Der Kanzlerin steht es ins Gesicht geschrieben: Die Länderchefs haben die Führung übernommen. Vielleicht auch, um sich zu revanchieren.

In ihrer Not griff Angela Merkel wieder zu einem ihrer Wenn-dann-Sätze. Bei der Pressekonferenz mit den Vertretern der Länder wollte ein Journalist wissen, wer nach den weiteren Lockerungen künftig an der Notbremse sitzt. Er hatte damit die Machtfrage gestellt. Die Antwort der Kanzlerin mündete in dem Satz: „Wenn wir dieses Vertrauen nicht mehr haben, dass Landräte, Gesundheitsämter, Bürgermeister, gut arbeiten, dann, … ja, dann können wir einpacken. Dann ist das nicht unsere Bundesrepublik Deutschland.“

Nicht unsere Bundesrepublik? Klingelt was? Vor fünf Jahren sagte Merkel, wenn man sich jetzt schon für ein freundliches Gesicht entschuldigen müsse, dass man Flüchtlingen gegenüber zeige, „dann ist das nicht mein Land.“

Gleiche Syntax, gleiche Logik, aber ganz andere Lage: Damals saß sie am längeren Hebel, war die Entscheiderin. Diesmal nicht. Der Infektionsschutz ist Sache der Länder. Dennoch hatte die Kanzlerin Corona vor sieben Wochen zu ihrer Sache gemacht. Hatte die divergierenden Kräfte beisammengehalten, nachdem Markus Söder am 18. März die Initiative ergriffen und Bayern runtergeregelt hatte.

In den Folgewochen übernahm sie die restriktive Position des bayerischen Ministerpräsidenten und bremste etwa Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen aus. Von „Wiedereröffnungsorgien“ sprach sie in einer CDU-Schalte. „Zu forsch“ nannte sie die Öffnungsschritte einzelner Länder kurz darauf. Nun kommt es so, wie sie es nicht wollte. Das, was sie Orgie nannte, findet statt.

Länder stoßen Merkel vom Corona-Chefsessel

In Berlin hat die Schulsenatorin zur Überraschung der Schulen am Donnerstag schon für den nächsten Werktag, also Montag, den Schulbetrieb ab der ersten Klasse angekündigt. Die Pandemie des Alleingangs der Ministerpräsidenten hatte das Land längst erfasst, da sagte der nüchterne Hamburger Peter Tschentscher neben Merkel sitzend, dass nun die Länder die Verantwortung übernommen hätten.

Man könnte das alles als herkömmlichen Vollzug dessen ansehen, was die Verfassung und der deutsche Föderalismus vorgeben. Aber erstens hatte Merkel Corona aktiv zur Chefsache gemacht. Also muss sie auch die Niederlage einstecken, vom Corona-Chefsessel gestoßen worden zu sein. Und zweitens fällt auf, dass aus interns­ten Runden plötzlich Details und Zitate durchgestochen werden, erkennbar in der Absicht, sie zu schwächen. Das war bei den Wiedereröffnungsorgien im CDU-Präsidium so. Und war jetzt so bei der Runde mit den Ministerpräsidenten, aus der heraus in Echtzeit und in Merkels eigenen Worten vermeldet wurde, dass sie nahe dran sei „aufzugeben“.

Merkel wird zur lahmen Ente

Politik hat immer eine Sach- und eine Machtebene. Auf der Sachebene muss das alles nicht falsch sein, was beschlossen wurde. Es ist aber nicht das, was Merkel wollte, sondern das, was die Ministerpräsidenten wollten. Diese Machtfrage ist vergangene Woche geklärt worden. Insbesondere vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Der musste seinerzeit als CSU-Chef ohnmächtig bei Merkels Flüchtlingspolitik zusehen.

Lesen Sie auch:

Sei es nun Revanche oder die Gunst der Möglichkeit: Söder nutzt die Macht, die ihm der Föderalismus ermöglicht, und gibt den Corona-Kanzler. Merkel merkt das ganz genau. Sie hat die sympathische Eigenschaft, ihre Mimik nie richtig im Griff zu haben. Schauen Sie ihr einfach mal zu, wenn Markus Söder neben ihr das Wort führt. Alles Gesagte steht ihr ins Gesicht geschrieben. Genau so blickt eine lahme Ente drein, die gute Miene zu einem Spiel macht, das nicht mehr ihres ist.