coronavirus“, schrieb er, „aber ich will nicht klagen. Mir geht es gut, und ich versuche gesund zu bleiben. Wie ist die Lage bei dir in Deutschland?“

Es war mir fast ein wenig unangenehm, ihm zu erzählen, dass ich gerade aus dem Urlaub wiedergekommen bin. Zwar war ich nur in Deutschland unterwegs, aber im Gegensatz zu ihm hätte ich die Freiheit gehabt, ins Ausland zu reisen. Und den ganzen Tag lang frei bewegen darf ich mich auch. „Habt ihr das gut“, meinte er. Dann berichtete ich ihm, dass es nicht wenige Menschen im Land gibt, die dies tatsächlich anders sehen.

Corona-Demo: Ich verstehe es selbst nicht

„Zigtausende wollen am Wochenende in Berlin wieder gegen die Corona-Einschränkungen demonstrieren“, schrieb ich. Darauf hat er mir bis jetzt nicht geantwortet. Wer mag es ihm verübeln. Ich verstehe es ja selbst nicht.

Dieses Gespräch hat mir einmal mehr gezeigt, wie gut Deutschland während der Pandemie wegkommt. Wir dürfen in Restaurants essen, in Kinos gehen, Freunde treffen, reisen. Alles, was wir dabei tun müssen, ist eine Maske tragen und Abstand halten. Ich bin kein Freund von Vergleichen. Aber in diesem Fall würde es dem einen oder anderen guttun, mal seinen Blick auf andere Länder zu richten, um sich der eigenen Privilegien wieder bewusst zu werden.

Sylt: Regelrechte Kämpfe mit Touristen

Während meines Urlaubs an Nord- und Ostsee bin ich zahlreichen Nörglern begegnet. Viele Deutsche meckern einfach furchtbar gern. In Westerland haben Verkäufer und Restaurantbesitzer regelrechte Kämpfe mit Touristen ausgefochten. Viele Urlauber hatten schlicht keine Lust, sich an die Corona-Maßnahmen zu halten. Schließlich nerve das Virus zu Hause schon genug, jetzt sind sie hier in den Ferien, um sich zu entspannen.

Also marschierten sie ohne Masken in Geschäfte, achteten nicht auf die erlaubte Kundenzahl und stapften wütend aus Cafés, wenn Kellner sie baten, sich nicht einfach hinzusetzen, sondern am Eingang zu warten. Auf der anderen Seite konnte man immer wieder die selbst ernannten Corona-Wächter dabei beobachten, wie sie andere Leute maßregelten. Egal welchem Standpunkt man sich nun näher fühlte: Es wurde diskutiert, gemeckert, gegiftet. Je besser es einem geht, desto mehr Kapazitäten hat man für solche Streitereien.

TV-Nachrichten, die verwirren

Neulich habe ich Fernsehnachrichten gesehen, die auf eine absurde Art und Weise deutlich gemacht haben, wie weit unsere Realitäten auseinanderliegen. Zuerst wurde eine mit Corona infizierte Frau gezeigt, die in einem afrikanischen Slum lebte und tapfer mit Mundschutz die Gemeinschaftstoilette in einer kleinen Holzhütte aufsuchte. Anschließend strahlte der Sender Aufnahmen von der Demonstration in Berlin Anfang August aus, auf der Neonazis mit Reichsflaggen marschierten und Verschwörungstheoretiker gegen ein Stück Stoff protestierten.

Angesichts dieser Bilder frage ich mich: Geht es uns eigentlich zu gut? Hätten noch mehr Menschen sterben müssen? Sind mehr als 9000 nicht genug, um den Ernst der Lage zu erkennen?

Natürlich erfahren viele Menschen auch hierzulande Leid durch Corona, allen voran die Erkrankten. Mir nahestehende Menschen haben ihre Jobs verloren, arbeiten seit Monaten in Kurzarbeit und kratzen mühsam Geld zusammen, um ihre Miete zu bezahlen. Dann fühle ich mich, als lebe ich auf einer Insel der Glückseligkeit. Ich darf in Vollzeit arbeiten, im Büro sitzen, meine Lieben sind gesund. Wenn man so ein großes Glück hat, sollte man einfach mal dankbar sein.